Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

unter welchem ein großer Theil Deutschlands liege, sei eben
so traurig und schimpflich, als der geistige; und es sei in
seinen Augen bei weitem nicht so betrübt, daß dieser oder
jener Liberale seine Gedanken nicht drucken lassen dürfe, als
daß viele tausend Familien nicht im Stande wären, ihre
Kartoffeln zu schmelzen u. s. w.

Ob ich mich hier gleich meistens der Worte Büchner's
bedient habe, so dürfte es doch schwer sein, sich einen Begriff
von der Lebhaftigkeit, mit welcher er seine Meinungen vor-
trug, zu machen. --

Man braucht nur vier Jahre (und halb so viel im
Gefängniß) älter zu sein, als ich damals war, da Büchner
solche Reden führte, um die Sophisterei, die sie enthalten,
einzusehen; damals war ich fast blind dagegen, sowie Andere,
z. B. Clemm, Louis Becker, Schütz, denen allen Büchner
imponirte, ohne daß sie es vielleicht selber gestehen mochten,
sowohl durch die Neuheit seiner Ideen, als durch den Scharf-
sinn, mit welchem er sie vortrug. Wären solche Meinungen
das Rühmlichste von Büchner gewesen, dann würde der Ab-
scheu, den sie vielleicht in den Augen des Gerichtes erregen,
mit Recht auf diejenigen, welche genaueren Umgang mit ihm
gepflogen, zurückfallen; allein er hatte bei all' dem das edelste
Herz und war für diejenigen, die ihn genau kannten, der
liebenswürdigste Mensch.

Um noch einmal auf die Flugschrift Büchner's zurück-
zukommen, so kann ich nicht angeben, ob sie den beabsichtigten
Zweck erreicht habe; soviel weiß ich, daß, wie mir Weidig
gesagt hat, Professor Jordan sich mißbilligend über dieselbe
ausgesprochen; auch Dr. Hundeshagen soll sie, wie ich von
Weyprecht erfahren, heftig getadelt haben.


unter welchem ein großer Theil Deutſchlands liege, ſei eben
ſo traurig und ſchimpflich, als der geiſtige; und es ſei in
ſeinen Augen bei weitem nicht ſo betrübt, daß dieſer oder
jener Liberale ſeine Gedanken nicht drucken laſſen dürfe, als
daß viele tauſend Familien nicht im Stande wären, ihre
Kartoffeln zu ſchmelzen u. ſ. w.

Ob ich mich hier gleich meiſtens der Worte Büchner's
bedient habe, ſo dürfte es doch ſchwer ſein, ſich einen Begriff
von der Lebhaftigkeit, mit welcher er ſeine Meinungen vor-
trug, zu machen. —

Man braucht nur vier Jahre (und halb ſo viel im
Gefängniß) älter zu ſein, als ich damals war, da Büchner
ſolche Reden führte, um die Sophiſterei, die ſie enthalten,
einzuſehen; damals war ich faſt blind dagegen, ſowie Andere,
z. B. Clemm, Louis Becker, Schütz, denen allen Büchner
imponirte, ohne daß ſie es vielleicht ſelber geſtehen mochten,
ſowohl durch die Neuheit ſeiner Ideen, als durch den Scharf-
ſinn, mit welchem er ſie vortrug. Wären ſolche Meinungen
das Rühmlichſte von Büchner geweſen, dann würde der Ab-
ſcheu, den ſie vielleicht in den Augen des Gerichtes erregen,
mit Recht auf diejenigen, welche genaueren Umgang mit ihm
gepflogen, zurückfallen; allein er hatte bei all' dem das edelſte
Herz und war für diejenigen, die ihn genau kannten, der
liebenswürdigſte Menſch.

