Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

die Brust stieß, um unter Sklaven nicht leben zu müssen;
denn Sklaven waren die Römer, sie mochten in goldnen
oder ehernen Fesseln liegen -- sie waren gefesselt. Der
Römer kannte nur eine Freiheit, sie war das Gesetz, dem
er sich aus freier Ueberzeugung als nothwendig fügte;
diese Freiheit hatte Cäsar zerstört, Cato war Sklave,
wenn er sich dem Gesetz der Willkür beugte. Und war
auch Rom der Freiheit nicht werth
, so war doch
die Freiheit selbst werth
, daß Cato für sie lebte
und starb
. Nimmt man diesen Beweggrund an, so ist
Cato gerechtfertigt, ich sehe nicht ein, warum man sich so
sehr bemüht, einen niedrigern hervorzuheben; ich kann nicht
begreifen, warum man einem Manne, dessen Leben und
Charakter makellos sind, das Ende seines Lebens schänden
will. Der Beweggrund, den ich seiner Handlung zu Grunde
lege, stimmt mit seinem ganzen Charakter überein, ist seines
ganzen Lebens würdig, und also der wahre. --

Diese That läßt sich jedoch noch von einem anderen
Standpunkte aus beurtheilen, nämlich von dem der Klug-
heit und der Pflicht. Man kann nämlich sagen: handelte
Cato auch klug? hätte er nicht versuchen können, die Frei-
heit, deren Verlust ihn tödtete, seinem Volke wieder zu er-
kämpfen? Und hätte er, wenn auch dieses nicht der Fall
gewesen wäre, sich nicht dennoch seinen Mitbürgern, seinen
Freunden, seiner Familie erhalten müssen?

Der erste Einwurf läßt sich widerlegen durch die Ge-
schichte. Cato mußte wissen und wußte es, daß Rom
sich nicht mehr erheben könne, daß es einen Tyrannen nöthig
habe, und daß für einen despotisch beherrschten Staat nur
Rettung in dem Untergang sei. Wäre es ihm auch

die Bruſt ſtieß, um unter Sklaven nicht leben zu müſſen;
denn Sklaven waren die Römer, ſie mochten in goldnen
oder ehernen Feſſeln liegen — ſie waren gefeſſelt. Der
Römer kannte nur eine Freiheit, ſie war das Geſetz, dem
er ſich aus freier Ueberzeugung als nothwendig fügte;
dieſe Freiheit hatte Cäſar zerſtört, Cato war Sklave,
wenn er ſich dem Geſetz der Willkür beugte. Und war
auch Rom der Freiheit nicht werth
, ſo war doch
die Freiheit ſelbſt werth
, daß Cato für ſie lebte
und ſtarb
. Nimmt man dieſen Beweggrund an, ſo iſt
Cato gerechtfertigt, ich ſehe nicht ein, warum man ſich ſo
ſehr bemüht, einen niedrigern hervorzuheben; ich kann nicht
begreifen, warum man einem Manne, deſſen Leben und
Charakter makellos ſind, das Ende ſeines Lebens ſchänden
will. Der Beweggrund, den ich ſeiner Handlung zu Grunde
lege, ſtimmt mit ſeinem ganzen Charakter überein, iſt ſeines
ganzen Lebens würdig, und alſo der wahre. —

Dieſe That läßt ſich jedoch noch von einem anderen
Standpunkte aus beurtheilen, nämlich von dem der Klug-
heit und der Pflicht. Man kann nämlich ſagen: handelte
Cato auch klug? hätte er nicht verſuchen können, die Frei-
heit, deren Verluſt ihn tödtete, ſeinem Volke wieder zu er-
kämpfen? Und hätte er, wenn auch dieſes nicht der Fall
geweſen wäre, ſich nicht dennoch ſeinen Mitbürgern, ſeinen
Freunden, ſeiner Familie erhalten müſſen?

Der erſte Einwurf läßt ſich widerlegen durch die Ge-
ſchichte. Cato mußte wiſſen und wußte es, daß Rom
ſich nicht mehr erheben könne, daß es einen Tyrannen nöthig
habe, und daß für einen despotiſch beherrſchten Staat nur
Rettung in dem Untergang ſei. Wäre es ihm auch

