Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Pferdes nicht deutlich machen. Sobald man das Wort
aussprach, dachte er an sein kleines hölzernes, ein Pferd
vorstellendes Spielzeug, welches er während seiner Ge-
fangenschaft gehabt hatte, und war nicht im Stande, mit
diesem Wort eine andere, als grade diese Vorstellung zu
verbinden. -- Man denke sich einen Menschen, dem von
Geburt aus alle Sinne fehlten! Wäre es möglich, daß
in ihm irgend welche Jdee, irgend welche Vorstellung
oder geistige Fähigkeit zur Entwicklung käme? Gewiß
nicht. Er würde, künstlich genährt und auferzogen, nur
körperlich vegetiren, ungefähr in derselben Weise, wie
jene von Flourens des Gehirns beraubten Thiere. Ganz
entsprechende Beobachtungen sind an solchen Menschen
gemacht worden, welche seit ihrer frühesten Kindheit fern
von der menschlichen Gesellschaft unter Thieren, in Wäl-
dern u. s. w. aufgewachsen sind. Sie lebten und ernährten
sich auf thierische Weise, hatten keine andere geistige
Empfindung als die des Nahrungsbedürfnisses, konnten
nicht reden und zeigten keine Spur jenes "göttlichen
Funkens", welcher dem Menschen "angeboren" sein soll. --
Auch die Thierwelt gibt uns deutliche Beweise gegen
die angeborenen Anschauungen, obgleich man grade den
s. g. Jnstinkt der Thiere als Beweis dafür hat gelten
lassen wollen. Jn einem späteren Kapitel werden wir
darzuthun versuchen, daß es einen Jnstinkt in dem
gewöhnlich angenommenen Sinne als unmittelbarer,

Pferdes nicht deutlich machen. Sobald man das Wort
ausſprach, dachte er an ſein kleines hölzernes, ein Pferd
vorſtellendes Spielzeug, welches er während ſeiner Ge-
fangenſchaft gehabt hatte, und war nicht im Stande, mit
dieſem Wort eine andere, als grade dieſe Vorſtellung zu
verbinden. — Man denke ſich einen Menſchen, dem von
Geburt aus alle Sinne fehlten! Wäre es möglich, daß
in ihm irgend welche Jdee, irgend welche Vorſtellung
oder geiſtige Fähigkeit zur Entwicklung käme? Gewiß
nicht. Er würde, künſtlich genährt und auferzogen, nur
körperlich vegetiren, ungefähr in derſelben Weiſe, wie
jene von Flourens des Gehirns beraubten Thiere. Ganz
entſprechende Beobachtungen ſind an ſolchen Menſchen
gemacht worden, welche ſeit ihrer früheſten Kindheit fern
von der menſchlichen Geſellſchaft unter Thieren, in Wäl-
dern u. ſ. w. aufgewachſen ſind. Sie lebten und ernährten
ſich auf thieriſche Weiſe, hatten keine andere geiſtige
Empfindung als die des Nahrungsbedürfniſſes, konnten
nicht reden und zeigten keine Spur jenes „göttlichen
Funkens‟, welcher dem Menſchen „angeboren‟ ſein ſoll. —
Auch die Thierwelt gibt uns deutliche Beweiſe gegen
die angeborenen Anſchauungen, obgleich man grade den
ſ. g. Jnſtinkt der Thiere als Beweis dafür hat gelten
laſſen wollen. Jn einem ſpäteren Kapitel werden wir
darzuthun verſuchen, daß es einen Jnſtinkt in dem
gewöhnlich angenommenen Sinne als unmittelbarer,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0184" n="164"/>
Pferdes nicht deutlich machen. Sobald man das Wort<lb/>
aus&#x017F;prach, dachte er an &#x017F;ein kleines hölzernes, ein Pferd<lb/>
vor&#x017F;tellendes Spielzeug, welches er während &#x017F;einer Ge-<lb/>
fangen&#x017F;chaft gehabt hatte, und war nicht im Stande, mit<lb/>
die&#x017F;em Wort eine andere, als grade die&#x017F;e Vor&#x017F;tellung zu<lb/>
