Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

das Centrum alles Unheils, die Bundesversammlung in
Frankfurt, sprengen sollte. Daß ihm dieser Gedanke spontan
gekommen, ist unzweifelhaft -- ob ihm zuerst, wie später
seine Richter meinten, ist ziemlich gleichgültig, wenn man
erwägt, daß derselbe Gedanke fast zu gleicher Zeit in ver-
schiedenen deutschen Staaten, in beiden Hessen, in Baden
und Nassau, und endlich in Frankfurt selbst, in Männern
und Jünglingen auftauchte, welche durch kein äußeres Band
einer Organisation verknüpft wurden, nur durch das innere
einer gemeinsamen schwärmerischen Ueberzeugung. So war
Weidig selbst freudig erstaunt, als ihm der Gedanke, den
er einsam ausgebrütet, plötzlich von Anderer Lippen entgegen-
klang, nutzte dann aber diesen Umstand eifrigst aus, indem
er durch Versammlungen, Sendboten und Rundschreiben auch
eine formelle Organisation herbeiführen half. Die erste
Grundlage hiezu war, wie es scheint, bei einer festlichen
Zusammenkunft auf der Frankfurter Mainlust im October
1832 gelegt worden, vielleicht auch schon früher, denn ein
völlig genaues und getreues Bild jener Vorgänge vor dem
Frankfurter Putsch wird sich nie gewinnen lassen. Gunst
und Haß der Parteien haben es entstellt, von den Betheiligten
selbst haben später leider nur unglaubwürdige Männer ihre
Erinnerungen veröffentlicht, und die von Noellner heraus-
gegebenen Proceßacten verzeichnen widersprechende Angaben.
Dies gilt auch von dem Antheil, den Weidig an der Be-
wegung genommen, doch läßt sich immerhin folgendes mit
Sicherheit darüber aussagen. Weidig warb mit rastlosem
Eifer Theilnehmer unter den Bürgerssöhnen in Oberhessen,
namentlich in Butzbach und Friedberg, er vermittelte ferner
die Verbindung zwischen den Gießener Studenten und den

das Centrum alles Unheils, die Bundesverſammlung in
Frankfurt, ſprengen ſollte. Daß ihm dieſer Gedanke ſpontan
gekommen, iſt unzweifelhaft — ob ihm zuerſt, wie ſpäter
ſeine Richter meinten, iſt ziemlich gleichgültig, wenn man
erwägt, daß derſelbe Gedanke faſt zu gleicher Zeit in ver-
ſchiedenen deutſchen Staaten, in beiden Heſſen, in Baden
und Naſſau, und endlich in Frankfurt ſelbſt, in Männern
und Jünglingen auftauchte, welche durch kein äußeres Band
einer Organiſation verknüpft wurden, nur durch das innere
einer gemeinſamen ſchwärmeriſchen Ueberzeugung. So war
Weidig ſelbſt freudig erſtaunt, als ihm der Gedanke, den
er einſam ausgebrütet, plötzlich von Anderer Lippen entgegen-
klang, nutzte dann aber dieſen Umſtand eifrigſt aus, indem
er durch Verſammlungen, Sendboten und Rundſchreiben auch
eine formelle Organiſation herbeiführen half. Die erſte
Grundlage hiezu war, wie es ſcheint, bei einer feſtlichen
Zuſammenkunft auf der Frankfurter Mainluſt im October
1832 gelegt worden, vielleicht auch ſchon früher, denn ein
völlig genaues und getreues Bild jener Vorgänge vor dem
Frankfurter Putſch wird ſich nie gewinnen laſſen. Gunſt
und Haß der Parteien haben es entſtellt, von den Betheiligten
ſelbſt haben ſpäter leider nur unglaubwürdige Männer ihre
Erinnerungen veröffentlicht, und die von Noellner heraus-
gegebenen Proceßacten verzeichnen widerſprechende Angaben.
Dies gilt auch von dem Antheil, den Weidig an der Be-
wegung genommen, doch läßt ſich immerhin folgendes mit
Sicherheit darüber ausſagen. Weidig warb mit raſtloſem
Eifer Theilnehmer unter den Bürgersſöhnen in Oberheſſen,
namentlich in Butzbach und Friedberg, er vermittelte ferner
die Verbindung zwiſchen den Gießener Studenten und den

