selbst Stoff. "Jmponderable Materie", sagt Burmeister, "ist ein Widerspruch in sich selbst." Darum scheint uns der Begriff einer "geistigen Materie" oder einer "Seelensubstanz" unmöglich. Ueberdem ist mit einer solchen Annahme für die Anhänger der persönlichen Unsterblichkeit nichts gewonnen; die Rückkehr in eine allgemeine Urseele, mit Aufgeben der Jndividualität, mit Verlust der Persön- lichkeit und damit der Rückerinnerung an concrete Zustände käme einer wirklichen Vernichtung gleich, und es könnte da- bei für den Einzelnen ganz einerlei sein, ob sein s. g. geistiger Stoff weitere Verwerthung im Wiederaufbau anderer Seelen fände. Der Glaube, es werde die mensch- liche Seele nach dem Tode zwar nicht vom Stoffe ge- trennt werden, aber in einen vollkommener gebauten, feineren Körper übergehen, ist vollkommen hypothetisch und steht im Widerspruch mit physiologischen Thatsachen, welche lehren, daß der menschliche Körper ein mit den feinsten und vollkommensten Organen ausgerüstetes Ganze ist, welches man sich weder feiner, noch vollkommener in seiner Art denken kann. -- Hat man vom naturphi- losophischen Standpunkt aus gegen die Vernichtung der persönlichen Seele nach dem Tode protestirt, so hat man dasselbe nicht minder vom moralischen Standpunkte aus versucht. Man hat gesagt, es streite der Gedanke an eine ewige Vernichtung so sehr gegen alle menschliche Empfindung und empöre so sehr das innerste Gefühl,
ſelbſt Stoff. „Jmponderable Materie‟, ſagt Burmeiſter, „iſt ein Widerſpruch in ſich ſelbſt.‟ Darum ſcheint uns der Begriff einer „geiſtigen Materie‟ oder einer „Seelenſubſtanz‟ unmöglich. Ueberdem iſt mit einer ſolchen Annahme für die Anhänger der perſönlichen Unſterblichkeit nichts gewonnen; die Rückkehr in eine allgemeine Urſeele, mit Aufgeben der Jndividualität, mit Verluſt der Perſön- lichkeit und damit der Rückerinnerung an concrete Zuſtände käme einer wirklichen Vernichtung gleich, und es könnte da- bei für den Einzelnen ganz einerlei ſein, ob ſein ſ. g. geiſtiger Stoff weitere Verwerthung im Wiederaufbau anderer Seelen fände. Der Glaube, es werde die menſch- liche Seele nach dem Tode zwar nicht vom Stoffe ge- trennt werden, aber in einen vollkommener gebauten, feineren Körper übergehen, iſt vollkommen hypothetiſch und ſteht im Widerſpruch mit phyſiologiſchen Thatſachen, welche lehren, daß der menſchliche Körper ein mit den feinſten und vollkommenſten Organen ausgerüſtetes Ganze iſt, welches man ſich weder feiner, noch vollkommener in ſeiner Art denken kann. — Hat man vom naturphi- loſophiſchen Standpunkt aus gegen die Vernichtung der perſönlichen Seele nach dem Tode proteſtirt, ſo hat man daſſelbe nicht minder vom moraliſchen Standpunkte aus verſucht. Man hat geſagt, es ſtreite der Gedanke an eine ewige Vernichtung ſo ſehr gegen alle menſchliche Empfindung und empöre ſo ſehr das innerſte Gefühl,
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ſelbſt Stoff. „Jmponderable Materie‟, ſagt
Burmeiſter, „iſt ein Widerſpruch in ſich ſelbſt.‟ Darum
ſcheint uns der Begriff einer „geiſtigen Materie‟ oder einer
„Seelenſubſtanz‟ unmöglich. Ueberdem iſt mit einer ſolchen
Annahme für die Anhänger der perſönlichen Unſterblichkeit
nichts gewonnen; die Rückkehr in eine allgemeine Urſeele,
mit Aufgeben der Jndividualität, mit Verluſt der Perſön-
lichkeit und damit der Rückerinnerung an concrete Zuſtände
käme einer wirklichen Vernichtung gleich, und es könnte da-
bei für den Einzelnen ganz einerlei ſein, ob ſein ſ. g.
geiſtiger Stoff weitere Verwerthung im Wiederaufbau
anderer Seelen fände. Der Glaube, es werde die menſch-
liche Seele nach dem Tode zwar nicht vom Stoffe ge-
trennt werden, aber in einen vollkommener gebauten,
feineren Körper übergehen, iſt vollkommen hypothetiſch
und ſteht im Widerſpruch mit phyſiologiſchen Thatſachen,
welche lehren, daß der menſchliche Körper ein mit den
feinſten und vollkommenſten Organen ausgerüſtetes Ganze
iſt, welches man ſich weder feiner, noch vollkommener in
ſeiner Art denken kann. — Hat man vom naturphi-
loſophiſchen Standpunkt aus gegen die Vernichtung der
perſönlichen Seele nach dem Tode proteſtirt, ſo hat man
daſſelbe nicht minder vom moraliſchen Standpunkte aus
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Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/222>, abgerufen am 24.11.2024.
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