gen Fähigkeiten der Thiere abnahmen und verschwanden. Flourens war im Stande, Hühner durch diese Art der Behandlung in einen Zustand zu versetzen, in welchem jede seelische Function, jede Fähigkeit, Sinneseindrücke zu empfinden, vollkommen erloschen war, und das Leben nichts destoweniger dabei fortbestand. Die Thiere blieben unbeweglich auf jeder Stelle sitzen, auf die man sie hin- setzte, reagirten auf keinen äußeren Reiz und wurden durch künstliche Fütterung erhalten; sie führten gewisser- maßen das Leben einer Pflanze. Dabei blieben sie Monate und Jahre lang am Leben und nahmen an Gewicht und körperlicher Fülle zu. Welchen stärkeren Beweis für die Jdentität von Seele und Gehirn will man verlangen, als denjenigen, den das Messer des Anatomen liefert, indem es stückweise die Seele herunter- schneidet? -- Beinahe alle größeren Gebirgszüge beher- bergen in tiefen und feuchten Thälern eine unglückliche Gattung von Menschen oder besser gesagt Halbmenschen, deren ganze Existenz mehr an das Thierische als an das Menschliche streift. Es sind widrige, schmutzige, ver- krüppelte Wesen mit kleinem oder übermäßig großem Kopf, sehr entwickelten Freßwerkzeugen, schlechter, eckiger, affenähnlicher Schädelbildung, niederer, schmaler Stirn, dickem Bauch, schmächtigen Beinen, zur Erde gebeugter Haltung, sehr geringer Sensibilität, selten im Stande, artikulirte Laute hervorzubringen, zu sprechen. Nur Eß-
gen Fähigkeiten der Thiere abnahmen und verſchwanden. Flourens war im Stande, Hühner durch dieſe Art der Behandlung in einen Zuſtand zu verſetzen, in welchem jede ſeeliſche Function, jede Fähigkeit, Sinneseindrücke zu empfinden, vollkommen erloſchen war, und das Leben nichts deſtoweniger dabei fortbeſtand. Die Thiere blieben unbeweglich auf jeder Stelle ſitzen, auf die man ſie hin- ſetzte, reagirten auf keinen äußeren Reiz und wurden durch künſtliche Fütterung erhalten; ſie führten gewiſſer- maßen das Leben einer Pflanze. Dabei blieben ſie Monate und Jahre lang am Leben und nahmen an Gewicht und körperlicher Fülle zu. Welchen ſtärkeren Beweis für die Jdentität von Seele und Gehirn will man verlangen, als denjenigen, den das Meſſer des Anatomen liefert, indem es ſtückweiſe die Seele herunter- ſchneidet? — Beinahe alle größeren Gebirgszüge beher- bergen in tiefen und feuchten Thälern eine unglückliche Gattung von Menſchen oder beſſer geſagt Halbmenſchen, deren ganze Exiſtenz mehr an das Thieriſche als an das Menſchliche ſtreift. Es ſind widrige, ſchmutzige, ver- krüppelte Weſen mit kleinem oder übermäßig großem Kopf, ſehr entwickelten Freßwerkzeugen, ſchlechter, eckiger, affenähnlicher Schädelbildung, niederer, ſchmaler Stirn, dickem Bauch, ſchmächtigen Beinen, zur Erde gebeugter Haltung, ſehr geringer Senſibilität, ſelten im Stande, artikulirte Laute hervorzubringen, zu ſprechen. Nur Eß-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0147"n="127"/>
gen Fähigkeiten der Thiere abnahmen und verſchwanden.<lb/>
Flourens war im Stande, Hühner durch dieſe Art der<lb/>
Behandlung in einen Zuſtand zu verſetzen, in welchem<lb/>
jede ſeeliſche Function, jede Fähigkeit, Sinneseindrücke<lb/>
zu empfinden, vollkommen erloſchen war, und das Leben<lb/>
nichts deſtoweniger dabei fortbeſtand. Die Thiere blieben<lb/>
unbeweglich auf jeder Stelle ſitzen, auf die man ſie hin-<lb/>ſetzte, reagirten auf keinen äußeren Reiz und wurden<lb/>
durch künſtliche Fütterung erhalten; ſie führten gewiſſer-<lb/>
maßen das Leben einer Pflanze. Dabei blieben ſie<lb/>
Monate und Jahre lang am Leben und nahmen an<lb/>
Gewicht und körperlicher Fülle zu. Welchen ſtärkeren<lb/>
Beweis für die Jdentität von Seele und Gehirn will<lb/>
man verlangen, als denjenigen, den das Meſſer des<lb/>
Anatomen liefert, indem es ſtückweiſe die Seele herunter-<lb/>ſchneidet? — Beinahe alle größeren Gebirgszüge beher-<lb/>
bergen in tiefen und feuchten Thälern eine unglückliche<lb/>
Gattung von Menſchen oder beſſer geſagt Halbmenſchen,<lb/>
deren ganze Exiſtenz mehr an das Thieriſche als an das<lb/>
Menſchliche ſtreift. Es ſind widrige, ſchmutzige, ver-<lb/>
krüppelte Weſen mit kleinem oder übermäßig großem<lb/>
Kopf, ſehr entwickelten Freßwerkzeugen, ſchlechter, eckiger,<lb/>
affenähnlicher Schädelbildung, niederer, ſchmaler Stirn,<lb/>
dickem Bauch, ſchmächtigen Beinen, zur Erde gebeugter<lb/>
Haltung, ſehr geringer Senſibilität, ſelten im Stande,<lb/>
artikulirte Laute hervorzubringen, zu ſprechen. Nur Eß-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[127/0147]
gen Fähigkeiten der Thiere abnahmen und verſchwanden.
Flourens war im Stande, Hühner durch dieſe Art der
Behandlung in einen Zuſtand zu verſetzen, in welchem
jede ſeeliſche Function, jede Fähigkeit, Sinneseindrücke
zu empfinden, vollkommen erloſchen war, und das Leben
nichts deſtoweniger dabei fortbeſtand. Die Thiere blieben
unbeweglich auf jeder Stelle ſitzen, auf die man ſie hin-
ſetzte, reagirten auf keinen äußeren Reiz und wurden
durch künſtliche Fütterung erhalten; ſie führten gewiſſer-
maßen das Leben einer Pflanze. Dabei blieben ſie
Monate und Jahre lang am Leben und nahmen an
Gewicht und körperlicher Fülle zu. Welchen ſtärkeren
Beweis für die Jdentität von Seele und Gehirn will
man verlangen, als denjenigen, den das Meſſer des
Anatomen liefert, indem es ſtückweiſe die Seele herunter-
ſchneidet? — Beinahe alle größeren Gebirgszüge beher-
bergen in tiefen und feuchten Thälern eine unglückliche
Gattung von Menſchen oder beſſer geſagt Halbmenſchen,
deren ganze Exiſtenz mehr an das Thieriſche als an das
Menſchliche ſtreift. Es ſind widrige, ſchmutzige, ver-
krüppelte Weſen mit kleinem oder übermäßig großem
Kopf, ſehr entwickelten Freßwerkzeugen, ſchlechter, eckiger,
affenähnlicher Schädelbildung, niederer, ſchmaler Stirn,
dickem Bauch, ſchmächtigen Beinen, zur Erde gebeugter
Haltung, ſehr geringer Senſibilität, ſelten im Stande,
artikulirte Laute hervorzubringen, zu ſprechen. Nur Eß-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Büchner, Ludwig: Kraft und Stoff. Frankfurt (Main), 1855, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_kraft_1855/147>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.