Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.
Wie lange sollen wir noch schmutzig und blutig sein, wie neugeborne Kinder, Särge zur Wiege haben und mit Köpfen spielen? Wir müssen vorwärts: Der Gnadenausschuß muß durchgesetzt, die ausgestoßenen Deputirten müssen wieder auf- genommen werden. Herault. Die Revolution ist in das Stadium der Reorganisation gelangt. -- Die Revolution muß aufhören, und die Republick muß anfangen. -- In unseren Staats- grundsätzen muß das Recht an die Stelle der Pflicht, das Wohlbefinden an die der Tugend und die Nothwehr an die der Strafe treten. Jeder muß sich geltend machen und seine Natur durchsetzen können. Er mag vernünftig oder unver- nünftig, gebildet oder ungebildet, gut oder böse sein, das geht den Staat nichts an. Wir Alle sind Narren, und Keiner hat das Recht, einem Andern seine eigenthümliche Narrheit aufzudringen. -- Jeder muß in seiner Art genießen können, jedoch so, daß Keiner auf Unkosten eines Andern genießen oder ihn in seinem eigenthümlichen Genuß stören darf. Die Individualität der Mehrzahl muß sich in der Physiognomie des Staates offenbaren. Camille. Die Staatsform muß ein durchsichtiges Ge- wand sein, das sich dicht an den Leib des Volkes schmiegt. Jedes Schwellen der Adern, jedes Spannen der Muskeln, jedes Zucken der Sehnen muß sich darin abdrücken. Die Gestalt mag nun schön oder häßlich sein, sie hat einmal das Recht zu sein wie sie ist, wir sind nicht berechtigt, ihr ein Röcklein nach Belieben zuzuschneiden. -- Wir werden den Leuten, welche über die nackten Schultern der allerliebsten Sünderin Frankreich den Nonnenschleier werfen wollen, auf die Finger schlagen. -- Wir wollen nackte Götter, Bachan-
Wie lange ſollen wir noch ſchmutzig und blutig ſein, wie neugeborne Kinder, Särge zur Wiege haben und mit Köpfen ſpielen? Wir müſſen vorwärts: Der Gnadenausſchuß muß durchgeſetzt, die ausgeſtoßenen Deputirten müſſen wieder auf- genommen werden. Hérault. Die Revolution iſt in das Stadium der Reorganiſation gelangt. — Die Revolution muß aufhören, und die Republick muß anfangen. — In unſeren Staats- grundſätzen muß das Recht an die Stelle der Pflicht, das Wohlbefinden an die der Tugend und die Nothwehr an die der Strafe treten. Jeder muß ſich geltend machen und ſeine Natur durchſetzen können. Er mag vernünftig oder unver- nünftig, gebildet oder ungebildet, gut oder böſe ſein, das geht den Staat nichts an. Wir Alle ſind Narren, und Keiner hat das Recht, einem Andern ſeine eigenthümliche Narrheit aufzudringen. — Jeder muß in ſeiner Art genießen können, jedoch ſo, daß Keiner auf Unkoſten eines Andern genießen oder ihn in ſeinem eigenthümlichen Genuß ſtören darf. Die Individualität der Mehrzahl muß ſich in der Phyſiognomie des Staates offenbaren. Camille. Die Staatsform muß ein durchſichtiges Ge- wand ſein, das ſich dicht an den Leib des Volkes ſchmiegt. Jedes Schwellen der Adern, jedes Spannen der Muskeln, jedes Zucken der Sehnen muß ſich darin abdrücken. Die Geſtalt mag nun ſchön oder häßlich ſein, ſie hat einmal das Recht zu ſein wie ſie iſt, wir ſind nicht berechtigt, ihr ein Röcklein nach Belieben zuzuſchneiden. — Wir werden den Leuten, welche über die nackten Schultern der allerliebſten Sünderin Frankreich den Nonnenſchleier werfen wollen, auf die Finger ſchlagen. — Wir wollen nackte Götter, Bachan- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div type="act" n="3"> <sp who="#PHI"> <p><pb facs="#f0204" n="8"/> Wie lange ſollen wir noch ſchmutzig und blutig ſein, wie<lb/> neugeborne Kinder, Särge zur Wiege haben und mit Köpfen<lb/> ſpielen? Wir müſſen vorwärts: Der Gnadenausſchuß muß<lb/> durchgeſetzt, die ausgeſtoßenen Deputirten müſſen wieder auf-<lb/> genommen werden.