Sache; die sog. Nouvellistes hielten regelmäßige Zusammen- künfte, tauschten ihre Nachrichten gegen einander aus, kom- mentierten dieselben, politisierten und machten Projekte. Die Schriftsteller der Zeit behandeln diese Zirkel mit un- erschöpflicher Satire, die Lustspieldichter bemächtigen sich des dankbaren Stoffs, und noch Montesquieu widmet ihnen eine der ergötzlichsten seiner Lettres Persanes1).
Was Anfangs ein bloßer Zeitvertreib für Neuigkeiten- jäger und Müßiggänger gewesen war, wurde für spekulative Köpfe bald ein Gewerbe. Dieselben übernahmen es, Leuten von Rang und Ansehen regelmäßig die Neuigkeiten zuzutragen. Große Herren hielten sich einen Nouvelliste, wie sie sich einen Haarkräusler oder Leibschneider hielten. Der Herzog von Mazarin zahlte beispielsweise einem solchen monatlich 10 Livres.
Bald fiengen die Nouvellistenzirkel an, auch Kunden in den Provinzen aufzusuchen, die natürlich nur schriftlich be- dient werden konnten. Jeder Zirkel hatte sein besonderes Redaktions- und Kopierbureau und seine besonderen Quellen für Hof- und Regierungsnachrichten. Die Abonnenten zahlten eine feste Summe, die sich nach der Zahl der Seiten richtete, welche sie wöchentlich verlangten. Dies ist der Ursprung der berühmten Nouvelles a la main, die unter manchen Verfolgungen von seiten der Regierung bis gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts fortdauerten und zum
1)Oeuvres completes, Paris 1857 p. 87, lettre CXXX.
13 *
Sache; die ſog. Nouvellistes hielten regelmäßige Zuſammen- künfte, tauſchten ihre Nachrichten gegen einander aus, kom- mentierten dieſelben, politiſierten und machten Projekte. Die Schriftſteller der Zeit behandeln dieſe Zirkel mit un- erſchöpflicher Satire, die Luſtſpieldichter bemächtigen ſich des dankbaren Stoffs, und noch Montesquieu widmet ihnen eine der ergötzlichſten ſeiner Lettres Persanes1).
Was Anfangs ein bloßer Zeitvertreib für Neuigkeiten- jäger und Müßiggänger geweſen war, wurde für ſpekulative Köpfe bald ein Gewerbe. Dieſelben übernahmen es, Leuten von Rang und Anſehen regelmäßig die Neuigkeiten zuzutragen. Große Herren hielten ſich einen Nouvelliste, wie ſie ſich einen Haarkräusler oder Leibſchneider hielten. Der Herzog von Mazarin zahlte beiſpielsweiſe einem ſolchen monatlich 10 Livres.
Bald fiengen die Nouvelliſtenzirkel an, auch Kunden in den Provinzen aufzuſuchen, die natürlich nur ſchriftlich be- dient werden konnten. Jeder Zirkel hatte ſein beſonderes Redaktions- und Kopierbureau und ſeine beſonderen Quellen für Hof- und Regierungsnachrichten. Die Abonnenten zahlten eine feſte Summe, die ſich nach der Zahl der Seiten richtete, welche ſie wöchentlich verlangten. Dies iſt der Urſprung der berühmten Nouvelles à la main, die unter manchen Verfolgungen von ſeiten der Regierung bis gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts fortdauerten und zum
1)Oeuvres complètes, Paris 1857 p. 87, lettre CXXX.
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Sache; die ſog. Nouvellistes hielten regelmäßige Zuſammen-
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Die Schriftſteller der Zeit behandeln dieſe Zirkel mit un-
erſchöpflicher Satire, die Luſtſpieldichter bemächtigen ſich
des dankbaren Stoffs, und noch Montesquieu widmet ihnen
eine der ergötzlichſten ſeiner Lettres Persanes 1).
Was Anfangs ein bloßer Zeitvertreib für Neuigkeiten-
jäger und Müßiggänger geweſen war, wurde für ſpekulative
Köpfe bald ein Gewerbe. Dieſelben übernahmen es, Leuten
von Rang und Anſehen regelmäßig die Neuigkeiten zuzutragen.
Große Herren hielten ſich einen Nouvelliste, wie ſie ſich
einen Haarkräusler oder Leibſchneider hielten. Der Herzog
von Mazarin zahlte beiſpielsweiſe einem ſolchen monatlich
10 Livres.
Bald fiengen die Nouvelliſtenzirkel an, auch Kunden in
den Provinzen aufzuſuchen, die natürlich nur ſchriftlich be-
dient werden konnten. Jeder Zirkel hatte ſein beſonderes
Redaktions- und Kopierbureau und ſeine beſonderen Quellen
für Hof- und Regierungsnachrichten. Die Abonnenten
zahlten eine feſte Summe, die ſich nach der Zahl der Seiten
richtete, welche ſie wöchentlich verlangten. Dies iſt der
Urſprung der berühmten Nouvelles à la main, die unter
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1) Oeuvres complètes, Paris 1857 p. 87, lettre CXXX.
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Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893/217>, abgerufen am 31.07.2024.
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