er mir geben? Unmöglich! Laßt mich in Ruhe. -- Er wurde heftig, Kaufmann ging, Lenz war verstimmt.
Am folgenden Tage wollte Kaufmann weg, er beredete Oberlin, mit ihm in die Schweiz zu gehen. Der Wunsch, Lavater, den er längst durch Briefe kannte, auch persönlich kennen zu lernen, bestimmte ihn. Er sagte es zu. Man mußte einen Tag länger wegen der Zurüstungen warten. Lenz fiel das aufs Herz, er hatte, um seiner unendlichen Qual los zu werden, sich ängstlich an Alles geklammert; er fühlte in einzelnen Augenblicken tief, wie er sich Alles nur zurecht mache; er ging mit sich um wie mit einem kranken Kinde, manche Gedanken, mächtige Gefühle wurde er nur mit der größten Angst los, da trieb es ihn wieder mit unendlicher Gewalt darauf, er zitterte, das Haar sträubte ihm fast, bis er es in der ungeheuersten Anspannung er- schöpfte. Er rettete sich in eine Gestalt, die ihm immer vor Augen schwebte, und in Oberlin; seine Worte, sein Gesicht thaten ihm unendlich wohl. So sah er mit Angst dessen Abreise entgegen.
Es war Lenzen unheimlich, jetzt allein im Hause zu bleiben. Das Wetter war milde geworden, er beschloß, Oberlin zu begleiten, ins Gebirg. Auf der andern Seite, wo die Thäler in die Ebene ausliefen, trennten sie sich. Er ging allein zurück. Er durchstrich das Gebirg in ver- schiedenen Richtungen, breite Flächen zogen sich in die Thäler herab, wenig Wald, nichts als gewaltige Linien und weiter hinaus die weite, rauchende Ebene, in der Luft ein gewaltiges Wehen, nirgends eine Spur von Menschen, als hie und da eine verlassene Hütte, wo die Hirten den Sommer zubrachten, an den Abhängen gelehnt. Er wurde still, vielleicht fast
er mir geben? Unmöglich! Laßt mich in Ruhe. — Er wurde heftig, Kaufmann ging, Lenz war verſtimmt.
Am folgenden Tage wollte Kaufmann weg, er beredete Oberlin, mit ihm in die Schweiz zu gehen. Der Wunſch, Lavater, den er längſt durch Briefe kannte, auch perſönlich kennen zu lernen, beſtimmte ihn. Er ſagte es zu. Man mußte einen Tag länger wegen der Zurüſtungen warten. Lenz fiel das aufs Herz, er hatte, um ſeiner unendlichen Qual los zu werden, ſich ängſtlich an Alles geklammert; er fühlte in einzelnen Augenblicken tief, wie er ſich Alles nur zurecht mache; er ging mit ſich um wie mit einem kranken Kinde, manche Gedanken, mächtige Gefühle wurde er nur mit der größten Angſt los, da trieb es ihn wieder mit unendlicher Gewalt darauf, er zitterte, das Haar ſträubte ihm faſt, bis er es in der ungeheuerſten Anſpannung er- ſchöpfte. Er rettete ſich in eine Geſtalt, die ihm immer vor Augen ſchwebte, und in Oberlin; ſeine Worte, ſein Geſicht thaten ihm unendlich wohl. So ſah er mit Angſt deſſen Abreiſe entgegen.
Es war Lenzen unheimlich, jetzt allein im Hauſe zu bleiben. Das Wetter war milde geworden, er beſchloß, Oberlin zu begleiten, ins Gebirg. Auf der andern Seite, wo die Thäler in die Ebene ausliefen, trennten ſie ſich. Er ging allein zurück. Er durchſtrich das Gebirg in ver- ſchiedenen Richtungen, breite Flächen zogen ſich in die Thäler herab, wenig Wald, nichts als gewaltige Linien und weiter hinaus die weite, rauchende Ebene, in der Luft ein gewaltiges Wehen, nirgends eine Spur von Menſchen, als hie und da eine verlaſſene Hütte, wo die Hirten den Sommer zubrachten, an den Abhängen gelehnt. Er wurde ſtill, vielleicht faſt
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er mir geben? Unmöglich! Laßt mich in Ruhe. — Er
wurde heftig, Kaufmann ging, Lenz war verſtimmt.
Am folgenden Tage wollte Kaufmann weg, er beredete
Oberlin, mit ihm in die Schweiz zu gehen. Der Wunſch,
Lavater, den er längſt durch Briefe kannte, auch perſönlich
kennen zu lernen, beſtimmte ihn. Er ſagte es zu. Man
mußte einen Tag länger wegen der Zurüſtungen warten.
Lenz fiel das aufs Herz, er hatte, um ſeiner unendlichen
Qual los zu werden, ſich ängſtlich an Alles geklammert;
er fühlte in einzelnen Augenblicken tief, wie er ſich Alles
nur zurecht mache; er ging mit ſich um wie mit einem
kranken Kinde, manche Gedanken, mächtige Gefühle wurde
er nur mit der größten Angſt los, da trieb es ihn wieder
mit unendlicher Gewalt darauf, er zitterte, das Haar ſträubte
ihm faſt, bis er es in der ungeheuerſten Anſpannung er-
ſchöpfte. Er rettete ſich in eine Geſtalt, die ihm immer
vor Augen ſchwebte, und in Oberlin; ſeine Worte, ſein
Geſicht thaten ihm unendlich wohl. So ſah er mit Angſt
deſſen Abreiſe entgegen.
Es war Lenzen unheimlich, jetzt allein im Hauſe zu
bleiben. Das Wetter war milde geworden, er beſchloß,
Oberlin zu begleiten, ins Gebirg. Auf der andern Seite,
wo die Thäler in die Ebene ausliefen, trennten ſie ſich.
Er ging allein zurück. Er durchſtrich das Gebirg in ver-
ſchiedenen Richtungen, breite Flächen zogen ſich in die Thäler
herab, wenig Wald, nichts als gewaltige Linien und weiter
hinaus die weite, rauchende Ebene, in der Luft ein gewaltiges
Wehen, nirgends eine Spur von Menſchen, als hie und da
eine verlaſſene Hütte, wo die Hirten den Sommer zubrachten,
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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/418>, abgerufen am 25.11.2024.
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