Wirtschaftsverhältnisse ruhenden Organisation der Gesell- schaft lag die Stärke der mittelalterlichen Städte.
Sie waren dem platten Lande überlegen trotz ihrer unbedeutenden Bevölkerungsziffern, weil in ihnen der Mann etwas wert war, weil er mehr wert war als auf dem Lande und weil das Individuum sich freiwillig in den Dienst der Gesamtheit stellte nach dem Grundsatze: Alle für Einen, Einer für Alle.
Aber nichts desto weniger ist es eine einseitig voraus- eilende, in gewissem Sinne egoistische Entwicklung, mit der wir es hier zu thun haben. Sie war nur möglich durch immer schroffere Ausbildung des sozialen Unterschieds zwischen Stadt und Land und dadurch, daß die erstere das letztere wirtschaftlich in weitem Umkreise von sich abhängig machte. Den Schlußstein dieser Entwicklung hätte die politische Ab- hängigkeit der Landschaft von der Stadt bilden müssen, die Begründung von Stadtstaaten wie in Italien und teilweise auch in der schweizerischen Eidgenossenschaft.
Frankfurt gehört zu den wenigen deutschen Städten, welche in der Erwerbung von Landgemeinden bewußt diesem Ziele zusteuerten -- freilich ohne es ganz zu erreichen.
Darin aber, daß in Deutschland die städtische Entwick- lung einseitig und unvollendet blieb, lag m. E. die Haupt- ursache, weshalb dieselbe für das Reich nicht, wie es an- fangs den Anschein hatte, ein bindendes, sondern ein auf- lösendes Element mehr wurde, weshalb sie im XVII. und
Wirtſchaftsverhältniſſe ruhenden Organiſation der Geſell- ſchaft lag die Stärke der mittelalterlichen Städte.
Sie waren dem platten Lande überlegen trotz ihrer unbedeutenden Bevölkerungsziffern, weil in ihnen der Mann etwas wert war, weil er mehr wert war als auf dem Lande und weil das Individuum ſich freiwillig in den Dienſt der Geſamtheit ſtellte nach dem Grundſatze: Alle für Einen, Einer für Alle.
Aber nichts deſto weniger iſt es eine einſeitig voraus- eilende, in gewiſſem Sinne egoiſtiſche Entwicklung, mit der wir es hier zu thun haben. Sie war nur möglich durch immer ſchroffere Ausbildung des ſozialen Unterſchieds zwiſchen Stadt und Land und dadurch, daß die erſtere das letztere wirtſchaftlich in weitem Umkreiſe von ſich abhängig machte. Den Schlußſtein dieſer Entwicklung hätte die politiſche Ab- hängigkeit der Landſchaft von der Stadt bilden müſſen, die Begründung von Stadtſtaaten wie in Italien und teilweiſe auch in der ſchweizeriſchen Eidgenoſſenſchaft.
Frankfurt gehört zu den wenigen deutſchen Städten, welche in der Erwerbung von Landgemeinden bewußt dieſem Ziele zuſteuerten — freilich ohne es ganz zu erreichen.
Darin aber, daß in Deutſchland die ſtädtiſche Entwick- lung einſeitig und unvollendet blieb, lag m. E. die Haupt- urſache, weshalb dieſelbe für das Reich nicht, wie es an- fangs den Anſchein hatte, ein bindendes, ſondern ein auf- löſendes Element mehr wurde, weshalb ſie im XVII. und
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Wirtſchaftsverhältniſſe ruhenden Organiſation der Geſell-
ſchaft lag die Stärke der mittelalterlichen Städte.
Sie waren dem platten Lande überlegen trotz ihrer
unbedeutenden Bevölkerungsziffern, weil in ihnen der Mann
etwas wert war, weil er mehr wert war als auf dem
Lande und weil das Individuum ſich freiwillig in den
Dienſt der Geſamtheit ſtellte nach dem Grundſatze: Alle
für Einen, Einer für Alle.
Aber nichts deſto weniger iſt es eine einſeitig voraus-
eilende, in gewiſſem Sinne egoiſtiſche Entwicklung, mit der
wir es hier zu thun haben. Sie war nur möglich durch
immer ſchroffere Ausbildung des ſozialen Unterſchieds zwiſchen
Stadt und Land und dadurch, daß die erſtere das letztere
wirtſchaftlich in weitem Umkreiſe von ſich abhängig machte.
Den Schlußſtein dieſer Entwicklung hätte die politiſche Ab-
hängigkeit der Landſchaft von der Stadt bilden müſſen,
die Begründung von Stadtſtaaten wie in Italien und
teilweiſe auch in der ſchweizeriſchen Eidgenoſſenſchaft.
Frankfurt gehört zu den wenigen deutſchen Städten,
welche in der Erwerbung von Landgemeinden bewußt dieſem
Ziele zuſteuerten — freilich ohne es ganz zu erreichen.
Darin aber, daß in Deutſchland die ſtädtiſche Entwick-
lung einſeitig und unvollendet blieb, lag m. E. die Haupt-
urſache, weshalb dieſelbe für das Reich nicht, wie es an-
fangs den Anſchein hatte, ein bindendes, ſondern ein auf-
löſendes Element mehr wurde, weshalb ſie im XVII. und
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Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893/271>, abgerufen am 16.02.2025.
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