Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893.

Bild:
<< vorherige Seite

klärt sich sehr einfach aus folgenden zwei Umständen: 1. jeder
Beruf wirft unter unserer Wirtschaftsorganisation ein Ein-
kommen ab, und nur der Besitzende ist im Stande, sich
die bevorzugten Stellen des Einkommenserwerbs innerhalb
der allgemeinen Arbeitsgliederung auszusuchen, während der
Besitzlose mit den schlechteren Stellen vorlieb nehmen muß;
2. der Besitz selbst liefert vermöge seiner kapitalistischen
Natur ein Einkommen und überträgt sich erblich mit dieser
Fähigkeit. Soweit unsere Besitzklassen auch soziale Berufs-
stände sind, sind sie es nicht deshalb, weil der Beruf Besitz
schafft, sondern vielmehr deshalb, weil der Besitz die Be-
rufswahl bedingt und weil in der Regel das Einkommen,
das der Beruf abwirft, sich in ähnlicher Weise abstuft, wie
der Besitz, auf welchen der Beruf sich gründet.

Was ich damit ausspreche, ist durchaus nichts Neues.
Ein jeder von uns handelt nach dieser Auffassung, die ihm
die tägliche Erfahrung an die Hand gibt, und auch die
wissenschaftliche Nationalökonomie hat sie immer anerkannt.
Geht doch die ganze Theorie des Arbeitslohns von der
Voraussetzung aus, daß der Sohn des Arbeiters nichts
anders werden kann als wieder ein Arbeiter, und daß dies
eine Folge sei seiner Armut, nicht der ererbten beruflichen
Anpassung. Und muß man denn wirklich erst noch beweisen,
daß Berufsarten, zu deren Beginn und Betrieb Kapital
nötig ist oder deren Erlernung große Auslagen erfordert,
dem Besitzlosen so gut als verschlossen sind? Die vielge-
rühmte "Freiheit der Berufswahl" besteht also nur zwischen

klärt ſich ſehr einfach aus folgenden zwei Umſtänden: 1. jeder
Beruf wirft unter unſerer Wirtſchaftsorganiſation ein Ein-
kommen ab, und nur der Beſitzende iſt im Stande, ſich
die bevorzugten Stellen des Einkommenserwerbs innerhalb
der allgemeinen Arbeitsgliederung auszuſuchen, während der
Beſitzloſe mit den ſchlechteren Stellen vorlieb nehmen muß;
2. der Beſitz ſelbſt liefert vermöge ſeiner kapitaliſtiſchen
Natur ein Einkommen und überträgt ſich erblich mit dieſer
Fähigkeit. Soweit unſere Beſitzklaſſen auch ſoziale Berufs-
ſtände ſind, ſind ſie es nicht deshalb, weil der Beruf Beſitz
ſchafft, ſondern vielmehr deshalb, weil der Beſitz die Be-
rufswahl bedingt und weil in der Regel das Einkommen,
das der Beruf abwirft, ſich in ähnlicher Weiſe abſtuft, wie
der Beſitz, auf welchen der Beruf ſich gründet.

