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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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als die Stände gegenüber diesen und ähnlichen Zumuthungen
meist nur zu Worten ängstlicher Klage, selten zu ablehnenden
Beschlüssen den Muth fanden. Doch offenbarte sich diese
Opposition der Liberalen höchstens in Petitionen an die
Stände; sie hielt sich streng auf gesetzlichem Boden und
dachte nicht an Thaten. Anders die Bauernschaft in Ober-
hessen, welche, unter unerhörtem Steuerdruck dahinsiechend, im
September 1830 sich erhob und mit Prügeln und Sensen
bewaffnet, die Zollstätten, Steuerämter und Edelhöfe von
Isenburg bis Butzbach plünderte, bis Militär herbeieilte
und nicht blos die Schuldigen, sondern auch friedliche Bürger
jener Bezirke massakrirte. Die nähere Schilderung mag an
anderer Stelle (S. 286 ff) nachgelesen werden; hier sei
nur hervorgehoben, daß die Liberalen des Großherzogthums
an diesem jähen Aufruhr armer, gepeinigter Knechte nicht die
geringste Schuld trugen und durch denselben kaum minder
überrascht und erschreckt wurden, als die Regierung. Wie
etwa der Braunschweiger Aufstand durch die Persönlichkeit
des Herzogs, so war dieser Tumult durch den Druck der
Regierung und der Standesherren herbeigeführt worden --
gleichwohl mußten für beide die Liberalen Deutschlands
büßen, für letzteren noch ganz besonders jene des Großherzog-
thums. Denn Niemand nützte die oberwähnte Erneuung
der Carlsbader Beschlüsse vom November 1830 eifriger aus,
als der Günstling und allgewaltige Minister Ludwig II.,
Freiherr du Thil, und nirgendwo äußerte sich auch
folgerichtig die Erbitterung über solche ungerechten und in
so bewegter Zeit doppelt unklugen Maßregelungen des Volks-
geistes entschiedener, als in diesem, von einem characterfesten,
ja starrsinnigen Volksstamm bewohnten Lande. Früher, als

als die Stände gegenüber dieſen und ähnlichen Zumuthungen
meiſt nur zu Worten ängſtlicher Klage, ſelten zu ablehnenden
Beſchlüſſen den Muth fanden. Doch offenbarte ſich dieſe
Oppoſition der Liberalen höchſtens in Petitionen an die
Stände; ſie hielt ſich ſtreng auf geſetzlichem Boden und
dachte nicht an Thaten. Anders die Bauernſchaft in Ober-
heſſen, welche, unter unerhörtem Steuerdruck dahinſiechend, im
September 1830 ſich erhob und mit Prügeln und Senſen
bewaffnet, die Zollſtätten, Steuerämter und Edelhöfe von
Iſenburg bis Butzbach plünderte, bis Militär herbeieilte
und nicht blos die Schuldigen, ſondern auch friedliche Bürger
jener Bezirke maſſakrirte. Die nähere Schilderung mag an
anderer Stelle (S. 286 ff) nachgeleſen werden; hier ſei
nur hervorgehoben, daß die Liberalen des Großherzogthums
an dieſem jähen Aufruhr armer, gepeinigter Knechte nicht die
geringſte Schuld trugen und durch denſelben kaum minder
überraſcht und erſchreckt wurden, als die Regierung. Wie
etwa der Braunſchweiger Aufſtand durch die Perſönlichkeit
des Herzogs, ſo war dieſer Tumult durch den Druck der
Regierung und der Standesherren herbeigeführt worden —
gleichwohl mußten für beide die Liberalen Deutſchlands
büßen, für letzteren noch ganz beſonders jene des Großherzog-
thums. Denn Niemand nützte die oberwähnte Erneuung
der Carlsbader Beſchlüſſe vom November 1830 eifriger aus,
als der Günſtling und allgewaltige Miniſter Ludwig II.,
Freiherr du Thil, und nirgendwo äußerte ſich auch
folgerichtig die Erbitterung über ſolche ungerechten und in
ſo bewegter Zeit doppelt unklugen Maßregelungen des Volks-
geiſtes entſchiedener, als in dieſem, von einem characterfeſten,
ja ſtarrſinnigen Volksſtamm bewohnten Lande. Früher, als

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[LXXXII/0098] als die Stände gegenüber dieſen und ähnlichen Zumuthungen meiſt nur zu Worten ängſtlicher Klage, ſelten zu ablehnenden Beſchlüſſen den Muth fanden. Doch offenbarte ſich dieſe Oppoſition der Liberalen höchſtens in Petitionen an die Stände; ſie hielt ſich ſtreng auf geſetzlichem Boden und dachte nicht an Thaten. Anders die Bauernſchaft in Ober- heſſen, welche, unter unerhörtem Steuerdruck dahinſiechend, im September 1830 ſich erhob und mit Prügeln und Senſen bewaffnet, die Zollſtätten, Steuerämter und Edelhöfe von Iſenburg bis Butzbach plünderte, bis Militär herbeieilte und nicht blos die Schuldigen, ſondern auch friedliche Bürger jener Bezirke maſſakrirte. Die nähere Schilderung mag an anderer Stelle (S. 286 ff) nachgeleſen werden; hier ſei nur hervorgehoben, daß die Liberalen des Großherzogthums an dieſem jähen Aufruhr armer, gepeinigter Knechte nicht die geringſte Schuld trugen und durch denſelben kaum minder überraſcht und erſchreckt wurden, als die Regierung. Wie etwa der Braunſchweiger Aufſtand durch die Perſönlichkeit des Herzogs, ſo war dieſer Tumult durch den Druck der Regierung und der Standesherren herbeigeführt worden — gleichwohl mußten für beide die Liberalen Deutſchlands büßen, für letzteren noch ganz beſonders jene des Großherzog- thums. Denn Niemand nützte die oberwähnte Erneuung der Carlsbader Beſchlüſſe vom November 1830 eifriger aus, als der Günſtling und allgewaltige Miniſter Ludwig II., Freiherr du Thil, und nirgendwo äußerte ſich auch folgerichtig die Erbitterung über ſolche ungerechten und in ſo bewegter Zeit doppelt unklugen Maßregelungen des Volks- geiſtes entſchiedener, als in dieſem, von einem characterfeſten, ja ſtarrſinnigen Volksſtamm bewohnten Lande. Früher, als

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. LXXXII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/98>, abgerufen am 24.11.2024.