Gesammtheit den Ueberzeugungen seines Autors. Büchner gab sich nicht blos als Socialist, er war es auch. Wie aber war er es geworden? Wir haben bereits angedeutet, daß Büchner's innerstes Wesen, trotz aller genialen geistigen Begabung nur dann verständlich wird, wenn man ihn als Gemüthsmenschen auffaßt und müssen nun wieder daran erinnern. Denn nach dem Zeugniß Aller, die ihn gekannt, war es sein Gemüth, welches ihn auf das Loos der Armen und Rechtlosen hinlenkte, sein tiefes, ja grenzenloses Mit- leid mit allem unverschuldeten Unglück. "Die Grundlage seines Patriotismus", sagt August Becker, "war das reinste Mitleid" -- die Geschwister, die Straßburger und Züricher Freunde, sie alle wissen es nicht anders. So ist es auch klar, warum ihm der materielle Druck trauriger erschien, als der geistige, warum er mehr an die Hebung des ersteren, als des letzteren dachte. "Es ist in meinen Augen bei weitem nicht so betrübend, daß dieser oder jener Liberale seine Gedanken nicht drucken lassen darf, als daß viele tausend Familien nicht im Stande sind, ihre Kartoffel zu schmälzen" -- dieser äußerlich wie innerlich beglaubigte Ausspruch Büchner's kann diesbezüglich als sein Programm gelten. Daß auch sein Bildungsgang und seine Erfahrung nur geeignet waren, dieses Gemüthsmotiv zu verstärken, wissen wir bereits. Er hatte zwei Jahre lang in Frankreich verweilt, dem einzigen Lande Europa's in welchen damals socialistische Ideen lebhaft erörtert, ja stellenweise in Thaten umgesetzt wurden; er hatte sich ferners eifrig in das Studium der großen Revolution, welche ja gleichermaßen eine politische, wie eine sociale war, versenkt und daraus gelernt, daß eine große und gewaltsame Umwälzung nie und nimmer eine
Geſammtheit den Ueberzeugungen ſeines Autors. Büchner gab ſich nicht blos als Socialiſt, er war es auch. Wie aber war er es geworden? Wir haben bereits angedeutet, daß Büchner's innerſtes Weſen, trotz aller genialen geiſtigen Begabung nur dann verſtändlich wird, wenn man ihn als Gemüthsmenſchen auffaßt und müſſen nun wieder daran erinnern. Denn nach dem Zeugniß Aller, die ihn gekannt, war es ſein Gemüth, welches ihn auf das Loos der Armen und Rechtloſen hinlenkte, ſein tiefes, ja grenzenloſes Mit- leid mit allem unverſchuldeten Unglück. "Die Grundlage ſeines Patriotismus", ſagt Auguſt Becker, "war das reinſte Mitleid" — die Geſchwiſter, die Straßburger und Züricher Freunde, ſie alle wiſſen es nicht anders. So iſt es auch klar, warum ihm der materielle Druck trauriger erſchien, als der geiſtige, warum er mehr an die Hebung des erſteren, als des letzteren dachte. "Es iſt in meinen Augen bei weitem nicht ſo betrübend, daß dieſer oder jener Liberale ſeine Gedanken nicht drucken laſſen darf, als daß viele tauſend Familien nicht im Stande ſind, ihre Kartoffel zu ſchmälzen" — dieſer äußerlich wie innerlich beglaubigte Ausſpruch Büchner's kann diesbezüglich als ſein Programm gelten. Daß auch ſein Bildungsgang und ſeine Erfahrung nur geeignet waren, dieſes Gemüthsmotiv zu verſtärken, wiſſen wir bereits. Er hatte zwei Jahre lang in Frankreich verweilt, dem einzigen Lande Europa's in welchen damals ſocialiſtiſche Ideen lebhaft erörtert, ja ſtellenweiſe in Thaten umgeſetzt wurden; er hatte ſich ferners eifrig in das Studium der großen Revolution, welche ja gleichermaßen eine politiſche, wie eine ſociale war, verſenkt und daraus gelernt, daß eine große und gewaltſame Umwälzung nie und nimmer eine
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[CXXI/0137]
Geſammtheit den Ueberzeugungen ſeines Autors. Büchner
gab ſich nicht blos als Socialiſt, er war es auch. Wie
aber war er es geworden? Wir haben bereits angedeutet,
daß Büchner's innerſtes Weſen, trotz aller genialen geiſtigen
Begabung nur dann verſtändlich wird, wenn man ihn als
Gemüthsmenſchen auffaßt und müſſen nun wieder daran
erinnern. Denn nach dem Zeugniß Aller, die ihn gekannt,
war es ſein Gemüth, welches ihn auf das Loos der Armen
und Rechtloſen hinlenkte, ſein tiefes, ja grenzenloſes Mit-
leid mit allem unverſchuldeten Unglück. "Die Grundlage
ſeines Patriotismus", ſagt Auguſt Becker, "war das reinſte
Mitleid" — die Geſchwiſter, die Straßburger und Züricher
Freunde, ſie alle wiſſen es nicht anders. So iſt es auch
klar, warum ihm der materielle Druck trauriger erſchien,
als der geiſtige, warum er mehr an die Hebung des erſteren,
als des letzteren dachte. "Es iſt in meinen Augen bei
weitem nicht ſo betrübend, daß dieſer oder jener Liberale
ſeine Gedanken nicht drucken laſſen darf, als daß viele
tauſend Familien nicht im Stande ſind, ihre Kartoffel zu
ſchmälzen" — dieſer äußerlich wie innerlich beglaubigte
Ausſpruch Büchner's kann diesbezüglich als ſein Programm
gelten. Daß auch ſein Bildungsgang und ſeine Erfahrung
nur geeignet waren, dieſes Gemüthsmotiv zu verſtärken,
wiſſen wir bereits. Er hatte zwei Jahre lang in Frankreich
verweilt, dem einzigen Lande Europa's in welchen damals
ſocialiſtiſche Ideen lebhaft erörtert, ja ſtellenweiſe in Thaten
umgeſetzt wurden; er hatte ſich ferners eifrig in das Studium
der großen Revolution, welche ja gleichermaßen eine politiſche,
wie eine ſociale war, verſenkt und daraus gelernt, daß eine
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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. CXXI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/137>, abgerufen am 22.11.2024.
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