tägliche Erscheinung, wenn ein hoher Staatsbeamter seinen Sohn zur Landwirtschaft bestimmt, um ihm später ein Rittergut zu kaufen, wenn der Sohn des Großgrundbesitzers oder Fabrikanten die akademische Laufbahn einschlägt, der Sohn des Pfarrers Ingenieur wird, der Sohn des In- genieurs Arzt, der Sohn des Arztes Kaufmann, der Sohn des Kaufmanns Jurist oder Architekt. Und eben so leicht und häufig ist der Uebergang vom Bauern zum Schullehrer oder Bierbrauer, vom Bäcker zum Uhrmacher, vom Schmied zum Buchbinder, vom Bergmann zum Fabrikarbeiter, vom ländlichen Taglöhner zum Bahnwärter oder Droschken- kutscher u. s. w. Wir alle finden diese Uebergänge, trotz der großen Verschiedenheiten der Arbeitstechnik, sozial durch- aus angemessen und wirtschaftlich unbedenklich, obwohl es doch kaum verschiedenartiger durch die Arbeitsteilung "dif- ferenzierte" Menschen geben kann als einen Staatsminister und einen Landwirt, einen Fabrikanten und einen Professor, einen Kaufmann und einen Architekten und was dergleichen mehr ist. Und wenn der Sohn des Fabrikanten wieder Fabrikant wird, der Sohn des Bauern wieder Bauer, so wissen wir, daß in vielen Fällen der einmal auf diesen Beruf zugeschnittene Vermögensbestand den Beruf diktiert hat, ohne Rücksicht darauf, ob die aufgezwungene Rolle für das betreffende Individuum angemessen ist oder nicht.
Dieser Blick auf das praktische Leben muß uns abhalten, die Schmoller'sche Theorie von der Vererbung der durch die Arbeitsteilung hervorgebrachten persönlichen Differen-
tägliche Erſcheinung, wenn ein hoher Staatsbeamter ſeinen Sohn zur Landwirtſchaft beſtimmt, um ihm ſpäter ein Rittergut zu kaufen, wenn der Sohn des Großgrundbeſitzers oder Fabrikanten die akademiſche Laufbahn einſchlägt, der Sohn des Pfarrers Ingenieur wird, der Sohn des In- genieurs Arzt, der Sohn des Arztes Kaufmann, der Sohn des Kaufmanns Juriſt oder Architekt. Und eben ſo leicht und häufig iſt der Uebergang vom Bauern zum Schullehrer oder Bierbrauer, vom Bäcker zum Uhrmacher, vom Schmied zum Buchbinder, vom Bergmann zum Fabrikarbeiter, vom ländlichen Taglöhner zum Bahnwärter oder Droſchken- kutſcher u. ſ. w. Wir alle finden dieſe Uebergänge, trotz der großen Verſchiedenheiten der Arbeitstechnik, ſozial durch- aus angemeſſen und wirtſchaftlich unbedenklich, obwohl es doch kaum verſchiedenartiger durch die Arbeitsteilung „dif- ferenzierte“ Menſchen geben kann als einen Staatsminiſter und einen Landwirt, einen Fabrikanten und einen Profeſſor, einen Kaufmann und einen Architekten und was dergleichen mehr iſt. Und wenn der Sohn des Fabrikanten wieder Fabrikant wird, der Sohn des Bauern wieder Bauer, ſo wiſſen wir, daß in vielen Fällen der einmal auf dieſen Beruf zugeſchnittene Vermögensbeſtand den Beruf diktiert hat, ohne Rückſicht darauf, ob die aufgezwungene Rolle für das betreffende Individuum angemeſſen iſt oder nicht.
Dieſer Blick auf das praktiſche Leben muß uns abhalten, die Schmoller’ſche Theorie von der Vererbung der durch die Arbeitsteilung hervorgebrachten perſönlichen Differen-
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tägliche Erſcheinung, wenn ein hoher Staatsbeamter ſeinen
Sohn zur Landwirtſchaft beſtimmt, um ihm ſpäter ein
Rittergut zu kaufen, wenn der Sohn des Großgrundbeſitzers
oder Fabrikanten die akademiſche Laufbahn einſchlägt, der
Sohn des Pfarrers Ingenieur wird, der Sohn des In-
genieurs Arzt, der Sohn des Arztes Kaufmann, der Sohn
des Kaufmanns Juriſt oder Architekt. Und eben ſo leicht
und häufig iſt der Uebergang vom Bauern zum Schullehrer
oder Bierbrauer, vom Bäcker zum Uhrmacher, vom Schmied
zum Buchbinder, vom Bergmann zum Fabrikarbeiter, vom
ländlichen Taglöhner zum Bahnwärter oder Droſchken-
kutſcher u. ſ. w. Wir alle finden dieſe Uebergänge, trotz
der großen Verſchiedenheiten der Arbeitstechnik, ſozial durch-
aus angemeſſen und wirtſchaftlich unbedenklich, obwohl es
doch kaum verſchiedenartiger durch die Arbeitsteilung „dif-
ferenzierte“ Menſchen geben kann als einen Staatsminiſter
und einen Landwirt, einen Fabrikanten und einen Profeſſor,
einen Kaufmann und einen Architekten und was dergleichen
mehr iſt. Und wenn der Sohn des Fabrikanten wieder
Fabrikant wird, der Sohn des Bauern wieder Bauer, ſo
wiſſen wir, daß in vielen Fällen der einmal auf dieſen
Beruf zugeſchnittene Vermögensbeſtand den Beruf diktiert
hat, ohne Rückſicht darauf, ob die aufgezwungene Rolle für
das betreffende Individuum angemeſſen iſt oder nicht.
Dieſer Blick auf das praktiſche Leben muß uns abhalten,
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Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893/180>, abgerufen am 22.11.2024.
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