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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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diesem Hefte vorgesetzt: "O Trödel, der mit tausendfachem
Tand In dieser Mottenwelt mich dränget!" Als aber im
nächsten Sommersemester über die Schrift der Alten gelesen,
richtiger dictirt wird, da schreibt der ungeduldige Knabe nur
noch die Ueberschriften der Paragraphen nieder und darunter
Volkslieder. So "§. 11: Pelasgische Buchstaben. Zu
Lauterbach hab' ich mein' Strumpf verlor'n, Ohne Strumpf
geh' i net heim. §. 12: Hieroglyphen. Es steht ein Wirths-
haus an der Lahn, da fahren alle Fuhrleut' an" u. s. w.
Dazwischen steht mit zollhohen Buchstaben: "Lebendiges!
was nützt der todte Kram!"

Schon diese Aufzeichnungen -- so irrig es übrigens
wäre, großes Gewicht auf sie zu legen -- beweisen hin-
länglich, daß es nicht die Methode allein war, die dem jungen
Schüler Sprachen und Kunde des Alterthums verleidete, und
ein weiterer Beweis hiefür ist, daß er sich den exacten Wissen-
schaften mit allem Eifer hingab, obwohl auch diese wahrlich
weder kurzweilig noch anregend tradirt wurden. Der "Vor-
trag" in der Mathematik, Geometrie, Physik bestand darin,
daß der Lehrer zuerst eine Frage, dann die Antwort dictirte
und die letztere beim Examen wörtlich abhörte. Manches
hierunter darf den Werth eines Curiosums in Anspruch nehmen,
z. B. "Was ist eine geometrische Fläche?" Antwort: "Ein
gewisser Theil von der Oberfläche eines Körpers, abgesondert
von der Fläche vorgestellt." Aber hiezu machte Georg kei-
nerlei Bemerkungen und suchte, wie seine Ferienhefte und
Fleißaufgaben beweisen, aus eigener Kraft und mit Hilfe
guter Büchen in diesen Disciplinen so viel zu erlernen, als
ihm nur immer erreichbar. Was ihn hiezu trieb, war sicher-
lich ein innerster Zug seines Wesens; das war eben etwas

dieſem Hefte vorgeſetzt: "O Trödel, der mit tauſendfachem
Tand In dieſer Mottenwelt mich dränget!" Als aber im
nächſten Sommerſemeſter über die Schrift der Alten geleſen,
richtiger dictirt wird, da ſchreibt der ungeduldige Knabe nur
noch die Ueberſchriften der Paragraphen nieder und darunter
Volkslieder. So "§. 11: Pelasgiſche Buchſtaben. Zu
Lauterbach hab' ich mein' Strumpf verlor'n, Ohne Strumpf
geh' i net heim. §. 12: Hieroglyphen. Es ſteht ein Wirths-
haus an der Lahn, da fahren alle Fuhrleut' an" u. ſ. w.
Dazwiſchen ſteht mit zollhohen Buchſtaben: "Lebendiges!
was nützt der todte Kram!"

Schon dieſe Aufzeichnungen — ſo irrig es übrigens
wäre, großes Gewicht auf ſie zu legen — beweiſen hin-
länglich, daß es nicht die Methode allein war, die dem jungen
Schüler Sprachen und Kunde des Alterthums verleidete, und
ein weiterer Beweis hiefür iſt, daß er ſich den exacten Wiſſen-
ſchaften mit allem Eifer hingab, obwohl auch dieſe wahrlich
weder kurzweilig noch anregend tradirt wurden. Der "Vor-
trag" in der Mathematik, Geometrie, Phyſik beſtand darin,
daß der Lehrer zuerſt eine Frage, dann die Antwort dictirte
und die letztere beim Examen wörtlich abhörte. Manches
hierunter darf den Werth eines Curioſums in Anſpruch nehmen,
z. B. "Was iſt eine geometriſche Fläche?" Antwort: "Ein
gewiſſer Theil von der Oberfläche eines Körpers, abgeſondert
von der Fläche vorgeſtellt." Aber hiezu machte Georg kei-
nerlei Bemerkungen und ſuchte, wie ſeine Ferienhefte und
Fleißaufgaben beweiſen, aus eigener Kraft und mit Hilfe
guter Büchen in dieſen Disciplinen ſo viel zu erlernen, als
ihm nur immer erreichbar. Was ihn hiezu trieb, war ſicher-
lich ein innerſter Zug ſeines Weſens; das war eben etwas

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[XXII/0038] dieſem Hefte vorgeſetzt: "O Trödel, der mit tauſendfachem Tand In dieſer Mottenwelt mich dränget!" Als aber im nächſten Sommerſemeſter über die Schrift der Alten geleſen, richtiger dictirt wird, da ſchreibt der ungeduldige Knabe nur noch die Ueberſchriften der Paragraphen nieder und darunter Volkslieder. So "§. 11: Pelasgiſche Buchſtaben. Zu Lauterbach hab' ich mein' Strumpf verlor'n, Ohne Strumpf geh' i net heim. §. 12: Hieroglyphen. Es ſteht ein Wirths- haus an der Lahn, da fahren alle Fuhrleut' an" u. ſ. w. Dazwiſchen ſteht mit zollhohen Buchſtaben: "Lebendiges! was nützt der todte Kram!" Schon dieſe Aufzeichnungen — ſo irrig es übrigens wäre, großes Gewicht auf ſie zu legen — beweiſen hin- länglich, daß es nicht die Methode allein war, die dem jungen Schüler Sprachen und Kunde des Alterthums verleidete, und ein weiterer Beweis hiefür iſt, daß er ſich den exacten Wiſſen- ſchaften mit allem Eifer hingab, obwohl auch dieſe wahrlich weder kurzweilig noch anregend tradirt wurden. Der "Vor- trag" in der Mathematik, Geometrie, Phyſik beſtand darin, daß der Lehrer zuerſt eine Frage, dann die Antwort dictirte und die letztere beim Examen wörtlich abhörte. Manches hierunter darf den Werth eines Curioſums in Anſpruch nehmen, z. B. "Was iſt eine geometriſche Fläche?" Antwort: "Ein gewiſſer Theil von der Oberfläche eines Körpers, abgeſondert von der Fläche vorgeſtellt." Aber hiezu machte Georg kei- nerlei Bemerkungen und ſuchte, wie ſeine Ferienhefte und Fleißaufgaben beweiſen, aus eigener Kraft und mit Hilfe guter Büchen in dieſen Disciplinen ſo viel zu erlernen, als ihm nur immer erreichbar. Was ihn hiezu trieb, war ſicher- lich ein innerſter Zug ſeines Weſens; das war eben etwas

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. XXII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/38>, abgerufen am 26.04.2024.