Wesentlichen so unabhängig, wie sie am 1. Mai 1587 von der Stadt auf eigene Kosten gegründet worden. Aus dem- selben Jahre, da Goethe immatriculirt worden, liegt ein Memorandum des akademischen Convents vor, welches stolz betont "daß gedachte Universitas sowohl in Ansehung ihrer eigenen Verfassung, als auch sonderlich in Absicht auf andere berühmte Universitäten in Deutschland als eine deutsche und protestantische muß angesehen werden, weßwegen sie denn auch mit den französischen Universitäten in keiner Gemein- schaft oder Confraternität steht". Geist und Sprache des Unterrichts waren durchaus deutsch, daher auch von franzö- sischen Unterthanen nur Elsässer da studirten, während das Hauptcontingent der Studentenschaft aus Deutschland kam, angezogen durch die berühmten Lehrer Koch, Böcklin, Oberlin, Schöpflin, Lobstein u. m. A. Auch das studentische Leben zeigte keine Spur französischen Anstrichs und die "allerliebste, hoffnungsvolle, academische Plebs," wie Goethe seine Com- militonen nennt, vergnügte sich hier nicht anders, als in Heidelberg oder Göttingen.
Kaum zwei Menschenalter später kam Büchner zu gleichem Zwecke nach Straßburg, aber er fand eine französische Stadt und eine französische Hochschule. Nur das Münster und die altdeutschen Giebelhäuser waren dieselben geblieben, wie in Goethe's Tagen -- Sprache, Ueberzeugung und Lebensfüh- rung der Menschen hatten sich unerhört gewandelt. Selten berichtet die Culturgeschichte von so gründlicher Veränderung binnen relativ kurzer Frist. Was dem absoluten König- thum binnen einem Jahrhundert nicht gelungen, hatte die Revolution in einigen Jahren vollbracht: Die Elsässer waren Franzosen geworden und, wie alle Renegaten, fanatisch und
Weſentlichen ſo unabhängig, wie ſie am 1. Mai 1587 von der Stadt auf eigene Koſten gegründet worden. Aus dem- ſelben Jahre, da Goethe immatriculirt worden, liegt ein Memorandum des akademiſchen Convents vor, welches ſtolz betont "daß gedachte Universitas ſowohl in Anſehung ihrer eigenen Verfaſſung, als auch ſonderlich in Abſicht auf andere berühmte Univerſitäten in Deutſchland als eine deutſche und proteſtantiſche muß angeſehen werden, weßwegen ſie denn auch mit den franzöſiſchen Univerſitäten in keiner Gemein- ſchaft oder Confraternität ſteht". Geiſt und Sprache des Unterrichts waren durchaus deutſch, daher auch von franzö- ſiſchen Unterthanen nur Elſäſſer da ſtudirten, während das Hauptcontingent der Studentenſchaft aus Deutſchland kam, angezogen durch die berühmten Lehrer Koch, Böcklin, Oberlin, Schöpflin, Lobſtein u. m. A. Auch das ſtudentiſche Leben zeigte keine Spur franzöſiſchen Anſtrichs und die "allerliebſte, hoffnungsvolle, academiſche Plebs," wie Goethe ſeine Com- militonen nennt, vergnügte ſich hier nicht anders, als in Heidelberg oder Göttingen.
Kaum zwei Menſchenalter ſpäter kam Büchner zu gleichem Zwecke nach Straßburg, aber er fand eine franzöſiſche Stadt und eine franzöſiſche Hochſchule. Nur das Münſter und die altdeutſchen Giebelhäuſer waren dieſelben geblieben, wie in Goethe's Tagen — Sprache, Ueberzeugung und Lebensfüh- rung der Menſchen hatten ſich unerhört gewandelt. Selten berichtet die Culturgeſchichte von ſo gründlicher Veränderung binnen relativ kurzer Friſt. Was dem abſoluten König- thum binnen einem Jahrhundert nicht gelungen, hatte die Revolution in einigen Jahren vollbracht: Die Elſäſſer waren Franzoſen geworden und, wie alle Renegaten, fanatiſch und
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[XXXIX/0055]
Weſentlichen ſo unabhängig, wie ſie am 1. Mai 1587 von
der Stadt auf eigene Koſten gegründet worden. Aus dem-
ſelben Jahre, da Goethe immatriculirt worden, liegt ein
Memorandum des akademiſchen Convents vor, welches ſtolz
betont "daß gedachte Universitas ſowohl in Anſehung ihrer
eigenen Verfaſſung, als auch ſonderlich in Abſicht auf andere
berühmte Univerſitäten in Deutſchland als eine deutſche und
proteſtantiſche muß angeſehen werden, weßwegen ſie denn
auch mit den franzöſiſchen Univerſitäten in keiner Gemein-
ſchaft oder Confraternität ſteht". Geiſt und Sprache des
Unterrichts waren durchaus deutſch, daher auch von franzö-
ſiſchen Unterthanen nur Elſäſſer da ſtudirten, während das
Hauptcontingent der Studentenſchaft aus Deutſchland kam,
angezogen durch die berühmten Lehrer Koch, Böcklin, Oberlin,
Schöpflin, Lobſtein u. m. A. Auch das ſtudentiſche Leben
zeigte keine Spur franzöſiſchen Anſtrichs und die "allerliebſte,
hoffnungsvolle, academiſche Plebs," wie Goethe ſeine Com-
militonen nennt, vergnügte ſich hier nicht anders, als in
Heidelberg oder Göttingen.
Kaum zwei Menſchenalter ſpäter kam Büchner zu gleichem
Zwecke nach Straßburg, aber er fand eine franzöſiſche Stadt
und eine franzöſiſche Hochſchule. Nur das Münſter und die
altdeutſchen Giebelhäuſer waren dieſelben geblieben, wie in
Goethe's Tagen — Sprache, Ueberzeugung und Lebensfüh-
rung der Menſchen hatten ſich unerhört gewandelt. Selten
berichtet die Culturgeſchichte von ſo gründlicher Veränderung
binnen relativ kurzer Friſt. Was dem abſoluten König-
thum binnen einem Jahrhundert nicht gelungen, hatte die
Revolution in einigen Jahren vollbracht: Die Elſäſſer waren
Franzoſen geworden und, wie alle Renegaten, fanatiſch und
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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. XXXIX. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/55>, abgerufen am 27.11.2024.
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