Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

werden können, als die der Menschen. Welche merk-
würdigen Dinge sehen wir oft von abgerichteten Thieren
geleistet! Welch' anderes Wesen ist ein dressirter Jagd-
hund, als ein gewöhnlicher Hund derselben Klasse! Diese
Dressur ist nicht, wie man sich dieses wohl vorstellt,
eine bloß mechanische, sondern beruht auf wirklicher Er-
ziehung und dem Begreiflichmachen gewisser zu erreichen-
der Zwecke an das Thier. Oder wäre es möglich, daß
ein Hund ein Wild "stehen" könne, ohne daß er die
Absicht dieser Procedur vorher eingesehen hätte? Daß
die Erziehung des Thieres auf eine langsame und mühe-
volle Weise vor sich geht, liegt nicht in dem Begriffs-
mangel desselben, sondern hauptsächlich in der Unmöglich-
keit der directen Mittheilung; es müssen dieselben Mittel
angewendet werden -- und sie werden es in der That --
welche der mühevolle Unterricht des Taubstummen er-
fordert.

So kann der allmählige Uebergang, welcher durch
unzählige Mittelstufen vom Thiere zum Menschen statt-
findet, sowohl nach geistigen, als nach körperlichen Qua-
litäten, nur mehr von Denen geleugnet werden, welche
es lieben, ihre eigene Ansicht über die Thatsachen zu
setzen. Alle jene bekannten Unterscheidungszeichen, welche
man im Jnteresse einer strengen Trennung geltend ge-
macht hat, sind ihrer Natur nach nur relative, keine ab-
soluten. Wie könnte es auch anders sein? Die unendlich

werden können, als die der Menſchen. Welche merk-
würdigen Dinge ſehen wir oft von abgerichteten Thieren
geleiſtet! Welch’ anderes Weſen iſt ein dreſſirter Jagd-
hund, als ein gewöhnlicher Hund derſelben Klaſſe! Dieſe
Dreſſur iſt nicht, wie man ſich dieſes wohl vorſtellt,
eine bloß mechaniſche, ſondern beruht auf wirklicher Er-
ziehung und dem Begreiflichmachen gewiſſer zu erreichen-
der Zwecke an das Thier. Oder wäre es möglich, daß
ein Hund ein Wild „ſtehen‟ könne, ohne daß er die
Abſicht dieſer Procedur vorher eingeſehen hätte? Daß
die Erziehung des Thieres auf eine langſame und mühe-
volle Weiſe vor ſich geht, liegt nicht in dem Begriffs-
mangel deſſelben, ſondern hauptſächlich in der Unmöglich-
keit der directen Mittheilung; es müſſen dieſelben Mittel
angewendet werden — und ſie werden es in der That —
welche der mühevolle Unterricht des Taubſtummen er-
fordert.

