andern, keineswegs leicht zu beseitigenden Einwurf gemacht; es heißt nämlich: "Eine Handlung läßt sich nicht dadurch rechtfertigen, daß sie dem besondern Charakter eines Menschen gemäß gewesen ist. Wenn der Charakter selbst fehlerhaft war, so ist es die Handlung auch. Dieß ist bei Cato der Fall. Er hatte nur eine sehr einseitige Entwicklung seiner Natur erfahren. Die Ursache, warum mit seinem Charakter die Handlung des Selbstmordes übereinstimmte, lag nicht in seiner Vollkommenheit, sondern in seinen Fehlern. Es war nicht seine Stärke und sein Muth, sondern sein Unvermögen, sich in einer ungewohnten Lebensweise schicklich zu bewegen, welches ihm das Schwert in die Hand gab." --
So wahr auch diese Behauptung klingt, so hört sie bei näherer Betrachtung doch ganz auf, einen Flecken auf Catos Handlungen zu werfen. Diesem Einwurf gemäß wird ge- fordert, daß Cato sich nicht allein in die Rolle des Re- publikaners, sondern auch in die des Dieners hätte fügen sollen. Daß er dies nicht konnte und wollte, schreibt man der Unvollkommenheit seines Charakters zu; daß aber dieses Schicken in alle Umstände eine Vollkommen- heit sei, kann ich nicht einsehen, denn ich glaube, daß das große Erbtheil des Mannes sei, nur eine Rolle spielen, nur in einer Gestalt sich zeigen, nur in das, was er als wahr und recht erkannt hat, sich fügen zu können. Ich be- haupte also im Gegentheil, daß grade dieses Unvermögen, sich in eine seinen heiligsten Rechten, seinen heiligsten Grundsätzen widersprechende Lage zu finden, von der Größe, nicht von der Einseitigkeit und Unvollkommenheit des Cato zeugt.
andern, keineswegs leicht zu beſeitigenden Einwurf gemacht; es heißt nämlich: "Eine Handlung läßt ſich nicht dadurch rechtfertigen, daß ſie dem beſondern Charakter eines Menſchen gemäß geweſen iſt. Wenn der Charakter ſelbſt fehlerhaft war, ſo iſt es die Handlung auch. Dieß iſt bei Cato der Fall. Er hatte nur eine ſehr einſeitige Entwicklung ſeiner Natur erfahren. Die Urſache, warum mit ſeinem Charakter die Handlung des Selbſtmordes übereinſtimmte, lag nicht in ſeiner Vollkommenheit, ſondern in ſeinen Fehlern. Es war nicht ſeine Stärke und ſein Muth, ſondern ſein Unvermögen, ſich in einer ungewohnten Lebensweiſe ſchicklich zu bewegen, welches ihm das Schwert in die Hand gab." —
So wahr auch dieſe Behauptung klingt, ſo hört ſie bei näherer Betrachtung doch ganz auf, einen Flecken auf Catos Handlungen zu werfen. Dieſem Einwurf gemäß wird ge- fordert, daß Cato ſich nicht allein in die Rolle des Re- publikaners, ſondern auch in die des Dieners hätte fügen ſollen. Daß er dies nicht konnte und wollte, ſchreibt man der Unvollkommenheit ſeines Charakters zu; daß aber dieſes Schicken in alle Umſtände eine Vollkommen- heit ſei, kann ich nicht einſehen, denn ich glaube, daß das große Erbtheil des Mannes ſei, nur eine Rolle ſpielen, nur in einer Geſtalt ſich zeigen, nur in das, was er als wahr und recht erkannt hat, ſich fügen zu können. Ich be- haupte alſo im Gegentheil, daß grade dieſes Unvermögen, ſich in eine ſeinen heiligſten Rechten, ſeinen heiligſten Grundſätzen widerſprechende Lage zu finden, von der Größe, nicht von der Einſeitigkeit und Unvollkommenheit des Cato zeugt.
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andern, keineswegs leicht zu beſeitigenden Einwurf gemacht;
es heißt nämlich: "Eine Handlung läßt ſich nicht dadurch
rechtfertigen, daß ſie dem beſondern Charakter eines Menſchen
gemäß geweſen iſt. Wenn der Charakter ſelbſt fehlerhaft
war, ſo iſt es die Handlung auch. Dieß iſt bei Cato
der Fall. Er hatte nur eine ſehr einſeitige Entwicklung
ſeiner Natur erfahren. Die Urſache, warum mit ſeinem
Charakter die Handlung des Selbſtmordes übereinſtimmte,
lag nicht in ſeiner Vollkommenheit, ſondern in ſeinen Fehlern.
Es war nicht ſeine Stärke und ſein Muth, ſondern ſein
Unvermögen, ſich in einer ungewohnten Lebensweiſe
ſchicklich zu bewegen, welches ihm das Schwert in die Hand
gab." —
So wahr auch dieſe Behauptung klingt, ſo hört ſie bei
näherer Betrachtung doch ganz auf, einen Flecken auf Catos
Handlungen zu werfen. Dieſem Einwurf gemäß wird ge-
fordert, daß Cato ſich nicht allein in die Rolle des Re-
publikaners, ſondern auch in die des Dieners hätte
fügen ſollen. Daß er dies nicht konnte und wollte,
ſchreibt man der Unvollkommenheit ſeines Charakters zu;
daß aber dieſes Schicken in alle Umſtände eine Vollkommen-
heit ſei, kann ich nicht einſehen, denn ich glaube, daß das
große Erbtheil des Mannes ſei, nur eine Rolle ſpielen,
nur in einer Geſtalt ſich zeigen, nur in das, was er als
wahr und recht erkannt hat, ſich fügen zu können. Ich be-
haupte alſo im Gegentheil, daß grade dieſes Unvermögen,
ſich in eine ſeinen heiligſten Rechten, ſeinen heiligſten
Grundſätzen widerſprechende Lage zu finden, von der Größe,
nicht von der Einſeitigkeit und Unvollkommenheit
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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 407. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/603>, abgerufen am 22.11.2024.
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