Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

den Volkes, wie das englische, ein so eclatantes Zeug-
niß des krassesten Aberglaubens vor der ganzen gebildeten
Welt ablegen konnte, wie sie dieses in ihrem bekannten
Streite mit Lord Palmerston vor Kurzem gethan hat!
Als dieselbe bei der Regierung einen Antrag auf Ab-
haltung eines allgemeinen Buß- und Bettages zur Ab-
wehr der Cholera gestellt hatte, antwortete ihr der edle
Lord, die Verbreitung dieser Krankheit beruhe auf natür-
lichen, zum Theil bekannten Verhältnissen und könne
besser durch sanitätspolizeiliche Maßregeln, als durch Ge-
bete behindert werden. Diese Antwort zog dem Lord
den Vorwurf des Atheismus zu, und die Geistlichkeit
erklärte es für die größte Sünde, nicht daran glauben
zu wollen, daß sich die höchste Allmacht aus persönlichen
Rücksichten jederzeit über die Normen der Natur nach
Belieben hinwegsetzen könne. Welchen sonderbaren Be-
griff müssen solche Menschen von ihrem selbstgeschaffenen
Gotte haben! von einem allerhöchsten Gesetzgeber, der
sich durch ihre Gebete und Seufzer bewegen lassen würde,
die von ihm selbst geschaffene unzerstörbare Ordnung der
Dinge umzustoßen, seine eignen Gesetze zu verletzen, und
in das Walten der Naturkräfte mit eigner Hand zer-
störend einzugreifen! Wahrlich, einen sehr niedrigen
Begriff! und doch entblöden sie sich nicht zu behaupten,
im Besitze der wahren Gottesverehrung zu sein! Da-
von gar nicht zu reden, daß ihnen auch nur die ober-

den Volkes, wie das engliſche, ein ſo eclatantes Zeug-
niß des kraſſeſten Aberglaubens vor der ganzen gebildeten
Welt ablegen konnte, wie ſie dieſes in ihrem bekannten
Streite mit Lord Palmerſton vor Kurzem gethan hat!
Als dieſelbe bei der Regierung einen Antrag auf Ab-
haltung eines allgemeinen Buß- und Bettages zur Ab-
wehr der Cholera geſtellt hatte, antwortete ihr der edle
Lord, die Verbreitung dieſer Krankheit beruhe auf natür-
lichen, zum Theil bekannten Verhältniſſen und könne
beſſer durch ſanitätspolizeiliche Maßregeln, als durch Ge-
bete behindert werden. Dieſe Antwort zog dem Lord
den Vorwurf des Atheismus zu, und die Geiſtlichkeit
erklärte es für die größte Sünde, nicht daran glauben
zu wollen, daß ſich die höchſte Allmacht aus perſönlichen
Rückſichten jederzeit über die Normen der Natur nach
Belieben hinwegſetzen könne. Welchen ſonderbaren Be-
griff müſſen ſolche Menſchen von ihrem ſelbſtgeſchaffenen
Gotte haben! von einem allerhöchſten Geſetzgeber, der
ſich durch ihre Gebete und Seufzer bewegen laſſen würde,
die von ihm ſelbſt geſchaffene unzerſtörbare Ordnung der
Dinge umzuſtoßen, ſeine eignen Geſetze zu verletzen, und
in das Walten der Naturkräfte mit eigner Hand zer-
ſtörend einzugreifen! Wahrlich, einen ſehr niedrigen
Begriff! und doch entblöden ſie ſich nicht zu behaupten,
im Beſitze der wahren Gottesverehrung zu ſein! Da-
von gar nicht zu reden, daß ihnen auch nur die ober-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0058" n="38"/>
den Volkes, wie das <hi rendition="#g">engli&#x017F;che,</hi> ein &#x017F;o eclatantes Zeug-<lb/>
niß des kra&#x017F;&#x017F;e&#x017F;ten Aberglaubens vor der ganzen gebildeten<lb/>
Welt ablegen konnte, wie &#x017F;ie die&#x017F;es in ihrem bekannten<lb/>
Streite mit Lord Palmer&#x017F;ton vor Kurzem gethan hat!<lb/>