verbinden. &#x2014; Man denke &#x017F;ich einen Men&#x017F;chen, dem von<lb/>
Geburt aus <hi rendition="#g">alle</hi> Sinne fehlten! Wäre es möglich, daß<lb/>
in ihm irgend welche Jdee, irgend welche Vor&#x017F;tellung<lb/>
oder gei&#x017F;tige Fähigkeit zur Entwicklung käme? Gewiß<lb/>
nicht. Er würde, kün&#x017F;tlich genährt und auferzogen, nur<lb/>
körperlich vegetiren, ungefähr in der&#x017F;elben Wei&#x017F;e, wie<lb/>
jene von Flourens des Gehirns beraubten Thiere. Ganz<lb/>
ent&#x017F;prechende Beobachtungen &#x017F;ind an &#x017F;olchen Men&#x017F;chen<lb/>
gemacht worden, welche &#x017F;eit ihrer frühe&#x017F;ten Kindheit fern<lb/>
von der men&#x017F;chlichen Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft unter Thieren, in Wäl-<lb/>
dern u. &#x017F;. w. aufgewach&#x017F;en &#x017F;ind. Sie lebten und ernährten<lb/>
&#x017F;ich auf thieri&#x017F;che Wei&#x017F;e, hatten keine andere gei&#x017F;tige<lb/>
Empfindung als die des Nahrungsbedürfni&#x017F;&#x017F;es, konnten<lb/>
nicht reden und zeigten keine Spur jenes &#x201E;göttlichen<lb/>
Funkens&#x201F;, welcher dem Men&#x017F;chen &#x201E;angeboren&#x201F; &#x017F;ein &#x017F;oll. &#x2014;<lb/>
Auch die Thierwelt gibt uns deutliche Bewei&#x017F;e gegen<lb/>
die angeborenen An&#x017F;chauungen, obgleich man grade den<lb/>
&#x017F;. g. <hi rendition="#g">Jn&#x017F;tinkt</hi> der Thiere als Beweis <hi rendition="#g">dafür</hi> hat gelten<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en wollen. Jn einem &#x017F;päteren Kapitel werden wir<lb/>
darzuthun ver&#x017F;uchen, daß es einen Jn&#x017F;tinkt in dem<lb/>
gewöhnlich angenommenen Sinne als unmittelbarer,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[164/0184] Pferdes nicht deutlich machen. Sobald man das Wort ausſprach, dachte er an ſein kleines hölzernes, ein Pferd vorſtellendes Spielzeug, welches er während ſeiner Ge- fangenſchaft gehabt hatte, und war nicht im Stande, mit dieſem Wort eine andere, als grade dieſe Vorſtellung zu verbinden. — Man denke ſich einen Menſchen, dem von Geburt aus alle Sinne fehlten! Wäre es möglich, daß in ihm irgend welche Jdee, irgend welche Vorſtellung oder geiſtige Fähigkeit zur Entwicklung käme? Gewiß nicht. Er würde, künſtlich genährt und auferzogen, nur körperlich vegetiren, ungefähr in derſelben Weiſe, wie jene von Flourens des Gehirns beraubten Thiere. Ganz entſprechende Beobachtungen ſind an ſolchen Menſchen gemacht worden, welche ſeit ihrer früheſten Kindheit fern von der menſchlichen Geſellſchaft unter Thieren, in Wäl- dern u. ſ. w. aufgewachſen ſind. Sie lebten und ernährten ſich auf thieriſche Weiſe, hatten keine andere geiſtige Empfindung als die des Nahrungsbedürfniſſes, konnten nicht reden und zeigten keine Spur jenes „göttlichen Funkens‟, welcher dem Menſchen „angeboren‟ ſein ſoll. — Auch die Thierwelt gibt uns deutliche Beweiſe gegen die angeborenen Anſchauungen, obgleich man grade den ſ. g. Jnſtinkt der Thiere als Beweis dafür hat gelten laſſen wollen. Jn einem ſpäteren Kapitel werden wir darzuthun verſuchen, daß es einen Jnſtinkt in dem gewöhnlich angenommenen Sinne als unmittelbarer,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/184
Zitationshilfe: Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/184>, abgerufen am 04.05.2024.