Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893.

Bild:
<< vorherige Seite

wurden. Die Marktleute heißen allgemein Kaufleute,
mercatores, negotiatores, emptores 1).

1) Die neuere Litteratur über die Entstehung der deutschen Städte-
verfassung hat die sehr weite Bedeutung des Wortes Kaufmann
übersehen und die zahllosen Städte, welche auf dem Boden des Deutschen
Reiches gegen Ende des Mittelalters bestanden, von Köln und Augs-
burg bis Medebach und Radolfzell, mit Kaufleuten im modernen Sinne,
also einem berufsmäßig entwickelten Stande von Händlern bevölkert,
die man sich in der Regel noch als Großhändler vorzustellen pflegt.
Die ganze Wirtschaftsgeschichte empört sich gegen diese Auffassung.
Womit haben denn diese Leute gehandelt und womit haben sie ihre
Waren bezahlt? Und erst der Sprachgebrauch! Das hervorstechendste
Merkmal des Berufs-Kaufmanns in seinem Verhältnis zum Publikum
ist nicht seine Gewohnheit zu kaufen sondern zu verkaufen. Und
doch ist der mittelalterliche "Kaufmann" nach dem Kaufen be-
nannt! Und doch sprechen die Urkunden Ottos III. für Dortmund von
990 und 1000 von den emptores Trotmanniae, deren Recht gleich
dem von Köln und Mainz für andere Städte als Muster gelten soll,
in demselben Zusammenhang wie andere Urkunden von den merca-
tores
oder negotiatores. Wenn 1075 der Abt von Reichenau mit
einem Federstrich die Bauern von Allensbach und ihre Nachkommen
in Kaufleute verwandeln kann (ut ipsi et eorum posteri sint mer-
catores
), so ist keine Interpretationskunst der Welt im Stande, das
zu erklären, wenn man an den berufsmäßigen Händler denkt. Daß
in der That unter dem Kaufmann jeder, der mit seiner Ware zu
Markte stand, verstanden wurde, einerlei ob er sie selbst produziert
oder im Großen gekauft hatte, zeigt z. B. noch eine (ungedruckte)
Klärung des Frankfurter Rats von 1420 über den Zoll, den man
Marktrecht nannte (im Gesetzbuch No. 3 des Stadtarchivs, Fol. 80).
Dort heißt es im Eingang, diesen Zoll habe zu entrichten: "ein iglich
kauffmann, der da steet uff der strassen mit siner kauffmanschafft,
wilcherley die ist." Dann folgen in ausführlicher Spezifikation die
einzelnen "Kaufleute" oder die "Kaufmannschaft", die den Zoll zu

wurden. Die Marktleute heißen allgemein Kaufleute,
mercatores, negotiatores, emptores 1).