Was ich damit ausſpreche, iſt durchaus nichts Neues.
Ein jeder von uns handelt nach dieſer Auffaſſung, die ihm
die tägliche Erfahrung an die Hand gibt, und auch die
wiſſenſchaftliche Nationalökonomie hat ſie immer anerkannt.
Geht doch die ganze Theorie des Arbeitslohns von der
Vorausſetzung aus, daß der Sohn des Arbeiters nichts
anders werden kann als wieder ein Arbeiter, und daß dies
eine Folge ſei ſeiner Armut, nicht der ererbten beruflichen
Anpaſſung. Und muß man denn wirklich erſt noch beweiſen,
daß Berufsarten, zu deren Beginn und Betrieb Kapital
nötig iſt oder deren Erlernung große Auslagen erfordert,
dem Beſitzloſen ſo gut als verſchloſſen ſind? Die vielge-
rühmte „Freiheit der Berufswahl“ beſteht alſo nur zwiſchen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0178" n="156"/>
klärt &#x017F;ich &#x017F;ehr einfach aus folgenden zwei Um&#x017F;tänden: 1. jeder<lb/>
Beruf wirft unter un&#x017F;erer Wirt&#x017F;chaftsorgani&#x017F;ation ein Ein-<lb/>
kommen ab, und nur der Be&#x017F;itzende i&#x017F;t im Stande, &#x017F;ich<lb/>
die bevorzugten Stellen des Einkommenserwerbs innerhalb<lb/>
der allgemeinen Arbeitsgliederung auszu&#x017F;uchen, während der<lb/>
Be&#x017F;itzlo&#x017F;e mit den &#x017F;chlechteren Stellen vorlieb nehmen muß;<lb/>
2. der Be&#x017F;itz &#x017F;elb&#x017F;t liefert vermöge &#x017F;einer kapitali&#x017F;ti&#x017F;chen<lb/>
Natur ein Einkommen und überträgt &#x017F;ich erblich mit die&#x017F;er<lb/>
Fähigkeit. Soweit un&#x017F;ere Be&#x017F;itzkla&#x017F;&#x017F;en auch &#x017F;oziale Berufs-<lb/>
&#x017F;tände &#x017F;ind, &#x017F;ind &#x017F;ie es nicht deshalb, weil der Beruf Be&#x017F;itz<lb/>
&#x017F;chafft, &#x017F;ondern vielmehr deshalb, weil der Be&#x017F;itz die Be-<lb/>
rufswahl bedingt und weil in der Regel das Einkommen,<lb/>
das der Beruf abwirft, &#x017F;ich in ähnlicher Wei&#x017F;e ab&#x017F;tuft, wie<lb/>
der Be&#x017F;itz, auf welchen der Beruf &#x017F;ich gründet.</p><lb/>
          <p>Was ich damit aus&#x017F;preche, i&#x017F;t durchaus nichts Neues.<lb/>
Ein jeder von uns handelt nach die&#x017F;er Auffa&#x017F;&#x017F;ung, die ihm<lb/>
die tägliche Erfahrung an die Hand gibt, und auch die<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftliche Nationalökonomie hat &#x017F;ie immer anerkannt.<lb/>
Geht doch die ganze Theorie des Arbeitslohns von der<lb/>
Voraus&#x017F;etzung aus, daß der Sohn des Arbeiters nichts<lb/>
anders werden kann als wieder ein Arbeiter, und daß dies<lb/>
eine Folge &#x017F;ei &#x017F;einer Armut, nicht der ererbten beruflichen<lb/>
Anpa&#x017F;&#x017F;ung. Und muß man denn wirklich er&#x017F;t noch bewei&#x017F;en,<lb/>
daß Berufsarten, zu deren Beginn und Betrieb Kapital<lb/>
nötig i&#x017F;t oder deren Erlernung große Auslagen erfordert,<lb/>
dem Be&#x017F;itzlo&#x017F;en &#x017F;o gut als ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ind? Die vielge-<lb/>
rühmte &#x201E;Freiheit der Berufswahl&#x201C; be&#x017F;teht al&#x017F;o nur zwi&#x017F;chen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[156/0178] klärt ſich ſehr einfach aus folgenden zwei Umſtänden: 1. jeder Beruf wirft unter unſerer Wirtſchaftsorganiſation ein Ein- kommen ab, und nur der Beſitzende iſt im Stande, ſich die bevorzugten Stellen des Einkommenserwerbs innerhalb der allgemeinen Arbeitsgliederung auszuſuchen, während der Beſitzloſe mit den ſchlechteren Stellen vorlieb nehmen muß; 2. der Beſitz ſelbſt liefert vermöge ſeiner kapitaliſtiſchen Natur ein Einkommen und überträgt ſich erblich mit dieſer Fähigkeit. Soweit unſere Beſitzklaſſen auch ſoziale Berufs- ſtände ſind, ſind ſie es nicht deshalb, weil der Beruf Beſitz ſchafft, ſondern vielmehr deshalb, weil der Beſitz die Be- rufswahl bedingt und weil in der Regel das Einkommen, das der Beruf abwirft, ſich in ähnlicher Weiſe abſtuft, wie der Beſitz, auf welchen der Beruf ſich gründet. Was ich damit ausſpreche, iſt durchaus nichts Neues. Ein jeder von uns handelt nach dieſer Auffaſſung, die ihm die tägliche Erfahrung an die Hand gibt, und auch die wiſſenſchaftliche Nationalökonomie hat ſie immer anerkannt. Geht doch die ganze Theorie des Arbeitslohns von der Vorausſetzung aus, daß der Sohn des Arbeiters nichts anders werden kann als wieder ein Arbeiter, und daß dies eine Folge ſei ſeiner Armut, nicht der ererbten beruflichen Anpaſſung. Und muß man denn wirklich erſt noch beweiſen, daß Berufsarten, zu deren Beginn und Betrieb Kapital nötig iſt oder deren Erlernung große Auslagen erfordert, dem Beſitzloſen ſo gut als verſchloſſen ſind? Die vielge- rühmte „Freiheit der Berufswahl“ beſteht alſo nur zwiſchen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893/178
Zitationshilfe: Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Sechs Vorträge. Tübingen, 1893, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buecher_volkswirtschaft_1893/178>, abgerufen am 03.05.2024.