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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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unerhörten Selbstlosigkeit. Auch bei Sand war es ja nicht
anders, und dieselbe Grundrichtung haben Beide aus den-
selben Einflüßen empfangen, aus der schwärmerischen, gott-
trunkenen und hochpatriotischen Stimmung der deutschen
Jugend um die Zeit der Befreiungskriege. Wohl war Weidig
um jene Zeit (seit 1812) bereits Conrector zu Butzbach,
aber er war nicht blos ein persönlicher Freund der Brüder
Follen, sondern auch begeisterter Anhänger der Gesinnungen
der ersten deutschen Burschenschaft. Er war's, der jene
"deutsche Gesellschaft" gründete, deren S. LXXV Erwähnung
geschehen; sie wurde zersprengt, aber er fuhr fort, nach deren
Grundsätzen zu leben und zu wirken. In seinem Lebens-
wandel ein Muster aller männlichen Tugenden, wie selbst
seine erbittertsten Gegner zugestehen; von unsäglicher Herzens-
milde und dabei doch voll rastloser Thatkraft, setzte er seine
ganze Kraft darein, nicht blos die ihm anvertraute Jugend,
sondern Jeden, auf den er Einfluß gewann, zu "ächter
Teutschheit" zu erziehen. Darunter aber verstand er nicht
blos Sittenstrenge und Frömmigkeit, sondern auch bedingungs-
lose Hingabe an das Vaterland. Selten sprach er von
Religion, ohne auch in die Politik hinüberzulenken, und nie
von Politik, ohne seine Ueberzeugung durch Bibelstellen zu
erhärten. Wenn er von der Freiheit Deutschlands sprach,
so citirte er gern den Satz des Evangeliums: "Werdet nicht
der Menschen Knechte, denn ihr seid theuer erkauft!" und
bezüglich der Einheit pflegte er auszurufen: "Wir sind nach
den Gesetzen der Natur und somit Gottes ein Volk, und
was Gott zusammenfügt, soll der Mensch nicht trennen!"
Diesen letzteren Spruch bezeichnete er selbst als den Grund-
stein seiner Ueberzeugung, höher als die Freiheitsfrage stand

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unerhörten Selbſtloſigkeit. Auch bei Sand war es ja nicht
anders, und dieſelbe Grundrichtung haben Beide aus den-
ſelben Einflüßen empfangen, aus der ſchwärmeriſchen, gott-
trunkenen und hochpatriotiſchen Stimmung der deutſchen
Jugend um die Zeit der Befreiungskriege. Wohl war Weidig
um jene Zeit (ſeit 1812) bereits Conrector zu Butzbach,
aber er war nicht blos ein perſönlicher Freund der Brüder
Follen, ſondern auch begeiſterter Anhänger der Geſinnungen
der erſten deutſchen Burſchenſchaft. Er war's, der jene
"deutſche Geſellſchaft" gründete, deren S. LXXV Erwähnung
geſchehen; ſie wurde zerſprengt, aber er fuhr fort, nach deren
Grundſätzen zu leben und zu wirken. In ſeinem Lebens-
wandel ein Muſter aller männlichen Tugenden, wie ſelbſt
ſeine erbittertſten Gegner zugeſtehen; von unſäglicher Herzens-
milde und dabei doch voll raſtloſer Thatkraft, ſetzte er ſeine
ganze Kraft darein, nicht blos die ihm anvertraute Jugend,
ſondern Jeden, auf den er Einfluß gewann, zu "ächter
Teutſchheit" zu erziehen. Darunter aber verſtand er nicht
blos Sittenſtrenge und Frömmigkeit, ſondern auch bedingungs-
loſe Hingabe an das Vaterland. Selten ſprach er von
Religion, ohne auch in die Politik hinüberzulenken, und nie
von Politik, ohne ſeine Ueberzeugung durch Bibelſtellen zu
erhärten. Wenn er von der Freiheit Deutſchlands ſprach,
ſo citirte er gern den Satz des Evangeliums: "Werdet nicht
der Menſchen Knechte, denn ihr ſeid theuer erkauft!" und
bezüglich der Einheit pflegte er auszurufen: "Wir ſind nach
den Geſetzen der Natur und ſomit Gottes ein Volk, und
was Gott zuſammenfügt, ſoll der Menſch nicht trennen!"
Dieſen letzteren Spruch bezeichnete er ſelbſt als den Grund-
ſtein ſeiner Ueberzeugung, höher als die Freiheitsfrage ſtand

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[XCIX/0115] unerhörten Selbſtloſigkeit. Auch bei Sand war es ja nicht anders, und dieſelbe Grundrichtung haben Beide aus den- ſelben Einflüßen empfangen, aus der ſchwärmeriſchen, gott- trunkenen und hochpatriotiſchen Stimmung der deutſchen Jugend um die Zeit der Befreiungskriege. Wohl war Weidig um jene Zeit (ſeit 1812) bereits Conrector zu Butzbach, aber er war nicht blos ein perſönlicher Freund der Brüder Follen, ſondern auch begeiſterter Anhänger der Geſinnungen der erſten deutſchen Burſchenſchaft. Er war's, der jene "deutſche Geſellſchaft" gründete, deren S. LXXV Erwähnung geſchehen; ſie wurde zerſprengt, aber er fuhr fort, nach deren Grundſätzen zu leben und zu wirken. In ſeinem Lebens- wandel ein Muſter aller männlichen Tugenden, wie ſelbſt ſeine erbittertſten Gegner zugeſtehen; von unſäglicher Herzens- milde und dabei doch voll raſtloſer Thatkraft, ſetzte er ſeine ganze Kraft darein, nicht blos die ihm anvertraute Jugend, ſondern Jeden, auf den er Einfluß gewann, zu "ächter Teutſchheit" zu erziehen. Darunter aber verſtand er nicht blos Sittenſtrenge und Frömmigkeit, ſondern auch bedingungs- loſe Hingabe an das Vaterland. Selten ſprach er von Religion, ohne auch in die Politik hinüberzulenken, und nie von Politik, ohne ſeine Ueberzeugung durch Bibelſtellen zu erhärten. Wenn er von der Freiheit Deutſchlands ſprach, ſo citirte er gern den Satz des Evangeliums: "Werdet nicht der Menſchen Knechte, denn ihr ſeid theuer erkauft!" und bezüglich der Einheit pflegte er auszurufen: "Wir ſind nach den Geſetzen der Natur und ſomit Gottes ein Volk, und was Gott zuſammenfügt, ſoll der Menſch nicht trennen!" Dieſen letzteren Spruch bezeichnete er ſelbſt als den Grund- ſtein ſeiner Ueberzeugung, höher als die Freiheitsfrage ſtand g *

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. XCIX. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/115>, abgerufen am 24.11.2024.