den ihm lieblose Verwandte reichten, war von Vorwürfen begleitet, daß er ihnen eine Last sei, jede Gabe, die er über ihren Befehl von frommen Gönnern einsammeln mußte, wurde mit der Mahnung gewürzt, daß er sich dieser Gnade durch Hingabe an seinen künftigen frommen Beruf erst werde würdig machen müssen -- kein Wunder, daß ihm dieser Beruf früh verleidet wurde! Jede Knabenlust ward ihm vergällt, jedes heitere Lachen verübelt -- ein "Bettelstudent" habe kein Recht, fröhlich zu sein. Und doch betrug diese Unterstützung täglich sieben Kreuzer und mußte täglich ab- geholt werden! Ein überaus empfindliches Ehrgefühl ließ ihn die Bitterkeit dieser Lage noch peinlicher empfinden, als sie ohnehin war; schon damals gewöhnte er sich daran, lieber einen Tag zu hungern, als die Gabe abzuholen. Seine Versuche, sich durch Privatunterricht kleiner Kinder einiges Geld zu erwerben, mißglückten; dem ärmlich gekleideten, scheuen, häßlichen und noch obendrein rothhaarigen Jungen mochte selbst ein Handwerker seine Kinder nicht anvertrauen. Dieses unverdiente Mißtrauen weckte seinen Trotz, bald wollte er als das gelten, wofür man ihn hielt, einen trägen, miß- rathenen Menschen. Nachdem er das Gymnasium beendet, hörte jegliche Unterstützung auf; er ließ sich als Theologe inscribiren, weil er die täglichen sieben Kreuzer nur unter dieser Bedingung erhalten, zum Studium hielt er sich nicht verpflichtet. Daß er oft und vergeblich Arbeit und Erwerb gesucht, hehlte er Jedermann, er wolle nicht arbeiten! So war dieser cynisch-freche, jämmerlich aufgeputzte Tagedieb im Herzen ein zerknirschter, von peinlichster Selbstqual gefolterter Mensch. Nachdem Büchner dies erkannt, ward sein leiden- schaftliches Mitleid auch für diesen Unglücklichen lebendig,
den ihm liebloſe Verwandte reichten, war von Vorwürfen begleitet, daß er ihnen eine Laſt ſei, jede Gabe, die er über ihren Befehl von frommen Gönnern einſammeln mußte, wurde mit der Mahnung gewürzt, daß er ſich dieſer Gnade durch Hingabe an ſeinen künftigen frommen Beruf erſt werde würdig machen müſſen — kein Wunder, daß ihm dieſer Beruf früh verleidet wurde! Jede Knabenluſt ward ihm vergällt, jedes heitere Lachen verübelt — ein "Bettelſtudent" habe kein Recht, fröhlich zu ſein. Und doch betrug dieſe Unterſtützung täglich ſieben Kreuzer und mußte täglich ab- geholt werden! Ein überaus empfindliches Ehrgefühl ließ ihn die Bitterkeit dieſer Lage noch peinlicher empfinden, als ſie ohnehin war; ſchon damals gewöhnte er ſich daran, lieber einen Tag zu hungern, als die Gabe abzuholen. Seine Verſuche, ſich durch Privatunterricht kleiner Kinder einiges Geld zu erwerben, mißglückten; dem ärmlich gekleideten, ſcheuen, häßlichen und noch obendrein rothhaarigen Jungen mochte ſelbſt ein Handwerker ſeine Kinder nicht anvertrauen. Dieſes unverdiente Mißtrauen weckte ſeinen Trotz, bald wollte er als das gelten, wofür man ihn hielt, einen trägen, miß- rathenen Menſchen. Nachdem er das Gymnaſium beendet, hörte jegliche Unterſtützung auf; er ließ ſich als Theologe inſcribiren, weil er die täglichen ſieben Kreuzer nur unter dieſer Bedingung erhalten, zum Studium hielt er ſich nicht verpflichtet. Daß er oft und vergeblich Arbeit und Erwerb geſucht, hehlte er Jedermann, er wolle nicht arbeiten! So war dieſer cyniſch-freche, jämmerlich aufgeputzte Tagedieb im Herzen ein zerknirſchter, von peinlichſter Selbſtqual gefolterter Menſch. Nachdem Büchner dies erkannt, ward ſein leiden- ſchaftliches Mitleid auch für dieſen Unglücklichen lebendig,
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[XCV/0111]
den ihm liebloſe Verwandte reichten, war von Vorwürfen
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ihren Befehl von frommen Gönnern einſammeln mußte,
wurde mit der Mahnung gewürzt, daß er ſich dieſer Gnade
durch Hingabe an ſeinen künftigen frommen Beruf erſt werde
würdig machen müſſen — kein Wunder, daß ihm dieſer
Beruf früh verleidet wurde! Jede Knabenluſt ward ihm
vergällt, jedes heitere Lachen verübelt — ein "Bettelſtudent"
habe kein Recht, fröhlich zu ſein. Und doch betrug dieſe
Unterſtützung täglich ſieben Kreuzer und mußte täglich ab-
geholt werden! Ein überaus empfindliches Ehrgefühl ließ
ihn die Bitterkeit dieſer Lage noch peinlicher empfinden, als
ſie ohnehin war; ſchon damals gewöhnte er ſich daran, lieber
einen Tag zu hungern, als die Gabe abzuholen. Seine
Verſuche, ſich durch Privatunterricht kleiner Kinder einiges
Geld zu erwerben, mißglückten; dem ärmlich gekleideten,
ſcheuen, häßlichen und noch obendrein rothhaarigen Jungen
mochte ſelbſt ein Handwerker ſeine Kinder nicht anvertrauen.
Dieſes unverdiente Mißtrauen weckte ſeinen Trotz, bald wollte
er als das gelten, wofür man ihn hielt, einen trägen, miß-
rathenen Menſchen. Nachdem er das Gymnaſium beendet,
hörte jegliche Unterſtützung auf; er ließ ſich als Theologe
inſcribiren, weil er die täglichen ſieben Kreuzer nur unter
dieſer Bedingung erhalten, zum Studium hielt er ſich nicht
verpflichtet. Daß er oft und vergeblich Arbeit und Erwerb
geſucht, hehlte er Jedermann, er wolle nicht arbeiten! So
war dieſer cyniſch-freche, jämmerlich aufgeputzte Tagedieb im
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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. XCV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/111>, abgerufen am 24.11.2024.
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