zu Gunsten einer Voraussetzung reden, welche nur theo- retische Gründe für sich in's Feld führen kann. Komisch mag es auch erscheinen, daß man zu allen Zeiten durch- schnittlich Diejenigen am lautesten für individuelle Unsterb- lichkeit kämpfen und eifern sah, deren persönliche Seele einer so langen und sorgsamen Aufbewahrung vielleicht am wenigsten würdig gewesen wäre!
Zunächst hat man von naturphilosophischer Seite versucht, aus der Unsterblichkeit der Materie auf die Unsterblichkeit des Geistes zu schließen. Wie es über- haupt, sagte man, keine absolute Vernichtung gibt, so ist es auch an sich undenkbar, ja unmöglich, daß der menschliche Geist, einmal vorhanden, wiederum vernichtet werde; es streitet diese Annahme gegen Vernunft- und Naturgesetz. Dagegen ist zu bemerken, daß jene Analogie zwischen Materie und Geist bezüglich der Unzerstörbar- keit gar nicht besteht. Während die sicht- und greifbare Materie ihre Unzerstörbarkeit auf sinnliche Weise zur Evidenz darthut, kann von dem Geist oder der Seele, welche nicht selbst Materie, sondern nur ideelles Produkt einer gewissen Combination mit Kräften begabter Stoffe darstellt, unmöglich dasselbe gesagt werden. Mit dem Auseinanderfall jener Stoffe, ihrer Zerstreuung und ihrem Eingang in andere, unter einander nicht in Zu- sammenhang befindliche Combinationen muß auch jener Krafteffekt verschwinden, welchen wir Seele nannten.
zu Gunſten einer Vorausſetzung reden, welche nur theo- retiſche Gründe für ſich in’s Feld führen kann. Komiſch mag es auch erſcheinen, daß man zu allen Zeiten durch- ſchnittlich Diejenigen am lauteſten für individuelle Unſterb- lichkeit kämpfen und eifern ſah, deren perſönliche Seele einer ſo langen und ſorgſamen Aufbewahrung vielleicht am wenigſten würdig geweſen wäre!
Zunächſt hat man von naturphiloſophiſcher Seite verſucht, aus der Unſterblichkeit der Materie auf die Unſterblichkeit des Geiſtes zu ſchließen. Wie es über- haupt, ſagte man, keine abſolute Vernichtung gibt, ſo iſt es auch an ſich undenkbar, ja unmöglich, daß der menſchliche Geiſt, einmal vorhanden, wiederum vernichtet werde; es ſtreitet dieſe Annahme gegen Vernunft- und Naturgeſetz. Dagegen iſt zu bemerken, daß jene Analogie zwiſchen Materie und Geiſt bezüglich der Unzerſtörbar- keit gar nicht beſteht. Während die ſicht- und greifbare Materie ihre Unzerſtörbarkeit auf ſinnliche Weiſe zur Evidenz darthut, kann von dem Geiſt oder der Seele, welche nicht ſelbſt Materie, ſondern nur ideelles Produkt einer gewiſſen Combination mit Kräften begabter Stoffe darſtellt, unmöglich daſſelbe geſagt werden. Mit dem Auseinanderfall jener Stoffe, ihrer Zerſtreuung und ihrem Eingang in andere, unter einander nicht in Zu- ſammenhang befindliche Combinationen muß auch jener Krafteffekt verſchwinden, welchen wir Seele nannten.
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zu Gunſten einer Vorausſetzung reden, welche nur theo-
retiſche Gründe für ſich in’s Feld führen kann. Komiſch
mag es auch erſcheinen, daß man zu allen Zeiten durch-
ſchnittlich Diejenigen am lauteſten für individuelle Unſterb-
lichkeit kämpfen und eifern ſah, deren perſönliche Seele
einer ſo langen und ſorgſamen Aufbewahrung vielleicht
am wenigſten würdig geweſen wäre!
Zunächſt hat man von naturphiloſophiſcher Seite
verſucht, aus der Unſterblichkeit der Materie auf die
Unſterblichkeit des Geiſtes zu ſchließen. Wie es über-
haupt, ſagte man, keine abſolute Vernichtung gibt, ſo
iſt es auch an ſich undenkbar, ja unmöglich, daß der
menſchliche Geiſt, einmal vorhanden, wiederum vernichtet
werde; es ſtreitet dieſe Annahme gegen Vernunft- und
Naturgeſetz. Dagegen iſt zu bemerken, daß jene Analogie
zwiſchen Materie und Geiſt bezüglich der Unzerſtörbar-
keit gar nicht beſteht. Während die ſicht- und greifbare
Materie ihre Unzerſtörbarkeit auf ſinnliche Weiſe zur
Evidenz darthut, kann von dem Geiſt oder der Seele,
welche nicht ſelbſt Materie, ſondern nur ideelles Produkt
einer gewiſſen Combination mit Kräften begabter Stoffe
darſtellt, unmöglich daſſelbe geſagt werden. Mit dem
Auseinanderfall jener Stoffe, ihrer Zerſtreuung und
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Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/216>, abgerufen am 25.11.2024.
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