definitiv aufgegeben; der Rentenbrief, der zum Bezug der Rente berechtigt, kann in formloser Weise wie ein Inhaber- papier übertragen werden. Es ist also jede persönliche Be- ziehung aus dem ganzen Verhältnis ausgetilgt, und es fehlt das Moment des Vertrauens, das dem Kredit eigentümlich ist. Denselben Charakter trägt die Wiederkaufsgülte: sie ist Rentenkauf mit Vorbehalt des Rückkaufs.
Wie im Immobiliarverkehr, so ist auch im Mobiliar- verkehr das Kreditgeschäft nur eine "Abschwächung des Bar- geschäfts". Die Pfandsicherung ist, wie Heusler sagt, eine provisorische seitens des Schuldners noch auslösbare Ersatzleistung (Verfallpfand), nicht eine eventuell vom Gläu- biger in Anspruch zu nehmende und durch Versilberung zu realisierende Deckung (Verkaufspfand). Das Pfandleih- geschäft der Juden 1) ist thatsächlich gleichbedeutend mit dem modernen Rückkaufshandel, und der "Warenkredit", den heute Handwerker und Krämer gewähren, kleidet sich im Mittelalter in die Form des Kaufes gegen Pfand 2). Hält man damit zusammen, daß auch beim damaligen Personal- kredit fast immer der Schuldner sich dem Pfandrecht des Gläubigers vertragsmäßig zu unterwerfen hatte, daß er meist nur unter vielfacher Bürgschaft, mit Verpflichtung zum Einlager und ähnlichen lästigen Bedingungen Geld er- halten konnte, daß der Gläubiger sich obendrein vorbehielt, das Geld im Verzugsfalle zu Schaden des Schuldners bei
1) Vgl. meine Bevölkerung von Frankf. I, S. 573 ff.
2) Vgl. die interessanten Beispiele bei Stieda, a. a. O. S. 104.
definitiv aufgegeben; der Rentenbrief, der zum Bezug der Rente berechtigt, kann in formloſer Weiſe wie ein Inhaber- papier übertragen werden. Es iſt alſo jede perſönliche Be- ziehung aus dem ganzen Verhältnis ausgetilgt, und es fehlt das Moment des Vertrauens, das dem Kredit eigentümlich iſt. Denſelben Charakter trägt die Wiederkaufsgülte: ſie iſt Rentenkauf mit Vorbehalt des Rückkaufs.
Wie im Immobiliarverkehr, ſo iſt auch im Mobiliar- verkehr das Kreditgeſchäft nur eine „Abſchwächung des Bar- geſchäfts“. Die Pfandſicherung iſt, wie Heusler ſagt, eine proviſoriſche ſeitens des Schuldners noch auslösbare Erſatzleiſtung (Verfallpfand), nicht eine eventuell vom Gläu- biger in Anſpruch zu nehmende und durch Verſilberung zu realiſierende Deckung (Verkaufspfand). Das Pfandleih- geſchäft der Juden 1) iſt thatſächlich gleichbedeutend mit dem modernen Rückkaufshandel, und der „Warenkredit“, den heute Handwerker und Krämer gewähren, kleidet ſich im Mittelalter in die Form des Kaufes gegen Pfand 2). Hält man damit zuſammen, daß auch beim damaligen Perſonal- kredit faſt immer der Schuldner ſich dem Pfandrecht des Gläubigers vertragsmäßig zu unterwerfen hatte, daß er meiſt nur unter vielfacher Bürgſchaft, mit Verpflichtung zum Einlager und ähnlichen läſtigen Bedingungen Geld er- halten konnte, daß der Gläubiger ſich obendrein vorbehielt, das Geld im Verzugsfalle zu Schaden des Schuldners bei
1) Vgl. meine Bevölkerung von Frankf. I, S. 573 ff.
2) Vgl. die intereſſanten Beiſpiele bei Stieda, a. a. O. S. 104.
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definitiv aufgegeben; der Rentenbrief, der zum Bezug der
Rente berechtigt, kann in formloſer Weiſe wie ein Inhaber-
papier übertragen werden. Es iſt alſo jede perſönliche Be-
ziehung aus dem ganzen Verhältnis ausgetilgt, und es fehlt
das Moment des Vertrauens, das dem Kredit eigentümlich
iſt. Denſelben Charakter trägt die Wiederkaufsgülte: ſie
iſt Rentenkauf mit Vorbehalt des Rückkaufs.
Wie im Immobiliarverkehr, ſo iſt auch im Mobiliar-
verkehr das Kreditgeſchäft nur eine „Abſchwächung des Bar-
geſchäfts“. Die Pfandſicherung iſt, wie Heusler ſagt,
eine proviſoriſche ſeitens des Schuldners noch auslösbare
Erſatzleiſtung (Verfallpfand), nicht eine eventuell vom Gläu-
biger in Anſpruch zu nehmende und durch Verſilberung zu
realiſierende Deckung (Verkaufspfand). Das Pfandleih-
geſchäft der Juden 1) iſt thatſächlich gleichbedeutend mit dem
modernen Rückkaufshandel, und der „Warenkredit“, den
heute Handwerker und Krämer gewähren, kleidet ſich im
Mittelalter in die Form des Kaufes gegen Pfand 2). Hält
man damit zuſammen, daß auch beim damaligen Perſonal-
kredit faſt immer der Schuldner ſich dem Pfandrecht des
Gläubigers vertragsmäßig zu unterwerfen hatte, daß er
meiſt nur unter vielfacher Bürgſchaft, mit Verpflichtung
zum Einlager und ähnlichen läſtigen Bedingungen Geld er-
halten konnte, daß der Gläubiger ſich obendrein vorbehielt,
das Geld im Verzugsfalle zu Schaden des Schuldners bei
1) Vgl. meine Bevölkerung von Frankf. I, S. 573 ff.
2) Vgl. die intereſſanten Beiſpiele bei Stieda, a. a. O. S. 104.
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Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893/76>, abgerufen am 31.07.2024.
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