mannigfaltige Wechselwirkung von Stoffen und Kräften in der belebten Natur muß auch unendlich zahlreiche und mannigfaltige Produktionen zur Folge haben, welche keine Grenzen zwischen sich lassen, sondern sich in allen Rich- tungen und in ununterbrochenem Zusammenhang aus- breiten. Die Natur kennt keine Grenzen, sondern nur der systematisirende Verstand des Menschen. Deßwegen hat auch der Mensch kein Recht, sich über die organische Welt vornehm hinauszusetzen, und als Wesen verschie- dener und höherer Art anzusehen; sondern er soll den festen und unzerreißbaren Faden erkennen, der ihn an die Natur selber kettet; mit Allem, was lebt und blüht, theilt er gleichen Ursprung und gleiches Ende.
Herr Professor B. Cotta erzählt eine merkwürdige, von Darwin zuerst beobachtete Geschichte von einem auf den Keelinginseln lebenden Krebs, welcher auf eigenthüm- liche Weise die Cokosnüsse mit seinen Scheeren öffnet und den darin enthaltenen Kern verzehrt. Jn diesem Verhält- niß wollte man einen Beweis für einen ganz besonderen angebornen Jnstinkt finden, und der Erzähler scheint so- gar geneigt, darin einen specifischen Beweis für die höchste Weisheit des Schöpfers zu erblicken, welcher für diesen besonderen Zweck ein eigens dazu eingerichtetes Thier geschaffen haben müsse! Es ist schwer begreiflich, wie ein Naturforscher auf eine solche Jdee kommen kann, und eine Widerlegung dieser ganzen Anschauungsweise
mannigfaltige Wechſelwirkung von Stoffen und Kräften in der belebten Natur muß auch unendlich zahlreiche und mannigfaltige Produktionen zur Folge haben, welche keine Grenzen zwiſchen ſich laſſen, ſondern ſich in allen Rich- tungen und in ununterbrochenem Zuſammenhang aus- breiten. Die Natur kennt keine Grenzen, ſondern nur der ſyſtematiſirende Verſtand des Menſchen. Deßwegen hat auch der Menſch kein Recht, ſich über die organiſche Welt vornehm hinauszuſetzen, und als Weſen verſchie- dener und höherer Art anzuſehen; ſondern er ſoll den feſten und unzerreißbaren Faden erkennen, der ihn an die Natur ſelber kettet; mit Allem, was lebt und blüht, theilt er gleichen Urſprung und gleiches Ende.
Herr Profeſſor B. Cotta erzählt eine merkwürdige, von Darwin zuerſt beobachtete Geſchichte von einem auf den Keelinginſeln lebenden Krebs, welcher auf eigenthüm- liche Weiſe die Cokosnüſſe mit ſeinen Scheeren öffnet und den darin enthaltenen Kern verzehrt. Jn dieſem Verhält- niß wollte man einen Beweis für einen ganz beſonderen angebornen Jnſtinkt finden, und der Erzähler ſcheint ſo- gar geneigt, darin einen ſpecifiſchen Beweis für die höchſte Weisheit des Schöpfers zu erblicken, welcher für dieſen beſonderen Zweck ein eigens dazu eingerichtetes Thier geſchaffen haben müſſe! Es iſt ſchwer begreiflich, wie ein Naturforſcher auf eine ſolche Jdee kommen kann, und eine Widerlegung dieſer ganzen Anſchauungsweiſe
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0259"n="239"/>
mannigfaltige Wechſelwirkung von Stoffen und Kräften<lb/>
in der belebten Natur muß auch unendlich zahlreiche und<lb/>
mannigfaltige Produktionen zur Folge haben, welche keine<lb/>
Grenzen zwiſchen ſich laſſen, ſondern ſich in allen Rich-<lb/>
tungen und in ununterbrochenem Zuſammenhang aus-<lb/>
breiten. Die Natur kennt keine Grenzen, ſondern nur<lb/>
der ſyſtematiſirende Verſtand des Menſchen. Deßwegen<lb/>
hat auch der Menſch kein Recht, ſich über die organiſche<lb/>
Welt vornehm hinauszuſetzen, und als Weſen <hirendition="#g">verſchie-<lb/>
dener und höherer Art</hi> anzuſehen; ſondern er ſoll<lb/>
den feſten und unzerreißbaren Faden erkennen, der ihn<lb/>
an die Natur ſelber kettet; mit Allem, was lebt und<lb/>
blüht, theilt er gleichen Urſprung und gleiches Ende.</p><lb/><p>Herr Profeſſor B. <hirendition="#g">Cotta</hi> erzählt eine merkwürdige,<lb/>
von <hirendition="#g">Darwin</hi> zuerſt beobachtete Geſchichte von einem auf<lb/>
den Keelinginſeln lebenden Krebs, welcher auf eigenthüm-<lb/>
liche Weiſe die Cokosnüſſe mit ſeinen Scheeren öffnet und<lb/>
den darin enthaltenen Kern verzehrt. Jn dieſem Verhält-<lb/>
niß wollte man einen Beweis für einen ganz beſonderen<lb/>
angebornen Jnſtinkt finden, und der Erzähler ſcheint ſo-<lb/>
gar geneigt, darin einen ſpecifiſchen Beweis für die<lb/>
höchſte Weisheit des Schöpfers zu erblicken, welcher für<lb/>
dieſen beſonderen Zweck ein eigens dazu eingerichtetes<lb/>
Thier geſchaffen haben müſſe! Es iſt ſchwer begreiflich,<lb/>
wie ein Naturforſcher auf eine ſolche Jdee kommen kann,<lb/>
und eine Widerlegung dieſer ganzen Anſchauungsweiſe<lb/></p></div></body></text></TEI>
[239/0259]
mannigfaltige Wechſelwirkung von Stoffen und Kräften
in der belebten Natur muß auch unendlich zahlreiche und
mannigfaltige Produktionen zur Folge haben, welche keine
Grenzen zwiſchen ſich laſſen, ſondern ſich in allen Rich-
tungen und in ununterbrochenem Zuſammenhang aus-
breiten. Die Natur kennt keine Grenzen, ſondern nur
der ſyſtematiſirende Verſtand des Menſchen. Deßwegen
hat auch der Menſch kein Recht, ſich über die organiſche
Welt vornehm hinauszuſetzen, und als Weſen verſchie-
dener und höherer Art anzuſehen; ſondern er ſoll
den feſten und unzerreißbaren Faden erkennen, der ihn
an die Natur ſelber kettet; mit Allem, was lebt und
blüht, theilt er gleichen Urſprung und gleiches Ende.
Herr Profeſſor B. Cotta erzählt eine merkwürdige,
von Darwin zuerſt beobachtete Geſchichte von einem auf
den Keelinginſeln lebenden Krebs, welcher auf eigenthüm-
liche Weiſe die Cokosnüſſe mit ſeinen Scheeren öffnet und
den darin enthaltenen Kern verzehrt. Jn dieſem Verhält-
niß wollte man einen Beweis für einen ganz beſonderen
angebornen Jnſtinkt finden, und der Erzähler ſcheint ſo-
gar geneigt, darin einen ſpecifiſchen Beweis für die
höchſte Weisheit des Schöpfers zu erblicken, welcher für
dieſen beſonderen Zweck ein eigens dazu eingerichtetes
Thier geſchaffen haben müſſe! Es iſt ſchwer begreiflich,
wie ein Naturforſcher auf eine ſolche Jdee kommen kann,
und eine Widerlegung dieſer ganzen Anſchauungsweiſe
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/259>, abgerufen am 03.05.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.