Um noch einmal auf die Flugſchrift Büchner's zurück-
zukommen, ſo kann ich nicht angeben, ob ſie den beabſichtigten
Zweck erreicht habe; ſoviel weiß ich, daß, wie mir Weidig
geſagt hat, Profeſſor Jordan ſich mißbilligend über dieſelbe
ausgeſprochen; auch Dr. Hundeshagen ſoll ſie, wie ich von
Weyprecht erfahren, heftig getadelt haben.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0608" n="412"/>
unter welchem ein großer Theil Deut&#x017F;chlands liege, &#x017F;ei eben<lb/>
&#x017F;o traurig und &#x017F;chimpflich, als der gei&#x017F;tige; und es &#x017F;ei in<lb/>
&#x017F;einen Augen bei weitem nicht &#x017F;o betrübt, daß die&#x017F;er oder<lb/>
jener Liberale &#x017F;eine Gedanken nicht drucken la&#x017F;&#x017F;en dürfe, als<lb/>
daß viele tau&#x017F;end Familien nicht im Stande wären, ihre<lb/>
Kartoffeln zu &#x017F;chmelzen u. &#x017F;. w.</p><lb/>
          <p>Ob ich mich hier gleich mei&#x017F;tens der Worte Büchner's<lb/>
bedient habe, &#x017F;o dürfte es doch &#x017F;chwer &#x017F;ein, &#x017F;ich einen Begriff<lb/>
von der Lebhaftigkeit, mit welcher er &#x017F;eine Meinungen vor-<lb/>
trug, zu machen. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Man braucht nur vier Jahre (und halb &#x017F;o viel im<lb/>
Gefängniß) älter zu &#x017F;ein, als ich damals war, da Büchner<lb/>
&#x017F;olche Reden führte, um die Sophi&#x017F;terei, die &#x017F;ie enthalten,<lb/>
einzu&#x017F;ehen; damals war ich fa&#x017F;t blind dagegen, &#x017F;owie Andere,<lb/>
z. B. Clemm, Louis Becker, Schütz, denen allen Büchner<lb/>
imponirte, ohne daß &#x017F;ie es vielleicht &#x017F;elber ge&#x017F;tehen mochten,<lb/>
&#x017F;owohl durch die Neuheit &#x017F;einer Ideen, als durch den Scharf-<lb/>
&#x017F;inn, mit welchem er &#x017F;ie vortrug. Wären &#x017F;olche Meinungen<lb/>
das Rühmlich&#x017F;te von Büchner gewe&#x017F;en, dann würde der Ab-<lb/>
&#x017F;cheu, den &#x017F;ie vielleicht in den Augen des Gerichtes erregen,<lb/>
mit Recht auf diejenigen, welche genaueren Umgang mit ihm<lb/>
gepflogen, zurückfallen; allein er hatte bei all' dem das edel&#x017F;te<lb/>
Herz und war für diejenigen, die ihn genau kannten, der<lb/>
liebenswürdig&#x017F;te Men&#x017F;ch.</p><lb/>
          <p>Um noch einmal auf die Flug&#x017F;chrift Büchner's zurück-<lb/>
zukommen, &#x017F;o kann ich nicht angeben, ob &#x017F;ie den beab&#x017F;ichtigten<lb/>
Zweck erreicht habe; &#x017F;oviel weiß ich, daß, wie mir Weidig<lb/>
ge&#x017F;agt hat, Profe&#x017F;&#x017F;or Jordan &#x017F;ich mißbilligend über die&#x017F;elbe<lb/>
ausge&#x017F;prochen; auch <hi rendition="#aq">Dr.</hi> Hundeshagen &#x017F;oll &#x017F;ie, wie ich von<lb/>
Weyprecht erfahren, heftig getadelt haben.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[412/0608] unter welchem ein großer Theil Deutſchlands liege, ſei eben ſo traurig und ſchimpflich, als der geiſtige; und es ſei in ſeinen Augen bei weitem nicht ſo betrübt, daß dieſer oder jener Liberale ſeine Gedanken nicht drucken laſſen dürfe, als daß viele tauſend Familien nicht im Stande wären, ihre Kartoffeln zu ſchmelzen u. ſ. w. Ob ich mich hier gleich meiſtens der Worte Büchner's bedient habe, ſo dürfte es doch ſchwer ſein, ſich einen Begriff von der Lebhaftigkeit, mit welcher er ſeine Meinungen vor- trug, zu machen. — Man braucht nur vier Jahre (und halb ſo viel im Gefängniß) älter zu ſein, als ich damals war, da Büchner ſolche Reden führte, um die Sophiſterei, die ſie enthalten, einzuſehen; damals war ich faſt blind dagegen, ſowie Andere, z. B. Clemm, Louis Becker, Schütz, denen allen Büchner imponirte, ohne daß ſie es vielleicht ſelber geſtehen mochten, ſowohl durch die Neuheit ſeiner Ideen, als durch den Scharf- ſinn, mit welchem er ſie vortrug. Wären ſolche Meinungen das Rühmlichſte von Büchner geweſen, dann würde der Ab- ſcheu, den ſie vielleicht in den Augen des Gerichtes erregen, mit Recht auf diejenigen, welche genaueren Umgang mit ihm gepflogen, zurückfallen; allein er hatte bei all' dem das edelſte Herz und war für diejenigen, die ihn genau kannten, der liebenswürdigſte Menſch. Um noch einmal auf die Flugſchrift Büchner's zurück- zukommen, ſo kann ich nicht angeben, ob ſie den beabſichtigten Zweck erreicht habe; ſoviel weiß ich, daß, wie mir Weidig geſagt hat, Profeſſor Jordan ſich mißbilligend über dieſelbe ausgeſprochen; auch Dr. Hundeshagen ſoll ſie, wie ich von Weyprecht erfahren, heftig getadelt haben.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/608
Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 412. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/608>, abgerufen am 19.05.2024.