Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

gekonnt und sie verrichtet die Andacht zu Haus; das Fenster
ist offen, sie sitzt darnach hingewandt, und es ist, als
schwebten zu dem Fenster über die weite ebne Landschaft die
Glockentöne von dem Dorfe herein und verhallt der Sang
der nahen Gemeinde aus der Kirche her, und die Frau liest
den Text nach. -- In der Art sprach Lenz weiter, man
horchte auf, es traf Vieles, er war roth geworden über den
Reden, und bald lächelnd, bald ernst, schüttelte er die blonden
Locken. Er hatte sich ganz vergessen. Nach dem Essen nahm
ihn Kaufmann bei Seite. Er hatte Briefe von Lenzen's
Vater erhalten, sein Sohn sollte zurück, ihn unterstützen.
Kaufmann sagte ihm, wie er sein Leben hier verschleudre,
unnütz verliere, er solle sich ein Ziel stecken und dergleichen
mehr. Lenz fuhr ihn an: Hier weg, weg! nach Haus?
Toll werden dort? Du weißt, ich kann es nirgends aus-
halten, als da herum, in der Gegend. Wenn ich nicht
manchmal auf einen Berg könnte und die Gegend sehen
könnte, und dann wieder herunter ins Haus, durch den
Garten gehn, und zum Fenster hineinsehn, -- ich würde
toll! toll! Laßt mich doch in Ruhe! Nur ein bischen
Ruhe jetzt, wo es mir ein wenig wohl wird! Weg? Ich
verstehe das nicht, mit den zwei Worten ist die Welt ver-
hunzt. Jeder hat was nöthig; wenn er ruhen kann, was
könnt' er mehr haben! Immer steigen, ringen und so in
Ewigkeit Alles, was der Augenblick gibt, wegwerfen und
immer darben, um einmal zu genießen! Dürsten, während
einem helle Quellen über den Weg springen! Es ist mir
jetzt erträglich, und da will ich bleiben; warum? warum?
Eben weil es mir wohl ist; was will mein Vater? Kann

gekonnt und ſie verrichtet die Andacht zu Haus; das Fenſter
iſt offen, ſie ſitzt darnach hingewandt, und es iſt, als
ſchwebten zu dem Fenſter über die weite ebne Landſchaft die
Glockentöne von dem Dorfe herein und verhallt der Sang
der nahen Gemeinde aus der Kirche her, und die Frau lieſt
den Text nach. — In der Art ſprach Lenz weiter, man
horchte auf, es traf Vieles, er war roth geworden über den
Reden, und bald lächelnd, bald ernſt, ſchüttelte er die blonden
Locken. Er hatte ſich ganz vergeſſen. Nach dem Eſſen nahm
ihn Kaufmann bei Seite. Er hatte Briefe von Lenzen's
Vater erhalten, ſein Sohn ſollte zurück, ihn unterſtützen.
Kaufmann ſagte ihm, wie er ſein Leben hier verſchleudre,
unnütz verliere, er ſolle ſich ein Ziel ſtecken und dergleichen
mehr. Lenz fuhr ihn an: Hier weg, weg! nach Haus?
Toll werden dort? Du weißt, ich kann es nirgends aus-
halten, als da herum, in der Gegend. Wenn ich nicht
manchmal auf einen Berg könnte und die Gegend ſehen
könnte, und dann wieder herunter ins Haus, durch den
Garten gehn, und zum Fenſter hineinſehn, — ich würde
toll! toll! Laßt mich doch in Ruhe! Nur ein bischen
Ruhe jetzt, wo es mir ein wenig wohl wird! Weg? Ich
verſtehe das nicht, mit den zwei Worten iſt die Welt ver-
hunzt. Jeder hat was nöthig; wenn er ruhen kann, was
könnt' er mehr haben! Immer ſteigen, ringen und ſo in
Ewigkeit Alles, was der Augenblick gibt, wegwerfen und
immer darben, um einmal zu genießen! Dürſten, während
einem helle Quellen über den Weg ſpringen! Es iſt mir
jetzt erträglich, und da will ich bleiben; warum? warum?
Eben weil es mir wohl iſt; was will mein Vater? Kann

