Nothwendigkeit zeigen, so verhalten sie sich analog den Naturgesetzen überhaupt und sind abhängig von gewissen factisch feststehenden Verhältnissen. So beruht die ganze Mathematik auf factischen, greifbaren, objectiven Ver- hältnissen, ohne deren Dasein auch mathematische Gesetze unmöglich wären. Zahlen sind keine absoluten Begriffe, sondern nur willkürliche Bezeichnungen für einen oder mehrere Gegenstände. Die wilden Neger in Sumatra können nicht weiter zählen, als bis zu der Zahl zwan- zig, wozu sie ihre Finger und Fußzehen als Anhalts- punkte nehmen und sogar deren Namen zur Bezeichnung jener Zahlen gebrauchen. Alles, was über die zwanzig Finger und Zehen hinausgeht, ist für sie nicht mehr zählbar und heißt "Wiriwiri" oder "Viel." -- Ein eigentlich metaphysisches oder transcendentes Wissen aber gibt es gar nicht, und alle metaphysischen, noch so fein ausgedachten Systeme sind im Laufe der Zeiten zu Schanden geworden. -- Was die Beziehung auf das oft augenfällige Hervortreten allgemeiner Begriffe im Leben der Kinder angeht, so muß vollkommen abgeleugnet werden, daß ein solches Hervortreten unter Umständen stattfindet, wo die Einflüsse der Erziehung und äußerer Einwirkungen gänzlich fehlen. Der Sinn für Recht kann sich im Knaben nur da entwickeln, wo die Gemein- samkeit mit Andern ihm erlaubt, Vergleichungen anzu- stellen und einzelne Rechtssphären abzugrenzen; ebenso-
Nothwendigkeit zeigen, ſo verhalten ſie ſich analog den Naturgeſetzen überhaupt und ſind abhängig von gewiſſen factiſch feſtſtehenden Verhältniſſen. So beruht die ganze Mathematik auf factiſchen, greifbaren, objectiven Ver- hältniſſen, ohne deren Daſein auch mathematiſche Geſetze unmöglich wären. Zahlen ſind keine abſoluten Begriffe, ſondern nur willkürliche Bezeichnungen für einen oder mehrere Gegenſtände. Die wilden Neger in Sumatra können nicht weiter zählen, als bis zu der Zahl zwan- zig, wozu ſie ihre Finger und Fußzehen als Anhalts- punkte nehmen und ſogar deren Namen zur Bezeichnung jener Zahlen gebrauchen. Alles, was über die zwanzig Finger und Zehen hinausgeht, iſt für ſie nicht mehr zählbar und heißt „Wiriwiri‟ oder „Viel.‟ — Ein eigentlich metaphyſiſches oder transcendentes Wiſſen aber gibt es gar nicht, und alle metaphyſiſchen, noch ſo fein ausgedachten Syſteme ſind im Laufe der Zeiten zu Schanden geworden. — Was die Beziehung auf das oft augenfällige Hervortreten allgemeiner Begriffe im Leben der Kinder angeht, ſo muß vollkommen abgeleugnet werden, daß ein ſolches Hervortreten unter Umſtänden ſtattfindet, wo die Einflüſſe der Erziehung und äußerer Einwirkungen gänzlich fehlen. Der Sinn für Recht kann ſich im Knaben nur da entwickeln, wo die Gemein- ſamkeit mit Andern ihm erlaubt, Vergleichungen anzu- ſtellen und einzelne Rechtsſphären abzugrenzen; ebenſo-
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Nothwendigkeit zeigen, ſo verhalten ſie ſich analog den
Naturgeſetzen überhaupt und ſind abhängig von gewiſſen
factiſch feſtſtehenden Verhältniſſen. So beruht die ganze
Mathematik auf factiſchen, greifbaren, objectiven Ver-
hältniſſen, ohne deren Daſein auch mathematiſche Geſetze
unmöglich wären. Zahlen ſind keine abſoluten Begriffe,
ſondern nur willkürliche Bezeichnungen für einen oder
mehrere Gegenſtände. Die wilden Neger in Sumatra
können nicht weiter zählen, als bis zu der Zahl zwan-
zig, wozu ſie ihre Finger und Fußzehen als Anhalts-
punkte nehmen und ſogar deren Namen zur Bezeichnung
jener Zahlen gebrauchen. Alles, was über die zwanzig
Finger und Zehen hinausgeht, iſt für ſie nicht mehr
zählbar und heißt „Wiriwiri‟ oder „Viel.‟ — Ein
eigentlich metaphyſiſches oder transcendentes Wiſſen aber
gibt es gar nicht, und alle metaphyſiſchen, noch ſo fein
ausgedachten Syſteme ſind im Laufe der Zeiten zu
Schanden geworden. — Was die Beziehung auf das
oft augenfällige Hervortreten allgemeiner Begriffe im
Leben der Kinder angeht, ſo muß vollkommen abgeleugnet
werden, daß ein ſolches Hervortreten unter Umſtänden
ſtattfindet, wo die Einflüſſe der Erziehung und äußerer
Einwirkungen gänzlich fehlen. Der Sinn für Recht
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Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/193>, abgerufen am 24.11.2024.
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