Begriffe angeboren, so müßten sie natürlich auch überall eine vollkommene Gleichförmigkeit besitzen, sie müßten identisch sein; sie müßten einen absoluten Werth, eine absolute Geltung haben. Jn der That der sehen wir, daß dieselben im höchsten Grade ralativ sind und daß sie sowohl bei Einzelnen, als bei Völkern, und zu verschiedenen Zeiten die allergrößten Verschiedenheiten zeigen -- Verschiedenheiten, welche manchmal so groß werden, daß gradezu Entgegengesetztes entsteht, und welche ihre Entstehung nur der Verschiedenheit der äußeren Ein- drücke verdanken können. Der Weise malt den Teufel schwarz, der Neger malt ihn weiß. Wilde Völkerschaften verzieren sich durch Ringe in den Nasen, Bemalung u. dgl. in einer Weise, welche unserem Geschmack verabscheuungs- würdig häßlich vorkommt. Ueberhaupt kann es für das Unstete und Wechselnde, für das Relative in den ästhe- tischen Begriffen keinen augenfälligeren Beweis geben, als die s. g. Mode, welche sich bekanntlich oft in den entgegengesetztesten Dingen gefällt. Es geht uns mit den Schönheitsbegriffen ähnlich wie mit den Begriffen der Zweckmäßigkeit. Wir finden etwas schön oder zweck- mäßig, weil es einmal so da ist, und würden es höchst wahrscheinlich nicht minder schön und nicht minder zweck- mäßig finden, wenn es ganz anders wäre. Die Grie- chen, dieses ästhetisch so hoch gebildete Volk, vermischten in ihrer Jdee und in ihren Bildwerken Menschen- und
Begriffe angeboren, ſo müßten ſie natürlich auch überall eine vollkommene Gleichförmigkeit beſitzen, ſie müßten identiſch ſein; ſie müßten einen abſoluten Werth, eine abſolute Geltung haben. Jn der That der ſehen wir, daß dieſelben im höchſten Grade ralativ ſind und daß ſie ſowohl bei Einzelnen, als bei Völkern, und zu verſchiedenen Zeiten die allergrößten Verſchiedenheiten zeigen — Verſchiedenheiten, welche manchmal ſo groß werden, daß gradezu Entgegengeſetztes entſteht, und welche ihre Entſtehung nur der Verſchiedenheit der äußeren Ein- drücke verdanken können. Der Weiſe malt den Teufel ſchwarz, der Neger malt ihn weiß. Wilde Völkerſchaften verzieren ſich durch Ringe in den Naſen, Bemalung u. dgl. in einer Weiſe, welche unſerem Geſchmack verabſcheuungs- würdig häßlich vorkommt. Ueberhaupt kann es für das Unſtete und Wechſelnde, für das Relative in den äſthe- tiſchen Begriffen keinen augenfälligeren Beweis geben, als die ſ. g. Mode, welche ſich bekanntlich oft in den entgegengeſetzteſten Dingen gefällt. Es geht uns mit den Schönheitsbegriffen ähnlich wie mit den Begriffen der Zweckmäßigkeit. Wir finden etwas ſchön oder zweck- mäßig, weil es einmal ſo da iſt, und würden es höchſt wahrſcheinlich nicht minder ſchön und nicht minder zweck- mäßig finden, wenn es ganz anders wäre. Die Grie- chen, dieſes äſthetiſch ſo hoch gebildete Volk, vermiſchten in ihrer Jdee und in ihren Bildwerken Menſchen- und
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Begriffe angeboren, ſo müßten ſie natürlich auch überall
eine vollkommene Gleichförmigkeit beſitzen, ſie müßten
identiſch ſein; ſie müßten einen abſoluten Werth, eine
abſolute Geltung haben. Jn der That der ſehen
wir, daß dieſelben im höchſten Grade ralativ ſind und
daß ſie ſowohl bei Einzelnen, als bei Völkern, und zu
verſchiedenen Zeiten die allergrößten Verſchiedenheiten
zeigen — Verſchiedenheiten, welche manchmal ſo groß
werden, daß gradezu Entgegengeſetztes entſteht, und welche
ihre Entſtehung nur der Verſchiedenheit der äußeren Ein-
drücke verdanken können. Der Weiſe malt den Teufel
ſchwarz, der Neger malt ihn weiß. Wilde Völkerſchaften
verzieren ſich durch Ringe in den Naſen, Bemalung u. dgl.
in einer Weiſe, welche unſerem Geſchmack verabſcheuungs-
würdig häßlich vorkommt. Ueberhaupt kann es für das
Unſtete und Wechſelnde, für das Relative in den äſthe-
tiſchen Begriffen keinen augenfälligeren Beweis geben,
als die ſ. g. Mode, welche ſich bekanntlich oft in den
entgegengeſetzteſten Dingen gefällt. Es geht uns mit
den Schönheitsbegriffen ähnlich wie mit den Begriffen
der Zweckmäßigkeit. Wir finden etwas ſchön oder zweck-
mäßig, weil es einmal ſo da iſt, und würden es höchſt
wahrſcheinlich nicht minder ſchön und nicht minder zweck-
mäßig finden, wenn es ganz anders wäre. Die Grie-
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Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/190>, abgerufen am 24.11.2024.
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