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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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thut nichts zur Sache; wer mich verhindert, mich zu ver-
theidigen, tödtet mich so gut, als wenn er mich angriffe.
Danton. Wo die Nothwehr aufhört, fängt der Mord
an; ich sehe keinen Grund, der uns länger zum Tödten
zwänge.
Robespierre. Die sociale Revolution ist noch nicht
fertig; wer eine Revolution zur Hälfte vollendet, gräbt sich
selbst sein Grab. Die gute Gesellschaft ist noch nicht todt,
die gesunde Volkskraft muß sich an die Stelle dieser nach
allen Richtungen abgekitzelten Klasse setzen. Das Laster muß
bestraft werden, die Tugend muß durch den Schrecken herrschen.
Danton. Ich verstehe das Wort Strafe nicht. -- Mit
deiner Tugend, Robespierre! -- Du hast kein Geld genommen,
du hast keine Schulden gemacht, du hast bei keinem Weibe
geschlafen, du hast immer einen anständigen Rock getragen
und dich nie betrunken. Robespierre, du bist empörend recht-
schaffen. Ich würde mich schämen, dreißig Jahre lang mit
der nämlichen Moralphysiognomie zwischen Himmel und Erde
herumzulaufen, blos um des elenden Vergnügens willen,
Andere schlechter zu finden, als mich. -- Ist denn nichts in
dir, was dir nicht manchmal ganz leise, heimlich sagte: du
lügst, du lügst?!
Robespierre. Mein Gewissen ist rein.
Danton. Das Gewissen ist ein Spiegel, vor dem ein
Affe sich quält; jeder putzt sich, wie er kann und geht auf
seine eigne Art auf seinen Spaß dabei aus. Das ist der
Mühe werth, sich darüber in den Haaren zu liegen. Jeder
mag sich wehren, wenn ein Anderer ihm den Spaß verdirbt.
Hast du das Recht, aus der Guillotine einen Waschzuber
für die unreine Wäsche anderer Leute und aus ihren abge-
thut nichts zur Sache; wer mich verhindert, mich zu ver-
theidigen, tödtet mich ſo gut, als wenn er mich angriffe.
Danton. Wo die Nothwehr aufhört, fängt der Mord
an; ich ſehe keinen Grund, der uns länger zum Tödten
zwänge.
Robespierre. Die ſociale Revolution iſt noch nicht
fertig; wer eine Revolution zur Hälfte vollendet, gräbt ſich
ſelbſt ſein Grab. Die gute Geſellſchaft iſt noch nicht todt,
die geſunde Volkskraft muß ſich an die Stelle dieſer nach
allen Richtungen abgekitzelten Klaſſe ſetzen. Das Laſter muß
beſtraft werden, die Tugend muß durch den Schrecken herrſchen.
Danton. Ich verſtehe das Wort Strafe nicht. — Mit
deiner Tugend, Robespierre! — Du haſt kein Geld genommen,
du haſt keine Schulden gemacht, du haſt bei keinem Weibe
geſchlafen, du haſt immer einen anſtändigen Rock getragen
und dich nie betrunken. Robespierre, du biſt empörend recht-
ſchaffen. Ich würde mich ſchämen, dreißig Jahre lang mit
der nämlichen Moralphyſiognomie zwiſchen Himmel und Erde
herumzulaufen, blos um des elenden Vergnügens willen,
Andere ſchlechter zu finden, als mich. — Iſt denn nichts in
dir, was dir nicht manchmal ganz leiſe, heimlich ſagte: du
lügſt, du lügſt?!
Robespierre. Mein Gewiſſen iſt rein.
Danton. Das Gewiſſen iſt ein Spiegel, vor dem ein
Affe ſich quält; jeder putzt ſich, wie er kann und geht auf
ſeine eigne Art auf ſeinen Spaß dabei aus. Das iſt der
Mühe werth, ſich darüber in den Haaren zu liegen. Jeder
mag ſich wehren, wenn ein Anderer ihm den Spaß verdirbt.
Haſt du das Recht, aus der Guillotine einen Waſchzuber
für die unreine Wäſche anderer Leute und aus ihren abge-
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[30/0226] thut nichts zur Sache; wer mich verhindert, mich zu ver- theidigen, tödtet mich ſo gut, als wenn er mich angriffe. Danton. Wo die Nothwehr aufhört, fängt der Mord an; ich ſehe keinen Grund, der uns länger zum Tödten zwänge. Robespierre. Die ſociale Revolution iſt noch nicht fertig; wer eine Revolution zur Hälfte vollendet, gräbt ſich ſelbſt ſein Grab. Die gute Geſellſchaft iſt noch nicht todt, die geſunde Volkskraft muß ſich an die Stelle dieſer nach allen Richtungen abgekitzelten Klaſſe ſetzen. Das Laſter muß beſtraft werden, die Tugend muß durch den Schrecken herrſchen. Danton. Ich verſtehe das Wort Strafe nicht. — Mit deiner Tugend, Robespierre! — Du haſt kein Geld genommen, du haſt keine Schulden gemacht, du haſt bei keinem Weibe geſchlafen, du haſt immer einen anſtändigen Rock getragen und dich nie betrunken. Robespierre, du biſt empörend recht- ſchaffen. Ich würde mich ſchämen, dreißig Jahre lang mit der nämlichen Moralphyſiognomie zwiſchen Himmel und Erde herumzulaufen, blos um des elenden Vergnügens willen, Andere ſchlechter zu finden, als mich. — Iſt denn nichts in dir, was dir nicht manchmal ganz leiſe, heimlich ſagte: du lügſt, du lügſt?! Robespierre. Mein Gewiſſen iſt rein. Danton. Das Gewiſſen iſt ein Spiegel, vor dem ein Affe ſich quält; jeder putzt ſich, wie er kann und geht auf ſeine eigne Art auf ſeinen Spaß dabei aus. Das iſt der Mühe werth, ſich darüber in den Haaren zu liegen. Jeder mag ſich wehren, wenn ein Anderer ihm den Spaß verdirbt. Haſt du das Recht, aus der Guillotine einen Waſchzuber für die unreine Wäſche anderer Leute und aus ihren abge-

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/226>, abgerufen am 22.11.2024.