So kann der allmählige Uebergang, welcher durch
unzählige Mittelſtufen vom Thiere zum Menſchen ſtatt-
findet, ſowohl nach geiſtigen, als nach körperlichen Qua-
litäten, nur mehr von Denen geleugnet werden, welche
es lieben, ihre eigene Anſicht über die Thatſachen zu
ſetzen. Alle jene bekannten Unterſcheidungszeichen, welche
man im Jntereſſe einer ſtrengen Trennung geltend ge-
macht hat, ſind ihrer Natur nach nur relative, keine ab-
ſoluten. Wie könnte es auch anders ſein? Die unendlich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0258" n="238"/>
werden können, als die der Men&#x017F;chen. Welche merk-<lb/>
würdigen Dinge &#x017F;ehen wir oft von abgerichteten Thieren<lb/>
gelei&#x017F;tet! Welch&#x2019; anderes We&#x017F;en i&#x017F;t ein dre&#x017F;&#x017F;irter Jagd-<lb/>
hund, als ein gewöhnlicher Hund der&#x017F;elben Kla&#x017F;&#x017F;e! Die&#x017F;e<lb/>
Dre&#x017F;&#x017F;ur i&#x017F;t nicht, wie man &#x017F;ich die&#x017F;es wohl vor&#x017F;tellt,<lb/>
eine bloß mechani&#x017F;che, &#x017F;ondern beruht auf wirklicher Er-<lb/>
ziehung und dem Begreiflichmachen gewi&#x017F;&#x017F;er zu erreichen-<lb/>
der Zwecke an das Thier. Oder wäre es möglich, daß<lb/>
ein Hund ein Wild &#x201E;&#x017F;tehen&#x201F; könne, ohne daß er die<lb/>
Ab&#x017F;icht die&#x017F;er Procedur vorher einge&#x017F;ehen hätte? Daß<lb/>
die Erziehung des Thieres auf eine lang&#x017F;ame und mühe-<lb/>
volle Wei&#x017F;e vor &#x017F;ich geht, liegt nicht in dem Begriffs-<lb/>
mangel de&#x017F;&#x017F;elben, &#x017F;ondern haupt&#x017F;ächlich in der Unmöglich-<lb/>
keit der directen Mittheilung; es mü&#x017F;&#x017F;en die&#x017F;elben Mittel<lb/>
angewendet werden &#x2014; und &#x017F;ie werden es in der That &#x2014;<lb/>
welche der mühevolle Unterricht des Taub&#x017F;tummen er-<lb/>
fordert.</p><lb/>
        <p>So kann der allmählige Uebergang, welcher durch<lb/>
unzählige Mittel&#x017F;tufen vom Thiere zum Men&#x017F;chen &#x017F;tatt-<lb/>
findet, &#x017F;owohl nach gei&#x017F;tigen, als nach körperlichen Qua-<lb/>
litäten, nur mehr von Denen geleugnet werden, welche<lb/>
es lieben, ihre eigene An&#x017F;icht <hi rendition="#g">über</hi> die That&#x017F;achen zu<lb/>
&#x017F;etzen. Alle jene bekannten Unter&#x017F;cheidungszeichen, welche<lb/>
man im Jntere&#x017F;&#x017F;e einer &#x017F;trengen Trennung geltend ge-<lb/>
macht hat, &#x017F;ind ihrer Natur nach nur relative, keine ab-<lb/>
&#x017F;oluten. Wie könnte es auch anders &#x017F;ein? Die unendlich<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[238/0258] werden können, als die der Menſchen. Welche merk- würdigen Dinge ſehen wir oft von abgerichteten Thieren geleiſtet! Welch’ anderes Weſen iſt ein dreſſirter Jagd- hund, als ein gewöhnlicher Hund derſelben Klaſſe! Dieſe Dreſſur iſt nicht, wie man ſich dieſes wohl vorſtellt, eine bloß mechaniſche, ſondern beruht auf wirklicher Er- ziehung und dem Begreiflichmachen gewiſſer zu erreichen- der Zwecke an das Thier. Oder wäre es möglich, daß ein Hund ein Wild „ſtehen‟ könne, ohne daß er die Abſicht dieſer Procedur vorher eingeſehen hätte? Daß die Erziehung des Thieres auf eine langſame und mühe- volle Weiſe vor ſich geht, liegt nicht in dem Begriffs- mangel deſſelben, ſondern hauptſächlich in der Unmöglich- keit der directen Mittheilung; es müſſen dieſelben Mittel angewendet werden — und ſie werden es in der That — welche der mühevolle Unterricht des Taubſtummen er- fordert. So kann der allmählige Uebergang, welcher durch unzählige Mittelſtufen vom Thiere zum Menſchen ſtatt- findet, ſowohl nach geiſtigen, als nach körperlichen Qua- litäten, nur mehr von Denen geleugnet werden, welche es lieben, ihre eigene Anſicht über die Thatſachen zu ſetzen. Alle jene bekannten Unterſcheidungszeichen, welche man im Jntereſſe einer ſtrengen Trennung geltend ge- macht hat, ſind ihrer Natur nach nur relative, keine ab- ſoluten. Wie könnte es auch anders ſein? Die unendlich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/258
Zitationshilfe: Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/258>, abgerufen am 03.05.2024.