Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

8. Februar. Das Fieber zeigte sich nur sehr wenig,
und er wollte, da Briefe von seiner Braut angekommen
waren, an dieselbe schreiben; ich bat ihn, dieses zu ver-
schieben, bis er sich wieder ganz wohl fühlte. Auch erbot
ich mich statt seiner zu schreiben, was er aber ablehnte. Da
die Briefe Minna's sehr fein geschrieben waren, legte er sie
weg, um sie später fertig zu lesen.

9. Februar. Der Kranke hatte fast gar kein Fieber,
doch klagte er fortwährend über Schlaflosigkeit; mein Mann
war des Nachts lange bei ihm und bemerkte doch, daß er
zuweilen geschlafen hatte. Er war kleinmüthig, und wir
sprachen ihm alle Muth ein; auch rieth man ihm, ein wenig
aufzustehen, um dann vielleicht besser schlafen zu können. Es
wurde ihm Mandelmilch verordnet, die ich ihm bereitete und
die ihn sehr erquickte.

10. Februar. Er stand Nachmittags auf und wollte
schreiben; ich holte ihm alles Nöthige herbei, da ich sah,
daß er sich durchaus nicht wollte abhalten lassen und da er
sagte, daß er sich auf dem Sopha wohler wie im Bett fühle,
so freute ich mich sehr und nahm es für ein Zeichen der
Besserung. Er ergriff die Feder, erklärte aber sogleich nicht
schreiben zu können; ich bot ihm abermals an, in seinem
Namen zu schreiben, was er jetzt geschehen ließ. Damit er
seinen Geist nicht anstrengen sollte, schrieb ich den Brief
nach meiner Idee, und er sagte mir alsdann, was ich daran
ändern sollte. Endlich war das Schreiben nach seinem Wunsch
ausgefallen; er nahm es mir hastig weg und setzte die
Worte: "Adieu mein Kind" darunter, ließ mich eine seiner
Locken hineinlegen und eilte schnell zu Bett, nach welchem
er sehr verlangte. Nachdem der Brief weg war, fiel es mir

8. Februar. Das Fieber zeigte ſich nur ſehr wenig,
und er wollte, da Briefe von ſeiner Braut angekommen
waren, an dieſelbe ſchreiben; ich bat ihn, dieſes zu ver-
ſchieben, bis er ſich wieder ganz wohl fühlte. Auch erbot
ich mich ſtatt ſeiner zu ſchreiben, was er aber ablehnte. Da
die Briefe Minna's ſehr fein geſchrieben waren, legte er ſie
weg, um ſie ſpäter fertig zu leſen.

9. Februar. Der Kranke hatte faſt gar kein Fieber,
doch klagte er fortwährend über Schlafloſigkeit; mein Mann
war des Nachts lange bei ihm und bemerkte doch, daß er
zuweilen geſchlafen hatte. Er war kleinmüthig, und wir
ſprachen ihm alle Muth ein; auch rieth man ihm, ein wenig
aufzuſtehen, um dann vielleicht beſſer ſchlafen zu können. Es
wurde ihm Mandelmilch verordnet, die ich ihm bereitete und
die ihn ſehr erquickte.

10. Februar. Er ſtand Nachmittags auf und wollte
ſchreiben; ich holte ihm alles Nöthige herbei, da ich ſah,
daß er ſich durchaus nicht wollte abhalten laſſen und da er
ſagte, daß er ſich auf dem Sopha wohler wie im Bett fühle,
ſo freute ich mich ſehr und nahm es für ein Zeichen der
Beſſerung. Er ergriff die Feder, erklärte aber ſogleich nicht
ſchreiben zu können; ich bot ihm abermals an, in ſeinem
Namen zu ſchreiben, was er jetzt geſchehen ließ. Damit er
ſeinen Geiſt nicht anſtrengen ſollte, ſchrieb ich den Brief
nach meiner Idee, und er ſagte mir alsdann, was ich daran
ändern ſollte. Endlich war das Schreiben nach ſeinem Wunſch
ausgefallen; er nahm es mir haſtig weg und ſetzte die
Worte: "Adieu mein Kind" darunter, ließ mich eine ſeiner
Locken hineinlegen und eilte ſchnell zu Bett, nach welchem
er ſehr verlangte. Nachdem der Brief weg war, fiel es mir

