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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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langte. Er wickelte den Sack um sich, wie ein Büßender,
und schlug den Weg nach Fouday ein. Die Leute im Thale
waren ihn schon gewohnt; man erzählte sich allerlei Selt-
sames von ihm. Er kam ins Haus, wo das Kind lag.
Die Leute gingen gleichgiltig ihrem Geschäfte nach; man
wies ihm eine Kammer, das Kind lag im Hemde auf Stroh,
auf einem Holztisch.

Lenz schauderte, wie er die kalten Glieder berührte und
die halbgeöffneten gläsernen Augen sah. Das Kind kam
ihm so verlassen vor, und er sich so allein und einsam; er
warf sich über die Leiche nieder; der Tod erschreckte ihn,
ein heftiger Schmerz faßte ihn an, diese Züge, dieses stille
Gesicht sollten verwesen, er warf sich nieder; er betete mit
allem Jammer der Verzweiflung, daß Gott ein Zeichen an
ihm thue, und das Kind beleben möge, wie er schwach und
unglücklich sei; dann sank er ganz in sich und wühlte all'
seinen Willen auf einen Punkt; so saß er lange starr.
Dann erhob er sich und faßte die Hände des Kindes und
sprach laut und fest: "Stehe auf und wandle!" Aber die
Wände hallten ihm nüchtern den Ton nach, daß es zu
spotten schien, und die Leiche blieb kalt. Da stürzte er halb
wahnsinnig nieder, dann jagte es ihn auf, hinaus ins Gebirg.
Wolken zogen rasch über den Mond; bald Alles im Finstern,
bald zeigten sie die nebelhaft verschwindende Landschaft im
Mondschein. Er rannte auf und ab. In seiner Brust
war ein Triumphgesang der Hölle. Der Wind klang wie
ein Titanenlied, es war ihm, als könne er eine ungeheure
Faust hinauf in den Himmel ballen und Gott herbeireißen
und zwischen seinen Wolken schleifen; als könnte er die Welt
mit den Zähnen zermalmen und sie dem Schöpfer ins Gesicht

langte. Er wickelte den Sack um ſich, wie ein Büßender,
und ſchlug den Weg nach Fouday ein. Die Leute im Thale
waren ihn ſchon gewohnt; man erzählte ſich allerlei Selt-
ſames von ihm. Er kam ins Haus, wo das Kind lag.
Die Leute gingen gleichgiltig ihrem Geſchäfte nach; man
wies ihm eine Kammer, das Kind lag im Hemde auf Stroh,
auf einem Holztiſch.

Lenz ſchauderte, wie er die kalten Glieder berührte und
die halbgeöffneten gläſernen Augen ſah. Das Kind kam
ihm ſo verlaſſen vor, und er ſich ſo allein und einſam; er
warf ſich über die Leiche nieder; der Tod erſchreckte ihn,
ein heftiger Schmerz faßte ihn an, dieſe Züge, dieſes ſtille
Geſicht ſollten verweſen, er warf ſich nieder; er betete mit
allem Jammer der Verzweiflung, daß Gott ein Zeichen an
ihm thue, und das Kind beleben möge, wie er ſchwach und
unglücklich ſei; dann ſank er ganz in ſich und wühlte all'
ſeinen Willen auf einen Punkt; ſo ſaß er lange ſtarr.
Dann erhob er ſich und faßte die Hände des Kindes und
ſprach laut und feſt: "Stehe auf und wandle!" Aber die
Wände hallten ihm nüchtern den Ton nach, daß es zu
ſpotten ſchien, und die Leiche blieb kalt. Da ſtürzte er halb
wahnſinnig nieder, dann jagte es ihn auf, hinaus ins Gebirg.
Wolken zogen raſch über den Mond; bald Alles im Finſtern,
bald zeigten ſie die nebelhaft verſchwindende Landſchaft im
Mondſchein. Er rannte auf und ab. In ſeiner Bruſt
war ein Triumphgeſang der Hölle. Der Wind klang wie
ein Titanenlied, es war ihm, als könne er eine ungeheure
Fauſt hinauf in den Himmel ballen und Gott herbeireißen
und zwiſchen ſeinen Wolken ſchleifen; als könnte er die Welt
mit den Zähnen zermalmen und ſie dem Schöpfer ins Geſicht

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[228/0424] langte. Er wickelte den Sack um ſich, wie ein Büßender, und ſchlug den Weg nach Fouday ein. Die Leute im Thale waren ihn ſchon gewohnt; man erzählte ſich allerlei Selt- ſames von ihm. Er kam ins Haus, wo das Kind lag. Die Leute gingen gleichgiltig ihrem Geſchäfte nach; man wies ihm eine Kammer, das Kind lag im Hemde auf Stroh, auf einem Holztiſch. Lenz ſchauderte, wie er die kalten Glieder berührte und die halbgeöffneten gläſernen Augen ſah. Das Kind kam ihm ſo verlaſſen vor, und er ſich ſo allein und einſam; er warf ſich über die Leiche nieder; der Tod erſchreckte ihn, ein heftiger Schmerz faßte ihn an, dieſe Züge, dieſes ſtille Geſicht ſollten verweſen, er warf ſich nieder; er betete mit allem Jammer der Verzweiflung, daß Gott ein Zeichen an ihm thue, und das Kind beleben möge, wie er ſchwach und unglücklich ſei; dann ſank er ganz in ſich und wühlte all' ſeinen Willen auf einen Punkt; ſo ſaß er lange ſtarr. Dann erhob er ſich und faßte die Hände des Kindes und ſprach laut und feſt: "Stehe auf und wandle!" Aber die Wände hallten ihm nüchtern den Ton nach, daß es zu ſpotten ſchien, und die Leiche blieb kalt. Da ſtürzte er halb wahnſinnig nieder, dann jagte es ihn auf, hinaus ins Gebirg. Wolken zogen raſch über den Mond; bald Alles im Finſtern, bald zeigten ſie die nebelhaft verſchwindende Landſchaft im Mondſchein. Er rannte auf und ab. In ſeiner Bruſt war ein Triumphgeſang der Hölle. Der Wind klang wie ein Titanenlied, es war ihm, als könne er eine ungeheure Fauſt hinauf in den Himmel ballen und Gott herbeireißen und zwiſchen ſeinen Wolken ſchleifen; als könnte er die Welt mit den Zähnen zermalmen und ſie dem Schöpfer ins Geſicht

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/424>, abgerufen am 25.11.2024.