1) Die neuere Litteratur über die Entſtehung der deutſchen Städte-
verfaſſung hat die ſehr weite Bedeutung des Wortes Kaufmann
überſehen und die zahlloſen Städte, welche auf dem Boden des Deutſchen
Reiches gegen Ende des Mittelalters beſtanden, von Köln und Augs-
burg bis Medebach und Radolfzell, mit Kaufleuten im modernen Sinne,
alſo einem berufsmäßig entwickelten Stande von Händlern bevölkert,
die man ſich in der Regel noch als Großhändler vorzuſtellen pflegt.
Die ganze Wirtſchaftsgeſchichte empört ſich gegen dieſe Auffaſſung.
Womit haben denn dieſe Leute gehandelt und womit haben ſie ihre
Waren bezahlt? Und erſt der Sprachgebrauch! Das hervorſtechendſte
Merkmal des Berufs-Kaufmanns in ſeinem Verhältnis zum Publikum
iſt nicht ſeine Gewohnheit zu kaufen ſondern zu verkaufen. Und
doch iſt der mittelalterliche „Kaufmann“ nach dem Kaufen be-
nannt! Und doch ſprechen die Urkunden Ottos III. für Dortmund von
990 und 1000 von den emptores Trotmanniae, deren Recht gleich
dem von Köln und Mainz für andere Städte als Muſter gelten ſoll,
in demſelben Zuſammenhang wie andere Urkunden von den merca-
tores
oder negotiatores. Wenn 1075 der Abt von Reichenau mit
einem Federſtrich die Bauern von Allensbach und ihre Nachkommen
in Kaufleute verwandeln kann (ut ipsi et eorum posteri sint mer-
catores
), ſo iſt keine Interpretationskunſt der Welt im Stande, das
zu erklären, wenn man an den berufsmäßigen Händler denkt. Daß
in der That unter dem Kaufmann jeder, der mit ſeiner Ware zu
Markte ſtand, verſtanden wurde, einerlei ob er ſie ſelbſt produziert
oder im Großen gekauft hatte, zeigt z. B. noch eine (ungedruckte)
Klärung des Frankfurter Rats von 1420 über den Zoll, den man
Marktrecht nannte (im Geſetzbuch No. 3 des Stadtarchivs, Fol. 80).
Dort heißt es im Eingang, dieſen Zoll habe zu entrichten: „ein iglich
kauffmann, der da ſteet uff der ſtraſſen mit ſiner kauffmanſchafft,
wilcherley die iſt.“ Dann folgen in ausführlicher Spezifikation die
einzelnen „Kaufleute“ oder die „Kaufmannſchaft“, die den Zoll zu
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0061" n="47"/>
wurden. Die Marktleute heißen allgemein <hi rendition="#g">Kaufleute</hi>,<lb/><hi rendition="#aq">mercatores, negotiatores, emptores</hi> <note xml:id="note-0060" next="#note-0061" place="foot" n="1)">Die neuere Litteratur über die Ent&#x017F;tehung der deut&#x017F;chen Städte-<lb/>
verfa&#x017F;&#x017F;ung hat die &#x017F;ehr weite Bedeutung des Wortes <hi rendition="#g">Kaufmann</hi><lb/>
über&#x017F;ehen und die zahllo&#x017F;en Städte, welche auf dem Boden des Deut&#x017F;chen<lb/>
Reiches gegen Ende des Mittelalters be&#x017F;tanden, von Köln und Augs-<lb/>
burg bis Medebach und Radolfzell, mit Kaufleuten im modernen Sinne,<lb/>
al&#x017F;o einem berufsmäßig entwickelten Stande von Händlern bevölkert,<lb/>
die man &#x017F;ich in der Regel noch als Großhändler vorzu&#x017F;tellen pflegt.<lb/>
Die ganze Wirt&#x017F;chaftsge&#x017F;chichte empört &#x017F;ich gegen die&#x017F;e Auffa&#x017F;&#x017F;ung.<lb/>
Womit haben denn die&#x017F;e Leute gehandelt und womit haben &#x017F;ie ihre<lb/>
Waren bezahlt? Und er&#x017F;t der Sprachgebrauch! Das hervor&#x017F;techend&#x017F;te<lb/>
Merkmal des Berufs-Kaufmanns in &#x017F;einem Verhältnis zum Publikum<lb/>
i&#x017F;t nicht &#x017F;eine Gewohnheit zu kaufen &#x017F;ondern zu <hi rendition="#g">verkaufen</hi>. Und<lb/>
doch i&#x017F;t der mittelalterliche &#x201E;<hi rendition="#g">Kaufmann</hi>&#x201C; nach dem <hi rendition="#g">Kaufen</hi> be-<lb/>
nannt! Und doch &#x017F;prechen die Urkunden Ottos <hi rendition="#aq">III.</hi> für Dortmund von<lb/>
990 und 1000 von den <hi rendition="#aq">emptores Trotmanniae,</hi> deren Recht gleich<lb/>
dem von Köln und Mainz für andere Städte als Mu&#x017F;ter gelten &#x017F;oll,<lb/>
