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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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Zwei Male wöchentlich versammelten sich die Verbündeten
mit Einbruch der Nacht in jenem Gartenhäuschen. Sie
hatten dasselbe zu diesem Zwecke gewählt, weil es im Winter
unbewohnt war und an einer Chaussee lag, die Nachts sehr
selten frequentirt wurde. Gleichwohl ward große Vorsicht
bewahrt, die Mitglieder kamen stets einzeln, zu verschiedener
Zeit und auf verschiedenen Wegen; die Läden waren fest
verschlossen und ringsum Posten aufgestellt. Die Versamm-
lungen begannen mit der Aufnahme neuer Mitglieder, diese
legten den Eid darauf ab, jedem Beschluß der Gesellschaft,
er laute wie immer, bedingungslos zu gehorchen, "werde ich
je zum Verräther", schloß die Formel, "so mag mir mein
Recht werden: der Tod". Nach Erledigung dieser Forma-
litäten folgte Vortrag oder freie Discussion über ein poli-
tisches oder historisches Thema; das Meiste leistete hiebei der
Vorsitzende selbst. So hielt er im November und Dezember
eine Reihe von Vorträgen über die französische Revolution
und arbeitete im Anschluß daran eine "Erklärung der Menschen-
rechte" aus, welche der Verein als Programm acceptirte.
Diese Arbeit und die Protocolle der Gesellschaft wurden
einige Monate später, nach Büchner's Flucht, von dessen An-
gehörigen aufgefunden und, da eine Haussuchung zu befürchten
stand, verbrannt. Ueber die Discussionen ist wenig zu er-
kunden gewesen; nach dem einige Jahre später vor dem
Richter abgelegten Geständniß eines der Theilnehmer sei
einmal darüber debattirt worden, ob ein Meineid in einem
politischen Prozesse als ein Verbrechen anzusehen sei; die Ge-
sellschaft habe dies bei der Abstimmung verneint. Doch stammt
diese Mittheilung aus trüber Quelle und ist auch innerlich
nicht glaubwürdig, sowohl Weidig als Büchner standen sittlich

Zwei Male wöchentlich verſammelten ſich die Verbündeten
mit Einbruch der Nacht in jenem Gartenhäuschen. Sie
hatten dasſelbe zu dieſem Zwecke gewählt, weil es im Winter
unbewohnt war und an einer Chauſſee lag, die Nachts ſehr
ſelten frequentirt wurde. Gleichwohl ward große Vorſicht
bewahrt, die Mitglieder kamen ſtets einzeln, zu verſchiedener
Zeit und auf verſchiedenen Wegen; die Läden waren feſt
verſchloſſen und ringsum Poſten aufgeſtellt. Die Verſamm-
lungen begannen mit der Aufnahme neuer Mitglieder, dieſe
legten den Eid darauf ab, jedem Beſchluß der Geſellſchaft,
er laute wie immer, bedingungslos zu gehorchen, "werde ich
je zum Verräther", ſchloß die Formel, "ſo mag mir mein
Recht werden: der Tod". Nach Erledigung dieſer Forma-
litäten folgte Vortrag oder freie Discuſſion über ein poli-
tiſches oder hiſtoriſches Thema; das Meiſte leiſtete hiebei der
Vorſitzende ſelbſt. So hielt er im November und Dezember
eine Reihe von Vorträgen über die franzöſiſche Revolution
und arbeitete im Anſchluß daran eine "Erklärung der Menſchen-
rechte" aus, welche der Verein als Programm acceptirte.
Dieſe Arbeit und die Protocolle der Geſellſchaft wurden
einige Monate ſpäter, nach Büchner's Flucht, von deſſen An-
gehörigen aufgefunden und, da eine Hausſuchung zu befürchten
ſtand, verbrannt. Ueber die Discuſſionen iſt wenig zu er-
kunden geweſen; nach dem einige Jahre ſpäter vor dem
Richter abgelegten Geſtändniß eines der Theilnehmer ſei
einmal darüber debattirt worden, ob ein Meineid in einem
politiſchen Prozeſſe als ein Verbrechen anzuſehen ſei; die Ge-
ſellſchaft habe dies bei der Abſtimmung verneint. Doch ſtammt
dieſe Mittheilung aus trüber Quelle und iſt auch innerlich
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[CL/0166] Zwei Male wöchentlich verſammelten ſich die Verbündeten mit Einbruch der Nacht in jenem Gartenhäuschen. Sie hatten dasſelbe zu dieſem Zwecke gewählt, weil es im Winter unbewohnt war und an einer Chauſſee lag, die Nachts ſehr ſelten frequentirt wurde. Gleichwohl ward große Vorſicht bewahrt, die Mitglieder kamen ſtets einzeln, zu verſchiedener Zeit und auf verſchiedenen Wegen; die Läden waren feſt verſchloſſen und ringsum Poſten aufgeſtellt. Die Verſamm- lungen begannen mit der Aufnahme neuer Mitglieder, dieſe legten den Eid darauf ab, jedem Beſchluß der Geſellſchaft, er laute wie immer, bedingungslos zu gehorchen, "werde ich je zum Verräther", ſchloß die Formel, "ſo mag mir mein Recht werden: der Tod". Nach Erledigung dieſer Forma- litäten folgte Vortrag oder freie Discuſſion über ein poli- tiſches oder hiſtoriſches Thema; das Meiſte leiſtete hiebei der Vorſitzende ſelbſt. So hielt er im November und Dezember eine Reihe von Vorträgen über die franzöſiſche Revolution und arbeitete im Anſchluß daran eine "Erklärung der Menſchen- rechte" aus, welche der Verein als Programm acceptirte. Dieſe Arbeit und die Protocolle der Geſellſchaft wurden einige Monate ſpäter, nach Büchner's Flucht, von deſſen An- gehörigen aufgefunden und, da eine Hausſuchung zu befürchten ſtand, verbrannt. Ueber die Discuſſionen iſt wenig zu er- kunden geweſen; nach dem einige Jahre ſpäter vor dem Richter abgelegten Geſtändniß eines der Theilnehmer ſei einmal darüber debattirt worden, ob ein Meineid in einem politiſchen Prozeſſe als ein Verbrechen anzuſehen ſei; die Ge- ſellſchaft habe dies bei der Abſtimmung verneint. Doch ſtammt dieſe Mittheilung aus trüber Quelle und iſt auch innerlich nicht glaubwürdig, ſowohl Weidig als Büchner ſtanden ſittlich

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. CL. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/166>, abgerufen am 24.11.2024.