Ich bin abgefallen, verdammt in Ewigkeit, ich bin der ewige Jude. Oberlin sagte ihm, dafür sei Jesus gestorben, er möge sich brünstig an ihn wenden, und er würde Theil haben an seiner Gnade.
Lenz erhob das Haupt, rang die Hände und sagte: Ach! ach! göttlicher Trost. Dann frug er plötzlich freund- lich, was das Frauenzimmer mache. Oberlin sagte, er wisse von nichts, er wolle ihm aber in Allem helfen und rathen, er müsse ihm aber Ort, Umstände und Person angeben. Er antwortete nichts, wie gebrochene Worte: ach sie ist todt! Lebt sie noch? du Engel, sie liebte mich -- ich liebte sie, sie war's würdig, o du Engel! Verfluchte Eifersucht, ich habe sie aufgeopfert -- sie liebte noch einen Andern -- ich liebte sie, sie war's würdig, -- o gute Mutter, auch die liebte mich. Ich bin ein Mörder. Oberlin versetzte, vielleicht lebten alle diese Personen noch, vielleicht vergnügt; es möge sein, wie es wolle, so könne und werde Gott, wenn er sich zu ihm bekehrt haben würde, diesen Personen auf sein Gebet und Thränen soviel Gutes erweisen, daß der Nutzen, den sie alsdann von ihm hätten, den Schaden, den er ihnen zugefügt, vielleicht überwiegen würde. Er wurde darauf nach und nach ruhiger und ging wieder an sein Malen.
Den Nachmittag kam er wieder, auf der linken Schulter hatte er ein Stück Pelz und in der Hand ein Bündel Gerten, die man Oberlin nebst einem Briefe für Lenz mit- gegeben hatte. Er reichte Oberlin die Gerten mit dem Begehren, er sollte ihn damit schlagen. Oberlin nahm die Gerten aus seiner Hand, drückte ihm einige Küsse auf den Mund und sagte: dies wären die Streiche, die er ihm zu
Ich bin abgefallen, verdammt in Ewigkeit, ich bin der ewige Jude. Oberlin ſagte ihm, dafür ſei Jeſus geſtorben, er möge ſich brünſtig an ihn wenden, und er würde Theil haben an ſeiner Gnade.
Lenz erhob das Haupt, rang die Hände und ſagte: Ach! ach! göttlicher Troſt. Dann frug er plötzlich freund- lich, was das Frauenzimmer mache. Oberlin ſagte, er wiſſe von nichts, er wolle ihm aber in Allem helfen und rathen, er müſſe ihm aber Ort, Umſtände und Perſon angeben. Er antwortete nichts, wie gebrochene Worte: ach ſie iſt todt! Lebt ſie noch? du Engel, ſie liebte mich — ich liebte ſie, ſie war's würdig, o du Engel! Verfluchte Eiferſucht, ich habe ſie aufgeopfert — ſie liebte noch einen Andern — ich liebte ſie, ſie war's würdig, — o gute Mutter, auch die liebte mich. Ich bin ein Mörder. Oberlin verſetzte, vielleicht lebten alle dieſe Perſonen noch, vielleicht vergnügt; es möge ſein, wie es wolle, ſo könne und werde Gott, wenn er ſich zu ihm bekehrt haben würde, dieſen Perſonen auf ſein Gebet und Thränen ſoviel Gutes erweiſen, daß der Nutzen, den ſie alsdann von ihm hätten, den Schaden, den er ihnen zugefügt, vielleicht überwiegen würde. Er wurde darauf nach und nach ruhiger und ging wieder an ſein Malen.
Den Nachmittag kam er wieder, auf der linken Schulter hatte er ein Stück Pelz und in der Hand ein Bündel Gerten, die man Oberlin nebſt einem Briefe für Lenz mit- gegeben hatte. Er reichte Oberlin die Gerten mit dem Begehren, er ſollte ihn damit ſchlagen. Oberlin nahm die Gerten aus ſeiner Hand, drückte ihm einige Küſſe auf den Mund und ſagte: dies wären die Streiche, die er ihm zu
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Ich bin abgefallen, verdammt in Ewigkeit, ich bin der ewige
Jude. Oberlin ſagte ihm, dafür ſei Jeſus geſtorben, er
möge ſich brünſtig an ihn wenden, und er würde Theil haben
an ſeiner Gnade.
Lenz erhob das Haupt, rang die Hände und ſagte:
Ach! ach! göttlicher Troſt. Dann frug er plötzlich freund-
lich, was das Frauenzimmer mache. Oberlin ſagte, er wiſſe
von nichts, er wolle ihm aber in Allem helfen und rathen,
er müſſe ihm aber Ort, Umſtände und Perſon angeben.
Er antwortete nichts, wie gebrochene Worte: ach ſie iſt
todt! Lebt ſie noch? du Engel, ſie liebte mich — ich liebte
ſie, ſie war's würdig, o du Engel! Verfluchte Eiferſucht,
ich habe ſie aufgeopfert — ſie liebte noch einen Andern —
ich liebte ſie, ſie war's würdig, — o gute Mutter, auch
die liebte mich. Ich bin ein Mörder. Oberlin verſetzte,
vielleicht lebten alle dieſe Perſonen noch, vielleicht vergnügt;
es möge ſein, wie es wolle, ſo könne und werde Gott, wenn
er ſich zu ihm bekehrt haben würde, dieſen Perſonen auf
ſein Gebet und Thränen ſoviel Gutes erweiſen, daß der
Nutzen, den ſie alsdann von ihm hätten, den Schaden, den
er ihnen zugefügt, vielleicht überwiegen würde. Er wurde
darauf nach und nach ruhiger und ging wieder an ſein
Malen.
Den Nachmittag kam er wieder, auf der linken Schulter
hatte er ein Stück Pelz und in der Hand ein Bündel
Gerten, die man Oberlin nebſt einem Briefe für Lenz mit-
gegeben hatte. Er reichte Oberlin die Gerten mit dem
Begehren, er ſollte ihn damit ſchlagen. Oberlin nahm die
Gerten aus ſeiner Hand, drückte ihm einige Küſſe auf den
Mund und ſagte: dies wären die Streiche, die er ihm zu
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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/426>, abgerufen am 25.11.2024.
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