in dem&#x017F;elben Zu&#x017F;ammenhang wie andere Urkunden von den <hi rendition="#aq">merca-<lb/>
tores</hi> oder <hi rendition="#aq">negotiatores</hi>. Wenn 1075 der Abt von Reichenau mit<lb/>
einem Feder&#x017F;trich die Bauern von Allensbach und ihre Nachkommen<lb/>
in Kaufleute verwandeln kann (<hi rendition="#aq">ut ipsi et eorum posteri sint mer-<lb/>
catores</hi>), &#x017F;o i&#x017F;t keine Interpretationskun&#x017F;t der Welt im Stande, das<lb/>
zu erklären, wenn man an den berufsmäßigen Händler denkt. Daß<lb/>
in der That unter dem <hi rendition="#g">Kaufmann</hi> jeder, der mit &#x017F;einer Ware zu<lb/>
Markte &#x017F;tand, ver&#x017F;tanden wurde, einerlei ob er &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t produziert<lb/>
oder im Großen gekauft hatte, zeigt z. B. noch eine (ungedruckte)<lb/>
Klärung des Frankfurter Rats von 1420 über den Zoll, den man<lb/>
Marktrecht nannte (im Ge&#x017F;etzbuch No. 3 des Stadtarchivs, Fol. 80).<lb/>
Dort heißt es im Eingang, die&#x017F;en Zoll habe zu entrichten: &#x201E;ein iglich<lb/>
kauffmann, der da &#x017F;teet uff der &#x017F;tra&#x017F;&#x017F;en mit &#x017F;iner kauffman&#x017F;chafft,<lb/>
wilcherley die i&#x017F;t.&#x201C; Dann folgen in ausführlicher Spezifikation die<lb/>
einzelnen &#x201E;Kaufleute&#x201C; oder die &#x201E;Kaufmann&#x017F;chaft&#x201C;, die den Zoll zu</note>.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[47/0061] wurden. Die Marktleute heißen allgemein Kaufleute, mercatores, negotiatores, emptores 1). 1) Die neuere Litteratur über die Entſtehung der deutſchen Städte- verfaſſung hat die ſehr weite Bedeutung des Wortes Kaufmann überſehen und die zahlloſen Städte, welche auf dem Boden des Deutſchen Reiches gegen Ende des Mittelalters beſtanden, von Köln und Augs- burg bis Medebach und Radolfzell, mit Kaufleuten im modernen Sinne, alſo einem berufsmäßig entwickelten Stande von Händlern bevölkert, die man ſich in der Regel noch als Großhändler vorzuſtellen pflegt. Die ganze Wirtſchaftsgeſchichte empört ſich gegen dieſe Auffaſſung. Womit haben denn dieſe Leute gehandelt und womit haben ſie ihre Waren bezahlt? Und erſt der Sprachgebrauch! Das hervorſtechendſte Merkmal des Berufs-Kaufmanns in ſeinem Verhältnis zum Publikum iſt nicht ſeine Gewohnheit zu kaufen ſondern zu verkaufen. Und doch iſt der mittelalterliche „Kaufmann“ nach dem Kaufen be- nannt! Und doch ſprechen die Urkunden Ottos III. für Dortmund von 990 und 1000 von den emptores Trotmanniae, deren Recht gleich dem von Köln und Mainz für andere Städte als Muſter gelten ſoll, in demſelben Zuſammenhang wie andere Urkunden von den merca- tores oder negotiatores. Wenn 1075 der Abt von Reichenau mit einem Federſtrich die Bauern von Allensbach und ihre Nachkommen in Kaufleute verwandeln kann (ut ipsi et eorum posteri sint mer- catores), ſo iſt keine Interpretationskunſt der Welt im Stande, das zu erklären, wenn man an den berufsmäßigen Händler denkt. Daß in der That unter dem Kaufmann jeder, der mit ſeiner Ware zu Markte ſtand, verſtanden wurde, einerlei ob er ſie ſelbſt produziert oder im Großen gekauft hatte, zeigt z. B. noch eine (ungedruckte) Klärung des Frankfurter Rats von 1420 über den Zoll, den man Marktrecht nannte (im Geſetzbuch No. 3 des Stadtarchivs, Fol. 80). Dort heißt es im Eingang, dieſen Zoll habe zu entrichten: „ein iglich kauffmann, der da ſteet uff der ſtraſſen mit ſiner kauffmanſchafft, wilcherley die iſt.“ Dann folgen in ausführlicher Spezifikation die einzelnen „Kaufleute“ oder die „Kaufmannſchaft“, die den Zoll zu

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893/61
Zitationshilfe: Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893/61>, abgerufen am 01.05.2024.