</p> </sp><lb/> <sp who="#HARAU"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">H<hi rendition="#aq">é</hi>rault.</hi> </hi> </speaker> <p>Die Revolution iſt in das Stadium der<lb/> Reorganiſation gelangt. — Die Revolution muß aufhören,<lb/> und die Republick muß anfangen. — In unſeren Staats-<lb/> grundſätzen muß das Recht an die Stelle der Pflicht, das<lb/> Wohlbefinden an die der Tugend und die Nothwehr an die<lb/> der Strafe treten. Jeder muß ſich geltend machen und ſeine<lb/> Natur durchſetzen können. Er mag vernünftig oder unver-<lb/> nünftig, gebildet oder ungebildet, gut oder böſe ſein, das geht<lb/> den Staat nichts an. Wir Alle ſind Narren, und Keiner<lb/> hat das Recht, einem Andern ſeine eigenthümliche Narrheit<lb/> aufzudringen. — Jeder muß in ſeiner Art genießen können,<lb/> jedoch ſo, daß Keiner auf Unkoſten eines Andern genießen<lb/> oder ihn in ſeinem eigenthümlichen Genuß ſtören darf. Die<lb/> Individualität der Mehrzahl muß ſich in der Phyſiognomie des<lb/> Staates offenbaren.</p> </sp><lb/> <sp who="#CAM"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#b">Camille.</hi> </hi> </speaker> <p>Die Staatsform muß ein durchſichtiges Ge-<lb/> wand ſein, das ſich dicht an den Leib des Volkes ſchmiegt.<lb/> Jedes Schwellen der Adern, jedes Spannen der Muskeln,<lb/> jedes Zucken der Sehnen muß ſich darin abdrücken. Die<lb/> Geſtalt mag nun ſchön oder häßlich ſein, ſie hat einmal das<lb/> Recht zu ſein wie ſie iſt, wir ſind nicht berechtigt, ihr ein<lb/> Röcklein nach Belieben zuzuſchneiden. — Wir werden den<lb/> Leuten, welche über die nackten Schultern der allerliebſten<lb/> Sünderin Frankreich den Nonnenſchleier werfen wollen, auf<lb/> die Finger ſchlagen. — Wir wollen nackte Götter, Bachan-<lb/></p> </sp> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [8/0204]
Wie lange ſollen wir noch ſchmutzig und blutig ſein, wie
neugeborne Kinder, Särge zur Wiege haben und mit Köpfen
ſpielen? Wir müſſen vorwärts: Der Gnadenausſchuß muß
durchgeſetzt, die ausgeſtoßenen Deputirten müſſen wieder auf-
genommen werden.
Hérault. Die Revolution iſt in das Stadium der
Reorganiſation gelangt. — Die Revolution muß aufhören,
und die Republick muß anfangen. — In unſeren Staats-
grundſätzen muß das Recht an die Stelle der Pflicht, das
Wohlbefinden an die der Tugend und die Nothwehr an die
der Strafe treten. Jeder muß ſich geltend machen und ſeine
Natur durchſetzen können. Er mag vernünftig oder unver-
nünftig, gebildet oder ungebildet, gut oder böſe ſein, das geht
den Staat nichts an. Wir Alle ſind Narren, und Keiner
hat das Recht, einem Andern ſeine eigenthümliche Narrheit
aufzudringen. — Jeder muß in ſeiner Art genießen können,
jedoch ſo, daß Keiner auf Unkoſten eines Andern genießen
oder ihn in ſeinem eigenthümlichen Genuß ſtören darf. Die
Individualität der Mehrzahl muß ſich in der Phyſiognomie des
Staates offenbaren.
Camille. Die Staatsform muß ein durchſichtiges Ge-
wand ſein, das ſich dicht an den Leib des Volkes ſchmiegt.
Jedes Schwellen der Adern, jedes Spannen der Muskeln,
jedes Zucken der Sehnen muß ſich darin abdrücken. Die
Geſtalt mag nun ſchön oder häßlich ſein, ſie hat einmal das
Recht zu ſein wie ſie iſt, wir ſind nicht berechtigt, ihr ein
Röcklein nach Belieben zuzuſchneiden. — Wir werden den
Leuten, welche über die nackten Schultern der allerliebſten
Sünderin Frankreich den Nonnenſchleier werfen wollen, auf
die Finger ſchlagen. — Wir wollen nackte Götter, Bachan-
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