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0101" n="LXXXV"/>
das Centrum alles Unheils, die Bundesver&#x017F;ammlung in<lb/>
Frankfurt, &#x017F;prengen &#x017F;ollte. Daß ihm die&#x017F;er Gedanke &#x017F;pontan<lb/>
gekommen, i&#x017F;t unzweifelhaft &#x2014; ob ihm <hi rendition="#g">zuer&#x017F;t</hi>, wie &#x017F;päter<lb/>
&#x017F;eine Richter meinten, i&#x017F;t ziemlich gleichgültig, wenn man<lb/>
erwägt, daß der&#x017F;elbe Gedanke fa&#x017F;t zu gleicher Zeit in ver-<lb/>
&#x017F;chiedenen deut&#x017F;chen Staaten, in beiden He&#x017F;&#x017F;en, in Baden<lb/>
und Na&#x017F;&#x017F;au, und endlich in Frankfurt &#x017F;elb&#x017F;t, in Männern<lb/>
und Jünglingen auftauchte, welche durch kein äußeres Band<lb/>
einer Organi&#x017F;ation verknüpft wurden, nur durch das innere<lb/>
einer gemein&#x017F;amen &#x017F;chwärmeri&#x017F;chen Ueberzeugung. So war<lb/><hi rendition="#g">Weidig</hi> &#x017F;elb&#x017F;t freudig er&#x017F;taunt, als ihm der Gedanke, den<lb/>
er ein&#x017F;am ausgebrütet, plötzlich von Anderer Lippen entgegen-<lb/>
klang, nutzte dann aber die&#x017F;en Um&#x017F;tand eifrig&#x017F;t aus, indem<lb/>
er durch Ver&#x017F;ammlungen, Sendboten und Rund&#x017F;chreiben auch<lb/>
eine formelle Organi&#x017F;ation herbeiführen half. Die er&#x017F;te<lb/>
Grundlage hiezu war, wie es &#x017F;cheint, bei einer fe&#x017F;tlichen<lb/>
Zu&#x017F;ammenkunft auf der Frankfurter Mainlu&#x017F;t im October<lb/>
1832 gelegt worden, vielleicht auch &#x017F;chon früher, denn ein<lb/>
völlig genaues und getreues Bild jener Vorgänge vor dem<lb/>
Frankfurter Put&#x017F;ch wird &#x017F;ich nie gewinnen la&#x017F;&#x017F;en. Gun&#x017F;t<lb/>
und Haß der Parteien haben es ent&#x017F;tellt, von den Betheiligten<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t haben &#x017F;päter leider nur unglaubwürdige Männer ihre<lb/>
Erinnerungen veröffentlicht, und die von <hi rendition="#g">Noellner</hi> heraus-<lb/>
gegebenen Proceßacten verzeichnen wider&#x017F;prechende Angaben.<lb/>
Dies gilt auch von dem Antheil, den <hi rendition="#g">Weidig</hi> an der Be-<lb/>
wegung genommen, doch läßt &#x017F;ich immerhin folgendes mit<lb/>
Sicherheit darüber aus&#x017F;agen. <hi rendition="#g">Weidig</hi> warb mit ra&#x017F;tlo&#x017F;em<lb/>
Eifer Theilnehmer unter den Bürgers&#x017F;öhnen in Oberhe&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
namentlich in Butzbach und Friedberg, er vermittelte ferner<lb/>
die Verbindung zwi&#x017F;chen den Gießener Studenten und den<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[LXXXV/0101] das Centrum alles Unheils, die Bundesverſammlung in Frankfurt, ſprengen ſollte. Daß ihm dieſer Gedanke ſpontan gekommen, iſt unzweifelhaft — ob ihm zuerſt, wie ſpäter ſeine Richter meinten, iſt ziemlich gleichgültig, wenn man erwägt, daß derſelbe Gedanke faſt zu gleicher Zeit in ver- ſchiedenen deutſchen Staaten, in beiden Heſſen, in Baden und Naſſau, und endlich in Frankfurt ſelbſt, in Männern und Jünglingen auftauchte, welche durch kein äußeres Band einer Organiſation verknüpft wurden, nur durch das innere einer gemeinſamen ſchwärmeriſchen Ueberzeugung. So war Weidig ſelbſt freudig erſtaunt, als ihm der Gedanke, den er einſam ausgebrütet, plötzlich von Anderer Lippen entgegen- klang, nutzte dann aber dieſen Umſtand eifrigſt aus, indem er durch Verſammlungen, Sendboten und Rundſchreiben auch eine formelle Organiſation herbeiführen half. Die erſte Grundlage hiezu war, wie es ſcheint, bei einer feſtlichen Zuſammenkunft auf der Frankfurter Mainluſt im October 1832 gelegt worden, vielleicht auch ſchon früher, denn ein völlig genaues und getreues Bild jener Vorgänge vor dem Frankfurter Putſch wird ſich nie gewinnen laſſen. Gunſt und Haß der Parteien haben es entſtellt, von den Betheiligten ſelbſt haben ſpäter leider nur unglaubwürdige Männer ihre Erinnerungen veröffentlicht, und die von Noellner heraus- gegebenen Proceßacten verzeichnen widerſprechende Angaben. Dies gilt auch von dem Antheil, den Weidig an der Be- wegung genommen, doch läßt ſich immerhin folgendes mit Sicherheit darüber ausſagen. Weidig warb mit raſtloſem Eifer Theilnehmer unter den Bürgersſöhnen in Oberheſſen, namentlich in Butzbach und Friedberg, er vermittelte ferner die Verbindung zwiſchen den Gießener Studenten und den

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/101
Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. LXXXV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/101>, abgerufen am 24.11.2024.