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0619" n="423"/>
          <p>8. <hi rendition="#g">Februar</hi>. Das Fieber zeigte &#x017F;ich nur &#x017F;ehr wenig,<lb/>
und er wollte, da Briefe von &#x017F;einer Braut angekommen<lb/>
waren, an die&#x017F;elbe &#x017F;chreiben; ich bat ihn, die&#x017F;es zu ver-<lb/>
&#x017F;chieben, bis er &#x017F;ich wieder ganz wohl fühlte. Auch erbot<lb/>
ich mich &#x017F;tatt &#x017F;einer zu &#x017F;chreiben, was er aber ablehnte. Da<lb/>
die Briefe Minna's &#x017F;ehr fein ge&#x017F;chrieben waren, legte er &#x017F;ie<lb/>
weg, um &#x017F;ie &#x017F;päter fertig zu le&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>9. <hi rendition="#g">Februar</hi>. Der Kranke hatte fa&#x017F;t gar kein Fieber,<lb/>
doch klagte er fortwährend über Schlaflo&#x017F;igkeit; mein Mann<lb/>
war des Nachts lange bei ihm und bemerkte doch, daß er<lb/>
zuweilen ge&#x017F;chlafen hatte. Er war kleinmüthig, und wir<lb/>
&#x017F;prachen ihm alle Muth ein; auch rieth man ihm, ein wenig<lb/>
aufzu&#x017F;tehen, um dann vielleicht be&#x017F;&#x017F;er &#x017F;chlafen zu können. Es<lb/>
wurde ihm Mandelmilch verordnet, die ich ihm bereitete und<lb/>
die ihn &#x017F;ehr erquickte.</p><lb/>
          <p>10. <hi rendition="#g">Februar</hi>. Er &#x017F;tand Nachmittags auf und wollte<lb/>
&#x017F;chreiben; ich holte ihm alles Nöthige herbei, da ich &#x017F;ah,<lb/>
daß er &#x017F;ich durchaus nicht wollte abhalten la&#x017F;&#x017F;en und da er<lb/>
&#x017F;agte, daß er &#x017F;ich auf dem Sopha wohler wie im Bett fühle,<lb/>
&#x017F;o freute ich mich &#x017F;ehr und nahm es für ein Zeichen der<lb/>
Be&#x017F;&#x017F;erung. Er ergriff die Feder, erklärte aber &#x017F;ogleich nicht<lb/>
&#x017F;chreiben zu können; ich bot ihm abermals an, in &#x017F;einem<lb/>
Namen zu &#x017F;chreiben, was er jetzt ge&#x017F;chehen ließ. Damit er<lb/>
&#x017F;einen Gei&#x017F;t nicht an&#x017F;trengen &#x017F;ollte, &#x017F;chrieb ich den Brief<lb/>
nach meiner Idee, und er &#x017F;agte mir alsdann, was ich daran<lb/>
ändern &#x017F;ollte. Endlich war das Schreiben nach &#x017F;einem Wun&#x017F;ch<lb/>
ausgefallen; er nahm es mir ha&#x017F;tig weg und &#x017F;etzte die<lb/>
Worte: "Adieu mein Kind" darunter, ließ mich eine &#x017F;einer<lb/>
Locken hineinlegen und eilte &#x017F;chnell zu Bett, nach welchem<lb/>
er &#x017F;ehr verlangte. Nachdem der Brief weg war, fiel es mir<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[423/0619] 8. Februar. Das Fieber zeigte ſich nur ſehr wenig, und er wollte, da Briefe von ſeiner Braut angekommen waren, an dieſelbe ſchreiben; ich bat ihn, dieſes zu ver- ſchieben, bis er ſich wieder ganz wohl fühlte. Auch erbot ich mich ſtatt ſeiner zu ſchreiben, was er aber ablehnte. Da die Briefe Minna's ſehr fein geſchrieben waren, legte er ſie weg, um ſie ſpäter fertig zu leſen. 9. Februar. Der Kranke hatte faſt gar kein Fieber, doch klagte er fortwährend über Schlafloſigkeit; mein Mann war des Nachts lange bei ihm und bemerkte doch, daß er zuweilen geſchlafen hatte. Er war kleinmüthig, und wir ſprachen ihm alle Muth ein; auch rieth man ihm, ein wenig aufzuſtehen, um dann vielleicht beſſer ſchlafen zu können. Es wurde ihm Mandelmilch verordnet, die ich ihm bereitete und die ihn ſehr erquickte. 10. Februar. Er ſtand Nachmittags auf und wollte ſchreiben; ich holte ihm alles Nöthige herbei, da ich ſah, daß er ſich durchaus nicht wollte abhalten laſſen und da er ſagte, daß er ſich auf dem Sopha wohler wie im Bett fühle, ſo freute ich mich ſehr und nahm es für ein Zeichen der Beſſerung. Er ergriff die Feder, erklärte aber ſogleich nicht ſchreiben zu können; ich bot ihm abermals an, in ſeinem Namen zu ſchreiben, was er jetzt geſchehen ließ. Damit er ſeinen Geiſt nicht anſtrengen ſollte, ſchrieb ich den Brief nach meiner Idee, und er ſagte mir alsdann, was ich daran ändern ſollte. Endlich war das Schreiben nach ſeinem Wunſch ausgefallen; er nahm es mir haſtig weg und ſetzte die Worte: "Adieu mein Kind" darunter, ließ mich eine ſeiner Locken hineinlegen und eilte ſchnell zu Bett, nach welchem er ſehr verlangte. Nachdem der Brief weg war, fiel es mir

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/619
Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 423. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/619>, abgerufen am 24.11.2024.