Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

samkeit versprochen und nun vollends ihre Nutzlosigkeit ein-
sehen mußte. Denn die Lage der Partei war eine trostlose,
ja verzweifelte, und wenn nicht schon früher, so mußte sich
doch jetzt jeder Verständige sagen, daß weitere Agitation nur
ihn verderben könne, nicht das verhaßte reactionäre Staats-
wesen. Mit Minnigerode hatten die Behörden auch den
"Landboten" in die Hände bekommen; einige andere Bürgers-
söhne und Studenten waren im September und Oktober
1834 verhaftet worden, das Centrum in Butzbach functio-
nirte nicht mehr, seit die Führer fehlten. Denn auch Weidig
hatte diesen Schauplatz seiner langjährigen Thätigkeit verlassen
müssen, er war im September 1834, also gleichzeitig mit
Büchner's Rückkehr in's Elternhaus, von der Regierung
strafweise als Pfarrer nach Obergleen, einem ärmlichen Dorfe in
Oberhessen, versetzt worden. Aber vernichtender als dies Alles
mußte auf die Verschworenen die Aufnahme wirken, welche
der "Landbote" bei den Bauern und Bürgern des Groß-
herzogthums gefunden. Erstaunt oder voll loyalen Entsetzens
lasen die Leute das grimmige Pamphlet und lieferten es
dann eiligst dem nächsten Gensdarmen aus, so daß nicht
blos jene Anzahl von Exemplaren, welche in Minnigerode's
Kleidern und Stiefeln gefunden worden, sondern fast die
ganze Auflage in den Besitz der Regierung kam. Ein ecla-
tanterer Mißerfolg war kaum denkbar und -- "gewinnen
wir die Masse nicht, so ist unser Thun ein Thorenspiel!"
hatte Büchner wenige Monate vorher mit Recht ausgerufen!
Wenn er nun gleichwohl dies "gefährliche Thorenspiel" mit
Ernst und Leidenschaft fortsetzte, so darf zur Erklärung wohl
daran erinnert werden, daß noch immer weder er, noch seine
Verbündeten irgend eine persönliche Gefahr befürchteten. Nach

k *

ſamkeit verſprochen und nun vollends ihre Nutzloſigkeit ein-
ſehen mußte. Denn die Lage der Partei war eine troſtloſe,
ja verzweifelte, und wenn nicht ſchon früher, ſo mußte ſich
doch jetzt jeder Verſtändige ſagen, daß weitere Agitation nur
ihn verderben könne, nicht das verhaßte reactionäre Staats-
weſen. Mit Minnigerode hatten die Behörden auch den
"Landboten" in die Hände bekommen; einige andere Bürgers-
ſöhne und Studenten waren im September und Oktober
1834 verhaftet worden, das Centrum in Butzbach functio-
nirte nicht mehr, ſeit die Führer fehlten. Denn auch Weidig
hatte dieſen Schauplatz ſeiner langjährigen Thätigkeit verlaſſen
müſſen, er war im September 1834, alſo gleichzeitig mit
Büchner's Rückkehr in's Elternhaus, von der Regierung
ſtrafweiſe als Pfarrer nach Obergleen, einem ärmlichen Dorfe in
Oberheſſen, verſetzt worden. Aber vernichtender als dies Alles
mußte auf die Verſchworenen die Aufnahme wirken, welche
der "Landbote" bei den Bauern und Bürgern des Groß-
herzogthums gefunden. Erſtaunt oder voll loyalen Entſetzens
laſen die Leute das grimmige Pamphlet und lieferten es
dann eiligſt dem nächſten Gensdarmen aus, ſo daß nicht
blos jene Anzahl von Exemplaren, welche in Minnigerode's
Kleidern und Stiefeln gefunden worden, ſondern faſt die
ganze Auflage in den Beſitz der Regierung kam. Ein ecla-
tanterer Mißerfolg war kaum denkbar und — "gewinnen
wir die Maſſe nicht, ſo iſt unſer Thun ein Thorenſpiel!"
hatte Büchner wenige Monate vorher mit Recht ausgerufen!
Wenn er nun gleichwohl dies "gefährliche Thorenſpiel" mit
Ernſt und Leidenſchaft fortſetzte, ſo darf zur Erklärung wohl
daran erinnert werden, daß noch immer weder er, noch ſeine
Verbündeten irgend eine perſönliche Gefahr befürchteten. Nach

