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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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Volkswirth die Schäden, welche eine entwickelte Industrie
für das körperliche Wohl der hiebei beschäftigten Arbeiter
haben kann, zum Ausgangspunkt nahm, erträumte unser
junger heißblütiger Student von einer socialen Umwälzung
die völlige Veränderung der materiellen Verhältnisse gerade
desjenigen Standes, welcher naturgemäß der conservativste
ist und nur sehr langsam gehoben werden kann -- der
Bauernstand als Träger und Stützpunkt einer socialen Re-
volution ist eine Utopie! Und vollends unüberbrückbar ist
die Kluft, welche die Ueberzeugungen Georg Büchner's von
denen der heutigen Socialdemokratie scheidet. Er war ein
Nationaler und verhöhnte den Kosmopolitismus als einen
knabenhaften Traum, er war ferner begeistert von der Idee
der Freiheit und des Rechtes der Individualität,
er war für die Republik nur, weil sie ihm dies höchste
Recht am besten zu garantiren schien -- für den uniformi-
renden Socialstaat, welcher den Trägen und den Fleißigen,
das Genie und die stumpfe, lebendige Maschine nach dem-
selben Maße messen und Allen den Zwang seiner Fürsorge
auferlegen soll, hätte er gewiß nur Worte heftigster Gegen-
wehr gehabt. Die Social-Demokratie -- so der Verfasser
einer Biographie in der "Neuen Welt" (Leipzig 1876) --
helfen sich über diese Unterschiede hinweg, indem sie sie ver-
schweigen -- freilich ein bequemes, wenn auch nicht gerade
würdiges Mittel.

Bereits im Vorstehenden ist einer der Hauptpunkte
hervorgehoben, wo uns Büchner's Ueberzeugung als eine
irrige und verhängnißvolle erscheinen muß. Daneben ließe
sich noch betonen, wie gefährlich sein Glaube war, daß die
Hebung materiellen Elends auch schon die Blüthe aller

Volkswirth die Schäden, welche eine entwickelte Induſtrie
für das körperliche Wohl der hiebei beſchäftigten Arbeiter
haben kann, zum Ausgangspunkt nahm, erträumte unſer
junger heißblütiger Student von einer ſocialen Umwälzung
die völlige Veränderung der materiellen Verhältniſſe gerade
desjenigen Standes, welcher naturgemäß der conſervativſte
iſt und nur ſehr langſam gehoben werden kann — der
Bauernſtand als Träger und Stützpunkt einer ſocialen Re-
volution iſt eine Utopie! Und vollends unüberbrückbar iſt
die Kluft, welche die Ueberzeugungen Georg Büchner's von
denen der heutigen Socialdemokratie ſcheidet. Er war ein
Nationaler und verhöhnte den Kosmopolitismus als einen
knabenhaften Traum, er war ferner begeiſtert von der Idee
der Freiheit und des Rechtes der Individualität,
er war für die Republik nur, weil ſie ihm dies höchſte
Recht am beſten zu garantiren ſchien — für den uniformi-
renden Socialſtaat, welcher den Trägen und den Fleißigen,
das Genie und die ſtumpfe, lebendige Maſchine nach dem-
ſelben Maße meſſen und Allen den Zwang ſeiner Fürſorge
auferlegen ſoll, hätte er gewiß nur Worte heftigſter Gegen-
wehr gehabt. Die Social-Demokratie — ſo der Verfaſſer
einer Biographie in der "Neuen Welt" (Leipzig 1876) —
helfen ſich über dieſe Unterſchiede hinweg, indem ſie ſie ver-
ſchweigen — freilich ein bequemes, wenn auch nicht gerade
würdiges Mittel.

Bereits im Vorſtehenden iſt einer der Hauptpunkte
hervorgehoben, wo uns Büchner's Ueberzeugung als eine
irrige und verhängnißvolle erſcheinen muß. Daneben ließe
ſich noch betonen, wie gefährlich ſein Glaube war, daß die
Hebung materiellen Elends auch ſchon die Blüthe aller

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[CXXIV/0140] Volkswirth die Schäden, welche eine entwickelte Induſtrie für das körperliche Wohl der hiebei beſchäftigten Arbeiter haben kann, zum Ausgangspunkt nahm, erträumte unſer junger heißblütiger Student von einer ſocialen Umwälzung die völlige Veränderung der materiellen Verhältniſſe gerade desjenigen Standes, welcher naturgemäß der conſervativſte iſt und nur ſehr langſam gehoben werden kann — der Bauernſtand als Träger und Stützpunkt einer ſocialen Re- volution iſt eine Utopie! Und vollends unüberbrückbar iſt die Kluft, welche die Ueberzeugungen Georg Büchner's von denen der heutigen Socialdemokratie ſcheidet. Er war ein Nationaler und verhöhnte den Kosmopolitismus als einen knabenhaften Traum, er war ferner begeiſtert von der Idee der Freiheit und des Rechtes der Individualität, er war für die Republik nur, weil ſie ihm dies höchſte Recht am beſten zu garantiren ſchien — für den uniformi- renden Socialſtaat, welcher den Trägen und den Fleißigen, das Genie und die ſtumpfe, lebendige Maſchine nach dem- ſelben Maße meſſen und Allen den Zwang ſeiner Fürſorge auferlegen ſoll, hätte er gewiß nur Worte heftigſter Gegen- wehr gehabt. Die Social-Demokratie — ſo der Verfaſſer einer Biographie in der "Neuen Welt" (Leipzig 1876) — helfen ſich über dieſe Unterſchiede hinweg, indem ſie ſie ver- ſchweigen — freilich ein bequemes, wenn auch nicht gerade würdiges Mittel. Bereits im Vorſtehenden iſt einer der Hauptpunkte hervorgehoben, wo uns Büchner's Ueberzeugung als eine irrige und verhängnißvolle erſcheinen muß. Daneben ließe ſich noch betonen, wie gefährlich ſein Glaube war, daß die Hebung materiellen Elends auch ſchon die Blüthe aller

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. CXXIV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/140>, abgerufen am 22.11.2024.