übereifrig im Cult der neuen Götter. Noch 1790 kämpfte der Gemeinderath von Straßburg mit allemannischer Zähigkeit um Aufrechterhaltung seines deutsch-protestantischen Charakters, 1794 beschloß dieselbe Corporation, "die Hyder des Deutsch- thums zu ersticken" -- wie groß mußte die Gluthhitze der Revolution gewesen sein, daß sie dies spröde Volksthum so rasch völlig einzuschmelzen vermocht! Gegen die Universität, das vornehmste Bollwerk deutschen Geistes, richteten sich natürlich auch die wüthigsten Angriffe, denen sie bald, de facto schon 1794, erlag. Die Hörsäle wurden geschlossen, die Professoren als Aristokraten und Verräther in den Kerker geworfen. Einige Jahre hindurch gab es keine höhere Lehr- anstalt in Straßburg; der Jakobinismus konnte nur zer- stören, nicht aufbauen. Erst Napoleon gab der Stadt ein "Seminaire protestant" wieder, an welchem zumeist Lehrer der früheren Hochschule, nun aber natürlich in französischer Sprache, wirkten, ferner eine medicinisch-chirurgische Fachschule, dann eine Rechtsschule, bis er dieselben 1808 unter Hinzu- fügung einer "Faculte des lettres" zu einer "Academie" zu- sammenfaßte. Vor jedem Verkehre mit deutschen Hochschulen ängstlich gehütet, ward diese Anstalt ein Glied der "Uni- versite", des riesigen Verwaltungskörpers für den höheren Unter- richt, welcher vom Centrum aus gelenkt wurde. Aus Paris wurden die Lehrer entsendet, in Paris wurden Geist und Organisation des Unterrichts festgestellt. In diesem System der Centralisation, in dieser Niederhaltung aller Individualität, welche ja auch für wissenschaftliche Strebungen der belebende Hauch ist, liegt der Grund, warum die Straßburger Aka- demie weder zur Zeit, da Georg Büchner ihre Hörsäle betrat, noch später bis zu ihrem Ende (1870) Hervorragendes leistete.
übereifrig im Cult der neuen Götter. Noch 1790 kämpfte der Gemeinderath von Straßburg mit allemanniſcher Zähigkeit um Aufrechterhaltung ſeines deutſch-proteſtantiſchen Charakters, 1794 beſchloß dieſelbe Corporation, "die Hyder des Deutſch- thums zu erſticken" — wie groß mußte die Gluthhitze der Revolution geweſen ſein, daß ſie dies ſpröde Volksthum ſo raſch völlig einzuſchmelzen vermocht! Gegen die Univerſität, das vornehmſte Bollwerk deutſchen Geiſtes, richteten ſich natürlich auch die wüthigſten Angriffe, denen ſie bald, de facto ſchon 1794, erlag. Die Hörſäle wurden geſchloſſen, die Profeſſoren als Ariſtokraten und Verräther in den Kerker geworfen. Einige Jahre hindurch gab es keine höhere Lehr- anſtalt in Straßburg; der Jakobinismus konnte nur zer- ſtören, nicht aufbauen. Erſt Napoleon gab der Stadt ein "Séminaire protestant" wieder, an welchem zumeiſt Lehrer der früheren Hochſchule, nun aber natürlich in franzöſiſcher Sprache, wirkten, ferner eine mediciniſch-chirurgiſche Fachſchule, dann eine Rechtsſchule, bis er dieſelben 1808 unter Hinzu- fügung einer "Faculté des lettres" zu einer "Académie" zu- ſammenfaßte. Vor jedem Verkehre mit deutſchen Hochſchulen ängſtlich gehütet, ward dieſe Anſtalt ein Glied der "Uni- versité", des rieſigen Verwaltungskörpers für den höheren Unter- richt, welcher vom Centrum aus gelenkt wurde. Aus Paris wurden die Lehrer entſendet, in Paris wurden Geiſt und Organiſation des Unterrichts feſtgeſtellt. In dieſem Syſtem der Centraliſation, in dieſer Niederhaltung aller Individualität, welche ja auch für wiſſenſchaftliche Strebungen der belebende Hauch iſt, liegt der Grund, warum die Straßburger Aka- demie weder zur Zeit, da Georg Büchner ihre Hörſäle betrat, noch ſpäter bis zu ihrem Ende (1870) Hervorragendes leiſtete.
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übereifrig im Cult der neuen Götter. Noch 1790 kämpfte
der Gemeinderath von Straßburg mit allemanniſcher Zähigkeit
um Aufrechterhaltung ſeines deutſch-proteſtantiſchen Charakters,
1794 beſchloß dieſelbe Corporation, "die Hyder des Deutſch-
thums zu erſticken" — wie groß mußte die Gluthhitze der
Revolution geweſen ſein, daß ſie dies ſpröde Volksthum ſo
raſch völlig einzuſchmelzen vermocht! Gegen die Univerſität,
das vornehmſte Bollwerk deutſchen Geiſtes, richteten ſich
natürlich auch die wüthigſten Angriffe, denen ſie bald, de
facto ſchon 1794, erlag. Die Hörſäle wurden geſchloſſen,
die Profeſſoren als Ariſtokraten und Verräther in den Kerker
geworfen. Einige Jahre hindurch gab es keine höhere Lehr-
anſtalt in Straßburg; der Jakobinismus konnte nur zer-
ſtören, nicht aufbauen. Erſt Napoleon gab der Stadt ein
"Séminaire protestant" wieder, an welchem zumeiſt Lehrer
der früheren Hochſchule, nun aber natürlich in franzöſiſcher
Sprache, wirkten, ferner eine mediciniſch-chirurgiſche Fachſchule,
dann eine Rechtsſchule, bis er dieſelben 1808 unter Hinzu-
fügung einer "Faculté des lettres" zu einer "Académie" zu-
ſammenfaßte. Vor jedem Verkehre mit deutſchen Hochſchulen
ängſtlich gehütet, ward dieſe Anſtalt ein Glied der "Uni-
versité", des rieſigen Verwaltungskörpers für den höheren Unter-
richt, welcher vom Centrum aus gelenkt wurde. Aus Paris
wurden die Lehrer entſendet, in Paris wurden Geiſt und
Organiſation des Unterrichts feſtgeſtellt. In dieſem Syſtem
der Centraliſation, in dieſer Niederhaltung aller Individualität,
welche ja auch für wiſſenſchaftliche Strebungen der belebende
Hauch iſt, liegt der Grund, warum die Straßburger Aka-
demie weder zur Zeit, da Georg Büchner ihre Hörſäle betrat,
noch ſpäter bis zu ihrem Ende (1870) Hervorragendes leiſtete.
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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. XL. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/56>, abgerufen am 27.11.2024.
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