sonders hervorgetreten sein, weil sie nichts Hervorragendes zu leisten im Stande waren, sondern manche gewiß auch deshalb, weil sie es nicht verstanden haben, sich am rechten Orte "hervorzuthun", ihre Persönlichkeit zur Geltung zu bringen.
Die ganze Vererbungstheorie trägt -- ihrem Urheber gewiß unbewußt -- die unerfreulichen Gesichtszüge einer Sozialphilosophie der beati possidentes. Sie ruft dem Niedriggeborenen, der in sich die Kraft zu verspüren meint, eine höhere Stellung des Berufslebens auszufüllen, zu: "Laß alle Hoffnung schwinden; deine körperliche und geistige Verfassung, deine Nerven, deine Muskeln, die Kausalkette von vielen Generationen hält dich am Boden fest. Deine Vorfahren sind seit Jahrhunderten Leibeigene gewesen, dein Vater und Großvater waren Taglöhner, du bist zu einem ähnlichen Berufe bestimmt." Ich brauche nicht auszuführen, wie sehr die Konsequenzen dieser neuen Lehre unserem sitt- lichen Bewußtsein, unserem Ideal der sozialen Gerechtigkeit ins Gesicht schlagen.
In dem Stadium der unbewiesenen Thesis, in welchem sie sich zur Zeit befindet, wird sie meines Erachtens schon durch die doch nicht allzu selten zu machende Beobachtung hinfällig, daß innerhalb einer einzigen Generation der ganze Weg vom Nullpunkt bis zum Höhepunkt der modernen Kultur, von der untersten bis zur höchsten Stufe der Arbeitsteilung, vom Fuße bis zur Spitze der sozialen Leiter zurückgelegt wird und umgekehrt. Man muß sich eigentlich
ſonders hervorgetreten ſein, weil ſie nichts Hervorragendes zu leiſten im Stande waren, ſondern manche gewiß auch deshalb, weil ſie es nicht verſtanden haben, ſich am rechten Orte „hervorzuthun“, ihre Perſönlichkeit zur Geltung zu bringen.
Die ganze Vererbungstheorie trägt — ihrem Urheber gewiß unbewußt — die unerfreulichen Geſichtszüge einer Sozialphiloſophie der beati possidentes. Sie ruft dem Niedriggeborenen, der in ſich die Kraft zu verſpüren meint, eine höhere Stellung des Berufslebens auszufüllen, zu: „Laß alle Hoffnung ſchwinden; deine körperliche und geiſtige Verfaſſung, deine Nerven, deine Muskeln, die Kauſalkette von vielen Generationen hält dich am Boden feſt. Deine Vorfahren ſind ſeit Jahrhunderten Leibeigene geweſen, dein Vater und Großvater waren Taglöhner, du biſt zu einem ähnlichen Berufe beſtimmt.“ Ich brauche nicht auszuführen, wie ſehr die Konſequenzen dieſer neuen Lehre unſerem ſitt- lichen Bewußtſein, unſerem Ideal der ſozialen Gerechtigkeit ins Geſicht ſchlagen.
In dem Stadium der unbewieſenen Theſis, in welchem ſie ſich zur Zeit befindet, wird ſie meines Erachtens ſchon durch die doch nicht allzu ſelten zu machende Beobachtung hinfällig, daß innerhalb einer einzigen Generation der ganze Weg vom Nullpunkt bis zum Höhepunkt der modernen Kultur, von der unterſten bis zur höchſten Stufe der Arbeitsteilung, vom Fuße bis zur Spitze der ſozialen Leiter zurückgelegt wird und umgekehrt. Man muß ſich eigentlich
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ſonders hervorgetreten ſein, weil ſie nichts Hervorragendes
zu leiſten im Stande waren, ſondern manche gewiß auch
deshalb, weil ſie es nicht verſtanden haben, ſich am rechten
Orte „hervorzuthun“, ihre Perſönlichkeit zur Geltung zu
bringen.
Die ganze Vererbungstheorie trägt — ihrem Urheber
gewiß unbewußt — die unerfreulichen Geſichtszüge einer
Sozialphiloſophie der beati possidentes. Sie ruft dem
Niedriggeborenen, der in ſich die Kraft zu verſpüren meint,
eine höhere Stellung des Berufslebens auszufüllen, zu:
„Laß alle Hoffnung ſchwinden; deine körperliche und geiſtige
Verfaſſung, deine Nerven, deine Muskeln, die Kauſalkette
von vielen Generationen hält dich am Boden feſt. Deine
Vorfahren ſind ſeit Jahrhunderten Leibeigene geweſen, dein
Vater und Großvater waren Taglöhner, du biſt zu einem
ähnlichen Berufe beſtimmt.“ Ich brauche nicht auszuführen,
wie ſehr die Konſequenzen dieſer neuen Lehre unſerem ſitt-
lichen Bewußtſein, unſerem Ideal der ſozialen Gerechtigkeit
ins Geſicht ſchlagen.
In dem Stadium der unbewieſenen Theſis, in welchem
ſie ſich zur Zeit befindet, wird ſie meines Erachtens ſchon
durch die doch nicht allzu ſelten zu machende Beobachtung
hinfällig, daß innerhalb einer einzigen Generation der ganze
Weg vom Nullpunkt bis zum Höhepunkt der modernen
Kultur, von der unterſten bis zur höchſten Stufe der
Arbeitsteilung, vom Fuße bis zur Spitze der ſozialen Leiter
zurückgelegt wird und umgekehrt. Man muß ſich eigentlich
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Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893/188>, abgerufen am 23.11.2024.
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