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0600" n="404"/>
die Bru&#x017F;t &#x017F;tieß, um unter Sklaven nicht leben zu mü&#x017F;&#x017F;en;<lb/>
denn Sklaven waren die Römer, &#x017F;ie mochten in goldnen<lb/>
oder ehernen Fe&#x017F;&#x017F;eln liegen &#x2014; &#x017F;ie waren <hi rendition="#g">gefe&#x017F;&#x017F;elt</hi>. Der<lb/>
Römer kannte nur <hi rendition="#g">eine</hi> Freiheit, &#x017F;ie war das Ge&#x017F;etz, dem<lb/>
er &#x017F;ich aus <hi rendition="#g">freier</hi> Ueberzeugung als <hi rendition="#g">nothwendig</hi> fügte;<lb/>
die&#x017F;e Freiheit hatte <hi rendition="#g">&#x017F;ar</hi> zer&#x017F;tört, <hi rendition="#g">Cato</hi> war Sklave,<lb/>
wenn er &#x017F;ich dem Ge&#x017F;etz der Willkür beugte. <hi rendition="#g">Und war<lb/>
auch Rom der Freiheit nicht werth</hi>, <hi rendition="#g">&#x017F;o war doch<lb/>
die Freiheit &#x017F;elb&#x017F;t werth</hi>, <hi rendition="#g">daß Cato für &#x017F;ie lebte<lb/>
und &#x017F;tarb</hi>. Nimmt man die&#x017F;en Beweggrund an, &#x017F;o i&#x017F;t<lb/>
Cato gerechtfertigt, ich &#x017F;ehe nicht ein, warum man &#x017F;ich &#x017F;o<lb/>
&#x017F;ehr bemüht, einen niedrigern hervorzuheben; ich kann nicht<lb/>
begreifen, warum man einem Manne, de&#x017F;&#x017F;en Leben und<lb/>
Charakter makellos &#x017F;ind, das Ende &#x017F;eines Lebens &#x017F;chänden<lb/>
will. Der Beweggrund, den ich &#x017F;einer Handlung zu Grunde<lb/>
lege, &#x017F;timmt mit &#x017F;einem ganzen Charakter überein, i&#x017F;t &#x017F;eines<lb/>
ganzen Lebens würdig, und al&#x017F;o der wahre. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Die&#x017F;e That läßt &#x017F;ich jedoch noch von einem anderen<lb/>
Standpunkte aus beurtheilen, nämlich von dem der <hi rendition="#g">Klug</hi>-<lb/><hi rendition="#g">heit</hi> und der <hi rendition="#g">Pflicht</hi>. Man kann nämlich &#x017F;agen: handelte<lb/><hi rendition="#g">Cato</hi> auch <hi rendition="#g">klug</hi>? hätte er nicht ver&#x017F;uchen können, die Frei-<lb/>
heit, deren Verlu&#x017F;t ihn tödtete, &#x017F;einem Volke wieder zu er-<lb/>
kämpfen? Und hätte er, wenn auch die&#x017F;es nicht der Fall<lb/>
gewe&#x017F;en wäre, &#x017F;ich nicht dennoch &#x017F;einen Mitbürgern, &#x017F;einen<lb/>
Freunden, &#x017F;einer Familie erhalten <hi rendition="#g">&#x017F;&#x017F;en</hi>?</p><lb/>
          <p>Der er&#x017F;te Einwurf läßt &#x017F;ich widerlegen durch die <hi rendition="#g">Ge</hi>-<lb/><hi rendition="#g">&#x017F;chichte</hi>. <hi rendition="#g">Cato</hi> mußte wi&#x017F;&#x017F;en und wußte es, daß Rom<lb/>
&#x017F;ich nicht mehr erheben könne, daß es einen Tyrannen nöthig<lb/>
habe, und daß für einen despoti&#x017F;ch beherr&#x017F;chten Staat nur<lb/>
Rettung in dem <hi rendition="#g">Untergang</hi> &#x017F;ei. Wäre es ihm auch<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[404/0600] die Bruſt ſtieß, um unter Sklaven nicht leben zu müſſen; denn Sklaven waren die Römer, ſie mochten in goldnen oder ehernen Feſſeln liegen — ſie waren gefeſſelt. Der Römer kannte nur eine Freiheit, ſie war das Geſetz, dem er ſich aus freier Ueberzeugung als nothwendig fügte; dieſe Freiheit hatte Cäſar zerſtört, Cato war Sklave, wenn er ſich dem Geſetz der Willkür beugte. Und war auch Rom der Freiheit nicht werth, ſo war doch die Freiheit ſelbſt werth, daß Cato für ſie lebte und ſtarb. Nimmt man dieſen Beweggrund an, ſo iſt Cato gerechtfertigt, ich ſehe nicht ein, warum man ſich ſo ſehr bemüht, einen niedrigern hervorzuheben; ich kann nicht begreifen, warum man einem Manne, deſſen Leben und Charakter makellos ſind, das Ende ſeines Lebens ſchänden will. Der Beweggrund, den ich ſeiner Handlung zu Grunde lege, ſtimmt mit ſeinem ganzen Charakter überein, iſt ſeines ganzen Lebens würdig, und alſo der wahre. — Dieſe That läßt ſich jedoch noch von einem anderen Standpunkte aus beurtheilen, nämlich von dem der Klug- heit und der Pflicht. Man kann nämlich ſagen: handelte Cato auch klug? hätte er nicht verſuchen können, die Frei- heit, deren Verluſt ihn tödtete, ſeinem Volke wieder zu er- kämpfen? Und hätte er, wenn auch dieſes nicht der Fall geweſen wäre, ſich nicht dennoch ſeinen Mitbürgern, ſeinen Freunden, ſeiner Familie erhalten müſſen? Der erſte Einwurf läßt ſich widerlegen durch die Ge- ſchichte. Cato mußte wiſſen und wußte es, daß Rom ſich nicht mehr erheben könne, daß es einen Tyrannen nöthig habe, und daß für einen despotiſch beherrſchten Staat nur Rettung in dem Untergang ſei. Wäre es ihm auch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/600
Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 404. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/600>, abgerufen am 19.05.2024.