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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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die Wegschaffung des Satzes, sowie der dort lagernden Exem-
plare anderer Flugschriften. Dann hielt sich Schütz bis zum
Abend verborgen, während Büchner nach Frankfurt eilte, um
die Vorstände des "Männerbunds" zu warnen. Diese wußten
bereits um die Verhaftung Minnigerode's und konnten ferners
mittheilen, daß auch auf Schütz vigilirt werde. Doch glaubten
auch sie nicht an Verrath und meinten, daß nur Schütz in
Gefahr sei. Dieser wurde denn auch in der nächsten Nacht
heimlich nach Mainz und von da durch die Rheinpfalz gegen
die französische Grenze befördert, welche er auch glücklich er-
reichte. Büchner aber blieb bis zum Morgen des 4. August
in Frankfurt, hauptsächlich deßhalb, weil er dort zufällig
seinem Straßburger Freunde Boeckel begegnet war. Dann
kehrte er um so beruhigter nach Gießen zurück, als er erfuhr,
daß inzwischen keine weiteren Verhaftungen erfolgt. Doch
harrte seiner, als er am Nachmittage desselben Tages seine
Stube betreten wollte, eine peinliche Ueberraschung, die Thüre
war durch Gerichtssiegel verschlossen und er erfuhr, daß der
Universitätsrichter in seiner Abwesenheit dagewesen, strenge
Haussuchung gehalten und alle Papiere, Briefe u. s. w. an
sich genommen. Doch faßte sich Büchner rasch, er wußte,
daß sich unter diesen Papieren nichts Compromittirendes be-
finde und vermuthete, daß nur seine Freundschaft mit Min-
nigerode und sein plötzliches Verschwinden nach dessen Ver-
haftung einen unbestimmten Verdacht erregt. Wußte jedoch
die Polizei bereits mehr, so war ohnehin kein Entrinnen
mehr möglich. So hielt er denn für alle Fälle die kalt-
blütigste Kühnheit für die beste Politik, begab sich sofort
zum Universitätsrichter und erklärte diesem mit größter Höf-
lichkeit, er habe leider seinen gütigen Besuch versäumt und

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die Wegſchaffung des Satzes, ſowie der dort lagernden Exem-
plare anderer Flugſchriften. Dann hielt ſich Schütz bis zum
Abend verborgen, während Büchner nach Frankfurt eilte, um
die Vorſtände des "Männerbunds" zu warnen. Dieſe wußten
bereits um die Verhaftung Minnigerode's und konnten ferners
mittheilen, daß auch auf Schütz vigilirt werde. Doch glaubten
auch ſie nicht an Verrath und meinten, daß nur Schütz in
Gefahr ſei. Dieſer wurde denn auch in der nächſten Nacht
heimlich nach Mainz und von da durch die Rheinpfalz gegen
die franzöſiſche Grenze befördert, welche er auch glücklich er-
reichte. Büchner aber blieb bis zum Morgen des 4. Auguſt
in Frankfurt, hauptſächlich deßhalb, weil er dort zufällig
ſeinem Straßburger Freunde Boeckel begegnet war. Dann
kehrte er um ſo beruhigter nach Gießen zurück, als er erfuhr,
daß inzwiſchen keine weiteren Verhaftungen erfolgt. Doch
harrte ſeiner, als er am Nachmittage desſelben Tages ſeine
Stube betreten wollte, eine peinliche Ueberraſchung, die Thüre
war durch Gerichtsſiegel verſchloſſen und er erfuhr, daß der
Univerſitätsrichter in ſeiner Abweſenheit dageweſen, ſtrenge
Hausſuchung gehalten und alle Papiere, Briefe u. ſ. w. an
ſich genommen. Doch faßte ſich Büchner raſch, er wußte,
daß ſich unter dieſen Papieren nichts Compromittirendes be-
finde und vermuthete, daß nur ſeine Freundſchaft mit Min-
nigerode und ſein plötzliches Verſchwinden nach deſſen Ver-
haftung einen unbeſtimmten Verdacht erregt. Wußte jedoch
die Polizei bereits mehr, ſo war ohnehin kein Entrinnen
mehr möglich. So hielt er denn für alle Fälle die kalt-
blütigſte Kühnheit für die beſte Politik, begab ſich ſofort
zum Univerſitätsrichter und erklärte dieſem mit größter Höf-
lichkeit, er habe leider ſeinen gütigen Beſuch verſäumt und

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[CXXXI/0147] die Wegſchaffung des Satzes, ſowie der dort lagernden Exem- plare anderer Flugſchriften. Dann hielt ſich Schütz bis zum Abend verborgen, während Büchner nach Frankfurt eilte, um die Vorſtände des "Männerbunds" zu warnen. Dieſe wußten bereits um die Verhaftung Minnigerode's und konnten ferners mittheilen, daß auch auf Schütz vigilirt werde. Doch glaubten auch ſie nicht an Verrath und meinten, daß nur Schütz in Gefahr ſei. Dieſer wurde denn auch in der nächſten Nacht heimlich nach Mainz und von da durch die Rheinpfalz gegen die franzöſiſche Grenze befördert, welche er auch glücklich er- reichte. Büchner aber blieb bis zum Morgen des 4. Auguſt in Frankfurt, hauptſächlich deßhalb, weil er dort zufällig ſeinem Straßburger Freunde Boeckel begegnet war. Dann kehrte er um ſo beruhigter nach Gießen zurück, als er erfuhr, daß inzwiſchen keine weiteren Verhaftungen erfolgt. Doch harrte ſeiner, als er am Nachmittage desſelben Tages ſeine Stube betreten wollte, eine peinliche Ueberraſchung, die Thüre war durch Gerichtsſiegel verſchloſſen und er erfuhr, daß der Univerſitätsrichter in ſeiner Abweſenheit dageweſen, ſtrenge Hausſuchung gehalten und alle Papiere, Briefe u. ſ. w. an ſich genommen. Doch faßte ſich Büchner raſch, er wußte, daß ſich unter dieſen Papieren nichts Compromittirendes be- finde und vermuthete, daß nur ſeine Freundſchaft mit Min- nigerode und ſein plötzliches Verſchwinden nach deſſen Ver- haftung einen unbeſtimmten Verdacht erregt. Wußte jedoch die Polizei bereits mehr, ſo war ohnehin kein Entrinnen mehr möglich. So hielt er denn für alle Fälle die kalt- blütigſte Kühnheit für die beſte Politik, begab ſich ſofort zum Univerſitätsrichter und erklärte dieſem mit größter Höf- lichkeit, er habe leider ſeinen gütigen Beſuch verſäumt und i *

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. CXXXI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/147>, abgerufen am 05.05.2024.