k *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0163" n="CXLVII"/>
&#x017F;amkeit ver&#x017F;prochen und nun vollends ihre Nutzlo&#x017F;igkeit ein-<lb/>
&#x017F;ehen mußte. Denn die Lage der Partei war eine tro&#x017F;tlo&#x017F;e,<lb/>
ja verzweifelte, und wenn nicht &#x017F;chon früher, &#x017F;o mußte &#x017F;ich<lb/>
doch jetzt jeder Ver&#x017F;tändige &#x017F;agen, daß weitere Agitation nur<lb/>
ihn verderben könne, nicht das verhaßte reactionäre Staats-<lb/>
we&#x017F;en. Mit Minnigerode hatten die Behörden auch den<lb/>
"Landboten" in die Hände bekommen; einige andere Bürgers-<lb/>
&#x017F;öhne und Studenten waren im September und Oktober<lb/>
1834 verhaftet worden, das Centrum in Butzbach functio-<lb/>
nirte nicht mehr, &#x017F;eit die Führer fehlten. Denn auch Weidig<lb/>
hatte die&#x017F;en Schauplatz &#x017F;einer langjährigen Thätigkeit verla&#x017F;&#x017F;en<lb/>&#x017F;&#x017F;en, er war im September 1834, al&#x017F;o gleichzeitig mit<lb/>
Büchner's Rückkehr in's Elternhaus, von der Regierung<lb/>
&#x017F;trafwei&#x017F;e als Pfarrer nach Obergleen, einem ärmlichen Dorfe in<lb/>
Oberhe&#x017F;&#x017F;en, ver&#x017F;etzt worden. Aber vernichtender als dies Alles<lb/>
mußte auf die Ver&#x017F;chworenen die Aufnahme wirken, welche<lb/>
der "Landbote" bei den Bauern und Bürgern des Groß-<lb/>
herzogthums gefunden. Er&#x017F;taunt oder voll loyalen Ent&#x017F;etzens<lb/>
la&#x017F;en die Leute das grimmige Pamphlet und lieferten es<lb/>
dann eilig&#x017F;t dem näch&#x017F;ten Gensdarmen aus, &#x017F;o daß nicht<lb/>
blos jene Anzahl von Exemplaren, welche in Minnigerode's<lb/>
Kleidern und Stiefeln gefunden worden, &#x017F;ondern fa&#x017F;t die<lb/>
ganze Auflage in den Be&#x017F;itz der Regierung kam. Ein ecla-<lb/>
tanterer Mißerfolg war kaum denkbar und &#x2014; "gewinnen<lb/>
wir die Ma&#x017F;&#x017F;e nicht, &#x017F;o i&#x017F;t un&#x017F;er Thun ein Thoren&#x017F;piel!"<lb/>
hatte Büchner wenige Monate vorher mit Recht ausgerufen!<lb/>
Wenn er nun gleichwohl dies "gefährliche Thoren&#x017F;piel" mit<lb/>
Ern&#x017F;t und Leiden&#x017F;chaft fort&#x017F;etzte, &#x017F;o darf zur Erklärung wohl<lb/>
daran erinnert werden, daß noch immer weder er, noch &#x017F;eine<lb/>
Verbündeten irgend eine per&#x017F;önliche Gefahr befürchteten. Nach<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq">k</hi> *</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[CXLVII/0163] ſamkeit verſprochen und nun vollends ihre Nutzloſigkeit ein- ſehen mußte. Denn die Lage der Partei war eine troſtloſe, ja verzweifelte, und wenn nicht ſchon früher, ſo mußte ſich doch jetzt jeder Verſtändige ſagen, daß weitere Agitation nur ihn verderben könne, nicht das verhaßte reactionäre Staats- weſen. Mit Minnigerode hatten die Behörden auch den "Landboten" in die Hände bekommen; einige andere Bürgers- ſöhne und Studenten waren im September und Oktober 1834 verhaftet worden, das Centrum in Butzbach functio- nirte nicht mehr, ſeit die Führer fehlten. Denn auch Weidig hatte dieſen Schauplatz ſeiner langjährigen Thätigkeit verlaſſen müſſen, er war im September 1834, alſo gleichzeitig mit Büchner's Rückkehr in's Elternhaus, von der Regierung ſtrafweiſe als Pfarrer nach Obergleen, einem ärmlichen Dorfe in Oberheſſen, verſetzt worden. Aber vernichtender als dies Alles mußte auf die Verſchworenen die Aufnahme wirken, welche der "Landbote" bei den Bauern und Bürgern des Groß- herzogthums gefunden. Erſtaunt oder voll loyalen Entſetzens laſen die Leute das grimmige Pamphlet und lieferten es dann eiligſt dem nächſten Gensdarmen aus, ſo daß nicht blos jene Anzahl von Exemplaren, welche in Minnigerode's Kleidern und Stiefeln gefunden worden, ſondern faſt die ganze Auflage in den Beſitz der Regierung kam. Ein ecla- tanterer Mißerfolg war kaum denkbar und — "gewinnen wir die Maſſe nicht, ſo iſt unſer Thun ein Thorenſpiel!" hatte Büchner wenige Monate vorher mit Recht ausgerufen! Wenn er nun gleichwohl dies "gefährliche Thorenſpiel" mit Ernſt und Leidenſchaft fortſetzte, ſo darf zur Erklärung wohl daran erinnert werden, daß noch immer weder er, noch ſeine Verbündeten irgend eine perſönliche Gefahr befürchteten. Nach k *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/163
Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. CXLVII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/163>, abgerufen am 07.05.2024.