Warum? Wie erklärt es sich, daß Büchner diesen Standpunkt gewählt? Geschah es nur als Mittel zum Zweck, oder aus innerster Ueberzeugung? Wer Charakter und Bildungsgang Büchner's erwägt und das Zeugniß seiner Freunde zu Rathe zieht, wird diese Frage ohne viel Be- denken in letzterem Sinne beantworten müssen. Das ist keineswegs ein Widerruf unserer eigenen Behauptung, daß viele Stellen des "Landboten" nur das Product berechnen- der, nicht auf Ueberzeugung basirter Tendenz sind. Wenn ein hochgebildeter Mann zum völlig Ungebildeten spricht, um ihn zu bekehren, so wird er Ton und Gang der Rede zu diesem herabstimmen, Vieles von seinen eigenen Gedanken verschweigen und Manches mit krassen Farben malen müssen, was er unter Gebildeten blos discret anzudeuten brauchte. Büchner wußte, daß es ein starkes Stück Arbeit sei, den Bauer aufzurütteln, und gebrauchte starke Mittel. Und wem gleichwohl die einzelnen Uebertreibungen und Rohheiten des "Landboten" auf Büchner's Charakter einen Schatten zu werfen scheinen, der erwäge auch, welche Erbitterung das brutale Walten der Reaction in diesem leidenschaftlichen Herzen wachrufen mußte, und daß der zwanzigjährige Student um so mehr alle Mittel in diesem Kampfe für berechtigt halten durfte, als das Willkühr-Regiment jener Tage trotz all' seiner bewußten Stärke, trotz aller Declamationen über die "Würde des Staates" selbst die schimpflichsten Mittel nicht verschmähte, um die Bewegung der Geister niederzu- halten. Es war ein Krieg, in unterirdischen Gängen ge- führt, und auf diesem wüsten Kampfplatz ist auch den blanken Waffen Büchner's etwas Rost angeflogen. Aber es waren ehrliche Waffen und der "Landbote" entspricht in seiner
Warum? Wie erklärt es ſich, daß Büchner dieſen Standpunkt gewählt? Geſchah es nur als Mittel zum Zweck, oder aus innerſter Ueberzeugung? Wer Charakter und Bildungsgang Büchner's erwägt und das Zeugniß ſeiner Freunde zu Rathe zieht, wird dieſe Frage ohne viel Be- denken in letzterem Sinne beantworten müſſen. Das iſt keineswegs ein Widerruf unſerer eigenen Behauptung, daß viele Stellen des "Landboten" nur das Product berechnen- der, nicht auf Ueberzeugung baſirter Tendenz ſind. Wenn ein hochgebildeter Mann zum völlig Ungebildeten ſpricht, um ihn zu bekehren, ſo wird er Ton und Gang der Rede zu dieſem herabſtimmen, Vieles von ſeinen eigenen Gedanken verſchweigen und Manches mit kraſſen Farben malen müſſen, was er unter Gebildeten blos discret anzudeuten brauchte. Büchner wußte, daß es ein ſtarkes Stück Arbeit ſei, den Bauer aufzurütteln, und gebrauchte ſtarke Mittel. Und wem gleichwohl die einzelnen Uebertreibungen und Rohheiten des "Landboten" auf Büchner's Charakter einen Schatten zu werfen ſcheinen, der erwäge auch, welche Erbitterung das brutale Walten der Reaction in dieſem leidenſchaftlichen Herzen wachrufen mußte, und daß der zwanzigjährige Student um ſo mehr alle Mittel in dieſem Kampfe für berechtigt halten durfte, als das Willkühr-Regiment jener Tage trotz all' ſeiner bewußten Stärke, trotz aller Declamationen über die "Würde des Staates" ſelbſt die ſchimpflichſten Mittel nicht verſchmähte, um die Bewegung der Geiſter niederzu- halten. Es war ein Krieg, in unterirdiſchen Gängen ge- führt, und auf dieſem wüſten Kampfplatz iſt auch den blanken Waffen Büchner's etwas Roſt angeflogen. Aber es waren ehrliche Waffen und der "Landbote" entſpricht in ſeiner
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[CXX/0136]
Warum? Wie erklärt es ſich, daß Büchner dieſen
Standpunkt gewählt? Geſchah es nur als Mittel zum
Zweck, oder aus innerſter Ueberzeugung? Wer Charakter
und Bildungsgang Büchner's erwägt und das Zeugniß ſeiner
Freunde zu Rathe zieht, wird dieſe Frage ohne viel Be-
denken in letzterem Sinne beantworten müſſen. Das iſt
keineswegs ein Widerruf unſerer eigenen Behauptung, daß
viele Stellen des "Landboten" nur das Product berechnen-
der, nicht auf Ueberzeugung baſirter Tendenz ſind. Wenn
ein hochgebildeter Mann zum völlig Ungebildeten ſpricht, um
ihn zu bekehren, ſo wird er Ton und Gang der Rede zu
dieſem herabſtimmen, Vieles von ſeinen eigenen Gedanken
verſchweigen und Manches mit kraſſen Farben malen müſſen,
was er unter Gebildeten blos discret anzudeuten brauchte.
Büchner wußte, daß es ein ſtarkes Stück Arbeit ſei, den
Bauer aufzurütteln, und gebrauchte ſtarke Mittel. Und wem
gleichwohl die einzelnen Uebertreibungen und Rohheiten des
"Landboten" auf Büchner's Charakter einen Schatten zu
werfen ſcheinen, der erwäge auch, welche Erbitterung das
brutale Walten der Reaction in dieſem leidenſchaftlichen
Herzen wachrufen mußte, und daß der zwanzigjährige Student
um ſo mehr alle Mittel in dieſem Kampfe für berechtigt
halten durfte, als das Willkühr-Regiment jener Tage trotz
all' ſeiner bewußten Stärke, trotz aller Declamationen über
die "Würde des Staates" ſelbſt die ſchimpflichſten Mittel
nicht verſchmähte, um die Bewegung der Geiſter niederzu-
halten. Es war ein Krieg, in unterirdiſchen Gängen ge-
führt, und auf dieſem wüſten Kampfplatz iſt auch den blanken
Waffen Büchner's etwas Roſt angeflogen. Aber es waren
ehrliche Waffen und der "Landbote" entſpricht in ſeiner
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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. CXX. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/136>, abgerufen am 22.11.2024.
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