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Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893.

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fast in allen Einzelheiten der städtischen Wirtschaftspolitik
des Mittelalters nachgebildet1). Sie werden gewöhnlich
unter dem Namen des Merkantilsystems zusammengefaßt.
Man hat das letztere lange als ein theoretisches Lehrgebäude
angesehen, das in dem Grundsatze gipfle, daß der Reich-
tum eines Landes in der Summe des baren Geldes be-
stehe, die sich innerhalb seiner Grenzen befinde. Heute ist
diese Auffassung wohl allgemein aufgegeben. Der Mer-
kantilismus ist kein totes Dogma, sondern die lebendige
Praxis aller bedeutenden Staatsmänner von Karl V. bis
auf Friedrich den Großen. Seine typische Ausprägung
hat er in der ökonomischen Politik Colberts gefunden.
Die Aufhebung oder Ermäßigung der Binnenzölle und
Wegegelder, die Einführung eines einheitlichen Grenzzoll-
systems, die Sicherung der Versorgung des Landes mit
notwendigen Rohstoffen und Nahrungsmitteln durch Aus-
fuhr-Erschwerungen und durch Einführung des Forstregals,
die Beförderung der großen Industrie durch Anpflanzung
neuer Gewerbezweige, durch Staatsunterstützung und tech-
nische Reglementierung derselben, durch zollpolizeiliche Fern-
haltung fremder Konkurrenz, die Anlegung von Kunststraßen,
Kanälen, Seehäfen, die Bestrebungen zur Vereinheitlichung
des Maß- und Gewichtswesens, die Regelung des Handels-
rechtes und des kommerziellen Nachrichtendienstes, die Pflege

1) Für die deutschen Territorien ist die betr. Entwickelung vor-
trefflich dargestellt von Schmoller im Ihb. f. Gesetzgeb., Verw.
u. Volksw. VIII (1884) S. 22 ff.

faſt in allen Einzelheiten der ſtädtiſchen Wirtſchaftspolitik
des Mittelalters nachgebildet1). Sie werden gewöhnlich
unter dem Namen des Merkantilſyſtems zuſammengefaßt.
Man hat das letztere lange als ein theoretiſches Lehrgebäude
angeſehen, das in dem Grundſatze gipfle, daß der Reich-
tum eines Landes in der Summe des baren Geldes be-
ſtehe, die ſich innerhalb ſeiner Grenzen befinde. Heute iſt
dieſe Auffaſſung wohl allgemein aufgegeben. Der Mer-
kantilismus iſt kein totes Dogma, ſondern die lebendige
Praxis aller bedeutenden Staatsmänner von Karl V. bis
auf Friedrich den Großen. Seine typiſche Ausprägung
hat er in der ökonomiſchen Politik Colberts gefunden.
Die Aufhebung oder Ermäßigung der Binnenzölle und
Wegegelder, die Einführung eines einheitlichen Grenzzoll-
ſyſtems, die Sicherung der Verſorgung des Landes mit
notwendigen Rohſtoffen und Nahrungsmitteln durch Aus-
fuhr-Erſchwerungen und durch Einführung des Forſtregals,
die Beförderung der großen Induſtrie durch Anpflanzung
neuer Gewerbezweige, durch Staatsunterſtützung und tech-
niſche Reglementierung derſelben, durch zollpolizeiliche Fern-
haltung fremder Konkurrenz, die Anlegung von Kunſtſtraßen,
Kanälen, Seehäfen, die Beſtrebungen zur Vereinheitlichung
des Maß- und Gewichtsweſens, die Regelung des Handels-
rechtes und des kommerziellen Nachrichtendienſtes, die Pflege

1) Für die deutſchen Territorien iſt die betr. Entwickelung vor-
trefflich dargeſtellt von Schmoller im Ihb. f. Geſetzgeb., Verw.
u. Volksw. VIII (1884) S. 22 ff.
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[70/0084] faſt in allen Einzelheiten der ſtädtiſchen Wirtſchaftspolitik des Mittelalters nachgebildet 1). Sie werden gewöhnlich unter dem Namen des Merkantilſyſtems zuſammengefaßt. Man hat das letztere lange als ein theoretiſches Lehrgebäude angeſehen, das in dem Grundſatze gipfle, daß der Reich- tum eines Landes in der Summe des baren Geldes be- ſtehe, die ſich innerhalb ſeiner Grenzen befinde. Heute iſt dieſe Auffaſſung wohl allgemein aufgegeben. Der Mer- kantilismus iſt kein totes Dogma, ſondern die lebendige Praxis aller bedeutenden Staatsmänner von Karl V. bis auf Friedrich den Großen. Seine typiſche Ausprägung hat er in der ökonomiſchen Politik Colberts gefunden. Die Aufhebung oder Ermäßigung der Binnenzölle und Wegegelder, die Einführung eines einheitlichen Grenzzoll- ſyſtems, die Sicherung der Verſorgung des Landes mit notwendigen Rohſtoffen und Nahrungsmitteln durch Aus- fuhr-Erſchwerungen und durch Einführung des Forſtregals, die Beförderung der großen Induſtrie durch Anpflanzung neuer Gewerbezweige, durch Staatsunterſtützung und tech- niſche Reglementierung derſelben, durch zollpolizeiliche Fern- haltung fremder Konkurrenz, die Anlegung von Kunſtſtraßen, Kanälen, Seehäfen, die Beſtrebungen zur Vereinheitlichung des Maß- und Gewichtsweſens, die Regelung des Handels- rechtes und des kommerziellen Nachrichtendienſtes, die Pflege 1) Für die deutſchen Territorien iſt die betr. Entwickelung vor- trefflich dargeſtellt von Schmoller im Ihb. f. Geſetzgeb., Verw. u. Volksw. VIII (1884) S. 22 ff.

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Zitationshilfe: Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893/84>, abgerufen am 24.11.2024.