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0417" n="221"/>
gekonnt und &#x017F;ie verrichtet die Andacht zu Haus; das Fen&#x017F;ter<lb/>
i&#x017F;t offen, &#x017F;ie &#x017F;itzt darnach hingewandt, und es i&#x017F;t, als<lb/>
&#x017F;chwebten zu dem Fen&#x017F;ter über die weite ebne Land&#x017F;chaft die<lb/>
Glockentöne von dem Dorfe herein und verhallt der Sang<lb/>
der nahen Gemeinde aus der Kirche her, und die Frau lie&#x017F;t<lb/>
den Text nach. &#x2014; In <hi rendition="#g">der</hi> Art &#x017F;prach Lenz weiter, man<lb/>
horchte auf, es traf Vieles, er war roth geworden über den<lb/>
Reden, und bald lächelnd, bald ern&#x017F;t, &#x017F;chüttelte er die blonden<lb/>
Locken. Er hatte &#x017F;ich ganz verge&#x017F;&#x017F;en. Nach dem E&#x017F;&#x017F;en nahm<lb/>
ihn Kaufmann bei Seite. Er hatte Briefe von Lenzen's<lb/>
Vater erhalten, &#x017F;ein Sohn &#x017F;ollte zurück, ihn unter&#x017F;tützen.<lb/>
Kaufmann &#x017F;agte ihm, wie er &#x017F;ein Leben hier ver&#x017F;chleudre,<lb/>
unnütz verliere, er &#x017F;olle &#x017F;ich ein Ziel &#x017F;tecken und dergleichen<lb/>
mehr. Lenz fuhr ihn an: Hier weg, weg! nach Haus?<lb/>
Toll werden dort? Du weißt, ich kann es nirgends aus-<lb/>
halten, als da herum, in der Gegend. Wenn ich nicht<lb/>
manchmal auf einen Berg könnte und die Gegend &#x017F;ehen<lb/>
könnte, und dann wieder herunter ins Haus, durch den<lb/>
Garten gehn, und zum Fen&#x017F;ter hinein&#x017F;ehn, &#x2014; ich würde<lb/>
toll! toll! Laßt mich doch in Ruhe! Nur ein bischen<lb/>
Ruhe jetzt, wo es mir ein wenig wohl wird! Weg? Ich<lb/>
ver&#x017F;tehe das nicht, mit den zwei Worten i&#x017F;t die Welt ver-<lb/>
hunzt. Jeder hat was nöthig; wenn er ruhen kann, was<lb/>
könnt' er mehr haben! Immer &#x017F;teigen, ringen und &#x017F;o in<lb/>
Ewigkeit Alles, was der Augenblick gibt, wegwerfen und<lb/>
immer darben, um einmal zu genießen! Dür&#x017F;ten, während<lb/>
einem helle Quellen über den Weg &#x017F;pringen! Es i&#x017F;t mir<lb/>
jetzt erträglich, und da will ich bleiben; warum? warum?<lb/>
Eben weil es mir wohl i&#x017F;t; was will mein Vater? Kann<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[221/0417] gekonnt und ſie verrichtet die Andacht zu Haus; das Fenſter iſt offen, ſie ſitzt darnach hingewandt, und es iſt, als ſchwebten zu dem Fenſter über die weite ebne Landſchaft die Glockentöne von dem Dorfe herein und verhallt der Sang der nahen Gemeinde aus der Kirche her, und die Frau lieſt den Text nach. — In der Art ſprach Lenz weiter, man horchte auf, es traf Vieles, er war roth geworden über den Reden, und bald lächelnd, bald ernſt, ſchüttelte er die blonden Locken. Er hatte ſich ganz vergeſſen. Nach dem Eſſen nahm ihn Kaufmann bei Seite. Er hatte Briefe von Lenzen's Vater erhalten, ſein Sohn ſollte zurück, ihn unterſtützen. Kaufmann ſagte ihm, wie er ſein Leben hier verſchleudre, unnütz verliere, er ſolle ſich ein Ziel ſtecken und dergleichen mehr. Lenz fuhr ihn an: Hier weg, weg! nach Haus? Toll werden dort? Du weißt, ich kann es nirgends aus- halten, als da herum, in der Gegend. Wenn ich nicht manchmal auf einen Berg könnte und die Gegend ſehen könnte, und dann wieder herunter ins Haus, durch den Garten gehn, und zum Fenſter hineinſehn, — ich würde toll! toll! Laßt mich doch in Ruhe! Nur ein bischen Ruhe jetzt, wo es mir ein wenig wohl wird! Weg? Ich verſtehe das nicht, mit den zwei Worten iſt die Welt ver- hunzt. Jeder hat was nöthig; wenn er ruhen kann, was könnt' er mehr haben! Immer ſteigen, ringen und ſo in Ewigkeit Alles, was der Augenblick gibt, wegwerfen und immer darben, um einmal zu genießen! Dürſten, während einem helle Quellen über den Weg ſpringen! Es iſt mir jetzt erträglich, und da will ich bleiben; warum? warum? Eben weil es mir wohl iſt; was will mein Vater? Kann

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/417
Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/417>, abgerufen am 25.11.2024.