und er setzte seine ganze Energie und Ueberlegenheit daran, ihn zu einem menschenwürdigen Dasein emporzuheben. Viel- leicht wäre dies auch bei längerer Einflußnahme gelungen, so aber sank Becker, nachdem Büchner Gießen verlassen, rasch wieder in sein früheres Treiben zurück und hat sich sein Leben lang nicht wieder daraus emporkämpfen können -- er ist nach einer Reihe seltsamster Schicksalsfügungen, wie sie kein Romanschreiber interessanter ersinnen könnte, 1871 als Penny-a-liner zu Cincinnati gestorben. Doch interessirt uns dieser merkwürdige Mensch hier nur in seinen Beziehungen zu Georg Büchner und als intimer Freund desselben. Denn auf diese Bezeichnung konnte August Becker schon nach kurzem Verkehre Anspruch machen. Es war ein eigenthüm- liches Verhältniß; Büchner zog Becker an sich heran, weil er Mitleid mit ihm hatte, weil ihn der geistvolle, wenn auch cynisch-wirre Mensch interessirte, und endlich gewiß nicht zum geringsten Theil deßhalb, weil ihm der Verkehr mit diesem armen Sonderling gerade in seiner damaligen Gemüthsstimmung zusagte. Becker hingegen fühlte sich durch diese Güte eines genialen, allgemein respectirten Jüng- lings so gehoben und dankbar verpflichtet, daß er ihm mit blindester, rückhaltsloser Treue anhing. Was Büchner sprach, prägte er sich ein, wie ein Evangelium (vgl. S. 409 ff), und in der drangvollsten Zeit seines Lebens hat er mit Stolz darauf hingewiesen, daß ihm Büchner schon damals seine Beziehung zu Minna Jaegle mitgetheilt, als diese noch für die ganze übrige Welt ein Geheimniß war (S. 418). Was Wunder, daß Becker sich verpflichtet fühlte, dem Freunde nun auch sein großes Geheimniß mitzutheilen: er sei Mit- glied einer Verschwörung und stehe sogar in innigem Verkehr
und er ſetzte ſeine ganze Energie und Ueberlegenheit daran, ihn zu einem menſchenwürdigen Daſein emporzuheben. Viel- leicht wäre dies auch bei längerer Einflußnahme gelungen, ſo aber ſank Becker, nachdem Büchner Gießen verlaſſen, raſch wieder in ſein früheres Treiben zurück und hat ſich ſein Leben lang nicht wieder daraus emporkämpfen können — er iſt nach einer Reihe ſeltſamſter Schickſalsfügungen, wie ſie kein Romanſchreiber intereſſanter erſinnen könnte, 1871 als Penny-a-liner zu Cincinnati geſtorben. Doch intereſſirt uns dieſer merkwürdige Menſch hier nur in ſeinen Beziehungen zu Georg Büchner und als intimer Freund deſſelben. Denn auf dieſe Bezeichnung konnte Auguſt Becker ſchon nach kurzem Verkehre Anſpruch machen. Es war ein eigenthüm- liches Verhältniß; Büchner zog Becker an ſich heran, weil er Mitleid mit ihm hatte, weil ihn der geiſtvolle, wenn auch cyniſch-wirre Menſch intereſſirte, und endlich gewiß nicht zum geringſten Theil deßhalb, weil ihm der Verkehr mit dieſem armen Sonderling gerade in ſeiner damaligen Gemüthsſtimmung zuſagte. Becker hingegen fühlte ſich durch dieſe Güte eines genialen, allgemein reſpectirten Jüng- lings ſo gehoben und dankbar verpflichtet, daß er ihm mit blindeſter, rückhaltsloſer Treue anhing. Was Büchner ſprach, prägte er ſich ein, wie ein Evangelium (vgl. S. 409 ff), und in der drangvollſten Zeit ſeines Lebens hat er mit Stolz darauf hingewieſen, daß ihm Büchner ſchon damals ſeine Beziehung zu Minna Jaeglé mitgetheilt, als dieſe noch für die ganze übrige Welt ein Geheimniß war (S. 418). Was Wunder, daß Becker ſich verpflichtet fühlte, dem Freunde nun auch ſein großes Geheimniß mitzutheilen: er ſei Mit- glied einer Verſchwörung und ſtehe ſogar in innigem Verkehr
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[XCVI/0112]
und er ſetzte ſeine ganze Energie und Ueberlegenheit daran,
ihn zu einem menſchenwürdigen Daſein emporzuheben. Viel-
leicht wäre dies auch bei längerer Einflußnahme gelungen, ſo
aber ſank Becker, nachdem Büchner Gießen verlaſſen, raſch
wieder in ſein früheres Treiben zurück und hat ſich ſein
Leben lang nicht wieder daraus emporkämpfen können —
er iſt nach einer Reihe ſeltſamſter Schickſalsfügungen, wie
ſie kein Romanſchreiber intereſſanter erſinnen könnte, 1871
als Penny-a-liner zu Cincinnati geſtorben. Doch intereſſirt
uns dieſer merkwürdige Menſch hier nur in ſeinen Beziehungen
zu Georg Büchner und als intimer Freund deſſelben. Denn
auf dieſe Bezeichnung konnte Auguſt Becker ſchon nach
kurzem Verkehre Anſpruch machen. Es war ein eigenthüm-
liches Verhältniß; Büchner zog Becker an ſich heran, weil
er Mitleid mit ihm hatte, weil ihn der geiſtvolle, wenn
auch cyniſch-wirre Menſch intereſſirte, und endlich gewiß
nicht zum geringſten Theil deßhalb, weil ihm der Verkehr
mit dieſem armen Sonderling gerade in ſeiner damaligen
Gemüthsſtimmung zuſagte. Becker hingegen fühlte ſich
durch dieſe Güte eines genialen, allgemein reſpectirten Jüng-
lings ſo gehoben und dankbar verpflichtet, daß er ihm mit
blindeſter, rückhaltsloſer Treue anhing. Was Büchner ſprach,
prägte er ſich ein, wie ein Evangelium (vgl. S. 409 ff),
und in der drangvollſten Zeit ſeines Lebens hat er mit
Stolz darauf hingewieſen, daß ihm Büchner ſchon damals ſeine
Beziehung zu Minna Jaeglé mitgetheilt, als dieſe noch für
die ganze übrige Welt ein Geheimniß war (S. 418). Was
Wunder, daß Becker ſich verpflichtet fühlte, dem Freunde
nun auch ſein großes Geheimniß mitzutheilen: er ſei Mit-
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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. XCVI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/112>, abgerufen am 24.11.2024.
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