Alle prähistorische Forschung, soweit sie sich auf die Erscheinungen der belebten Welt bezieht, verliert sich in der Hypothese der Wanderung. Die Verbreitung der Pflanzen, der Tiere, der Menschen über die Räume der Erdoberfläche, die verwandtschaftlichen Beziehungen der Sprachen, der religiösen Vorstellungen, der Märchen und Sagen, der Sitten und sozialen Einrichtungen scheinen in dieser einen Annahme ihre gemeinsame Erklärung zu finden.
In der Menschheitsgeschichte ist man freilich heute von der Ansicht zurückgekommen, welche die nomadisierende Lebensweise als eine allgemeine Kulturphase angesehen wissen wollte, die jedes Volk vor der festen Niederlassung einmal durchgemacht haben müsse und die mit der Zähmung der Haustiere den Menschen "naturgemäß" vom Jägerleben zum Ackerbau hinüberleite. Die ethnographische Forschung hat uns genügend darüber aufgeklärt, daß alle Natur- völker leicht und aus oft sehr geringfügigen Ursachen ihre Sitze wechseln, und daß es bei ihnen außerordentlich viele Zwischenstufen zwischen schweifendem und seßhaftem Leben gibt, welches auch immer die wirtschaftlichen Grundlagen
Alle prähiſtoriſche Forſchung, ſoweit ſie ſich auf die Erſcheinungen der belebten Welt bezieht, verliert ſich in der Hypotheſe der Wanderung. Die Verbreitung der Pflanzen, der Tiere, der Menſchen über die Räume der Erdoberfläche, die verwandtſchaftlichen Beziehungen der Sprachen, der religiöſen Vorſtellungen, der Märchen und Sagen, der Sitten und ſozialen Einrichtungen ſcheinen in dieſer einen Annahme ihre gemeinſame Erklärung zu finden.
In der Menſchheitsgeſchichte iſt man freilich heute von der Anſicht zurückgekommen, welche die nomadiſierende Lebensweiſe als eine allgemeine Kulturphaſe angeſehen wiſſen wollte, die jedes Volk vor der feſten Niederlaſſung einmal durchgemacht haben müſſe und die mit der Zähmung der Haustiere den Menſchen „naturgemäß“ vom Jägerleben zum Ackerbau hinüberleite. Die ethnographiſche Forſchung hat uns genügend darüber aufgeklärt, daß alle Natur- völker leicht und aus oft ſehr geringfügigen Urſachen ihre Sitze wechſeln, und daß es bei ihnen außerordentlich viele Zwiſchenſtufen zwiſchen ſchweifendem und ſeßhaftem Leben gibt, welches auch immer die wirtſchaftlichen Grundlagen
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[[253]/0275]
Alle prähiſtoriſche Forſchung, ſoweit ſie ſich auf die
Erſcheinungen der belebten Welt bezieht, verliert ſich in der
Hypotheſe der Wanderung. Die Verbreitung der Pflanzen,
der Tiere, der Menſchen über die Räume der Erdoberfläche,
die verwandtſchaftlichen Beziehungen der Sprachen, der
religiöſen Vorſtellungen, der Märchen und Sagen, der
Sitten und ſozialen Einrichtungen ſcheinen in dieſer einen
Annahme ihre gemeinſame Erklärung zu finden.
In der Menſchheitsgeſchichte iſt man freilich heute von
der Anſicht zurückgekommen, welche die nomadiſierende
Lebensweiſe als eine allgemeine Kulturphaſe angeſehen wiſſen
wollte, die jedes Volk vor der feſten Niederlaſſung einmal
durchgemacht haben müſſe und die mit der Zähmung der
Haustiere den Menſchen „naturgemäß“ vom Jägerleben
zum Ackerbau hinüberleite. Die ethnographiſche Forſchung
hat uns genügend darüber aufgeklärt, daß alle Natur-
völker leicht und aus oft ſehr geringfügigen Urſachen ihre
Sitze wechſeln, und daß es bei ihnen außerordentlich viele
Zwiſchenſtufen zwiſchen ſchweifendem und ſeßhaftem Leben
gibt, welches auch immer die wirtſchaftlichen Grundlagen
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Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893, S. [253]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893/275>, abgerufen am 23.11.2024.
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