Als die&#x017F;elbe bei der Regierung einen Antrag auf Ab-<lb/>
haltung eines allgemeinen Buß- und Bettages zur Ab-<lb/>
wehr der Cholera ge&#x017F;tellt hatte, antwortete ihr der edle<lb/>
Lord, die Verbreitung die&#x017F;er Krankheit beruhe auf natür-<lb/>
lichen, zum Theil bekannten Verhältni&#x017F;&#x017F;en und könne<lb/>
be&#x017F;&#x017F;er durch &#x017F;anitätspolizeiliche Maßregeln, als durch Ge-<lb/>
bete behindert werden. Die&#x017F;e Antwort zog dem Lord<lb/>
den Vorwurf des Atheismus zu, und die Gei&#x017F;tlichkeit<lb/>
erklärte es für die größte Sünde, nicht daran glauben<lb/>
zu wollen, daß &#x017F;ich die höch&#x017F;te Allmacht aus per&#x017F;önlichen<lb/>
Rück&#x017F;ichten jederzeit über die Normen der Natur nach<lb/>
Belieben hinweg&#x017F;etzen könne. Welchen &#x017F;onderbaren Be-<lb/>
griff mü&#x017F;&#x017F;en &#x017F;olche Men&#x017F;chen von ihrem &#x017F;elb&#x017F;tge&#x017F;chaffenen<lb/>
Gotte haben! von einem allerhöch&#x017F;ten Ge&#x017F;etzgeber, der<lb/>
&#x017F;ich durch ihre Gebete und Seufzer bewegen la&#x017F;&#x017F;en würde,<lb/>
die von ihm &#x017F;elb&#x017F;t ge&#x017F;chaffene unzer&#x017F;törbare Ordnung der<lb/>
Dinge umzu&#x017F;toßen, &#x017F;eine eignen Ge&#x017F;etze zu verletzen, und<lb/>
in das Walten der Naturkräfte mit eigner Hand zer-<lb/>
&#x017F;törend einzugreifen! Wahrlich, einen &#x017F;ehr niedrigen<lb/>
Begriff! und doch entblöden &#x017F;ie &#x017F;ich nicht zu behaupten,<lb/>
im Be&#x017F;itze der wahren Gottesverehrung zu &#x017F;ein! Da-<lb/>
von gar nicht zu reden, daß ihnen auch nur die ober-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[38/0058] den Volkes, wie das engliſche, ein ſo eclatantes Zeug- niß des kraſſeſten Aberglaubens vor der ganzen gebildeten Welt ablegen konnte, wie ſie dieſes in ihrem bekannten Streite mit Lord Palmerſton vor Kurzem gethan hat! Als dieſelbe bei der Regierung einen Antrag auf Ab- haltung eines allgemeinen Buß- und Bettages zur Ab- wehr der Cholera geſtellt hatte, antwortete ihr der edle Lord, die Verbreitung dieſer Krankheit beruhe auf natür- lichen, zum Theil bekannten Verhältniſſen und könne beſſer durch ſanitätspolizeiliche Maßregeln, als durch Ge- bete behindert werden. Dieſe Antwort zog dem Lord den Vorwurf des Atheismus zu, und die Geiſtlichkeit erklärte es für die größte Sünde, nicht daran glauben zu wollen, daß ſich die höchſte Allmacht aus perſönlichen Rückſichten jederzeit über die Normen der Natur nach Belieben hinwegſetzen könne. Welchen ſonderbaren Be- griff müſſen ſolche Menſchen von ihrem ſelbſtgeſchaffenen Gotte haben! von einem allerhöchſten Geſetzgeber, der ſich durch ihre Gebete und Seufzer bewegen laſſen würde, die von ihm ſelbſt geſchaffene unzerſtörbare Ordnung der Dinge umzuſtoßen, ſeine eignen Geſetze zu verletzen, und in das Walten der Naturkräfte mit eigner Hand zer- ſtörend einzugreifen! Wahrlich, einen ſehr niedrigen Begriff! und doch entblöden ſie ſich nicht zu behaupten, im Beſitze der wahren Gottesverehrung zu ſein! Da- von gar nicht zu reden, daß ihnen auch nur die ober-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/58
Zitationshilfe: Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/58>, abgerufen am 01.05.2024.