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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 67. Königstreue und Huldigung.
So sagt Karl der Kahle in einem Privileg für S. Vedast von 876,
wer es verletze, solle wegen Infidelität nach dem Ermessen des Königs
bestraft werden. Denn zu seinem Seelenheile habe Karl die Kirche
begnadet. Es könne aber keine grössere Untreue geben, als wenn je-
mand, indem er jener Verfügung zuwiderhandele, das gegenwärtige
und das zukünftige Heil des Königs beeinträchtige 44. Auf den Ge-
sichtspunkt der Infidelität geht es wohl auch zurück, wenn in ein-
zelnen Fällen von Ungehorsam gegen einen königlichen Befehl die
feste Bannbusse durch eine arbiträre Strafe ersetzt wird. So, wenn
Ludwig I. die Missachtung des Königsbriefs nach seinem Belieben zu
ahnden droht 45 und wegen Verweigerung der anbefohlenen Gastung
eine Einquartierung verhängen will, die solange dauern soll, bis der
Verächter des königlichen Befehls animo nostro satisfactum habeat 46.

Da die Friedlosigkeit begrifflich Feindschaft des Königs und allen
Volkes war und der König sich als Vertreter des Volkes betrachtete,
lag es nahe, dass einzelne Fälle der alten Friedlosigkeit, Friedens-
brüche, die an sich nichts mit der Königstreue zu thun hatten, unter
den Rahmen der Infidelität gespannt wurden. Der Verbrecher war
Feind des Königs und darum infidelis. So nannte schon Karl der
Grosse den Dieb infidelis noster et Francorum. Feind des Königs und in-
fidelis war aber auch, wer den Verbrecher beherbergte oder begünstigte 47.
Das Verbot, den Friedlosen zu hausen und zu hofen, kleidete sich daher
in das Verbot, einem infidelis Obdach und Unterstützung zu ge-
währen 48. So sehen wir im fränkischen Reiche die Anfänge einer
Entwicklung ähnlich derjenigen, die nachmals in England den Begriff

mentum fidelitatis, quod nobis promisit, irritum fecit. Et ideo secundum nostram
voluntatem et potestatem diiudicandus est.
44 Bouquet VIII 652: quia infidelis esse cognoscitur (neque enim infidelior
quisquam nobis potest esse quam ille, qui nostrae saluti et praesenti et futurae
contrarius extiterit), secundum voluntatem et potestatem nostram diiudicetur.
45 Cap. legg. add. 818/9, c. 16, I 284: iussu nostro ad palatium veniat et
iuxta voluntatem nostram congruam stulticiae suae castigationem accipiet.
46 Cap. citat. c. 16, I 284.
47 Wenn jemand wissentlich einen latro beherbergt, soll er nach Cap. per
missos cognita facienda 803--813, c. 2, I 156 quasi latro et infidelis verurteilt
werden, quia qui latro est, infidelis est noster et Francorum et qui illum suscipit,
similis est illi. Infidelis hat hier dieselbe Tragweite, wie inimicus in Cap. I 217,
c. 7, wo es heisst, dass, wer wegen Tötung eines Friedlosen Fehde erhebt, nobis
et populo nostro inimicus annotetur. Vgl. damit Edmund II 1, § 3; III 2: sit
inimicus regis et omnium amicorum eius.
48 Karoli II Cap. Pap. v. J. 876, c. 15, II 102: ut nemo fidelium nostrorum
quodammodo aliquem celet, quem nostrum scierit infidelem esse, neque ei sustenta-
tionem quamcumque praestare pertentet.
Binding, Handbuch. II. 1. II: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. II. 5

§ 67. Königstreue und Huldigung.
So sagt Karl der Kahle in einem Privileg für S. Vedast von 876,
wer es verletze, solle wegen Infidelität nach dem Ermessen des Königs
bestraft werden. Denn zu seinem Seelenheile habe Karl die Kirche
begnadet. Es könne aber keine gröſsere Untreue geben, als wenn je-
mand, indem er jener Verfügung zuwiderhandele, das gegenwärtige
und das zukünftige Heil des Königs beeinträchtige 44. Auf den Ge-
sichtspunkt der Infidelität geht es wohl auch zurück, wenn in ein-
zelnen Fällen von Ungehorsam gegen einen königlichen Befehl die
feste Bannbuſse durch eine arbiträre Strafe ersetzt wird. So, wenn
Ludwig I. die Miſsachtung des Königsbriefs nach seinem Belieben zu
ahnden droht 45 und wegen Verweigerung der anbefohlenen Gastung
eine Einquartierung verhängen will, die solange dauern soll, bis der
Verächter des königlichen Befehls animo nostro satisfactum habeat 46.

Da die Friedlosigkeit begrifflich Feindschaft des Königs und allen
Volkes war und der König sich als Vertreter des Volkes betrachtete,
lag es nahe, daſs einzelne Fälle der alten Friedlosigkeit, Friedens-
brüche, die an sich nichts mit der Königstreue zu thun hatten, unter
den Rahmen der Infidelität gespannt wurden. Der Verbrecher war
Feind des Königs und darum infidelis. So nannte schon Karl der
Groſse den Dieb infidelis noster et Francorum. Feind des Königs und in-
fidelis war aber auch, wer den Verbrecher beherbergte oder begünstigte 47.
Das Verbot, den Friedlosen zu hausen und zu hofen, kleidete sich daher
in das Verbot, einem infidelis Obdach und Unterstützung zu ge-
währen 48. So sehen wir im fränkischen Reiche die Anfänge einer
Entwicklung ähnlich derjenigen, die nachmals in England den Begriff

mentum fidelitatis, quod nobis promisit, irritum fecit. Et ideo secundum nostram
voluntatem et potestatem diiudicandus est.
44 Bouquet VIII 652: quia infidelis esse cognoscitur (neque enim infidelior
quisquam nobis potest esse quam ille, qui nostrae saluti et praesenti et futurae
contrarius extiterit), secundum voluntatem et potestatem nostram diiudicetur.
45 Cap. legg. add. 818/9, c. 16, I 284: iussu nostro ad palatium veniat et
iuxta voluntatem nostram congruam stulticiae suae castigationem accipiet.
46 Cap. citat. c. 16, I 284.
47 Wenn jemand wissentlich einen latro beherbergt, soll er nach Cap. per
missos cognita facienda 803—813, c. 2, I 156 quasi latro et infidelis verurteilt
werden, quia qui latro est, infidelis est noster et Francorum et qui illum suscipit,
similis est illi. Infidelis hat hier dieselbe Tragweite, wie inimicus in Cap. I 217,
c. 7, wo es heiſst, daſs, wer wegen Tötung eines Friedlosen Fehde erhebt, nobis
et populo nostro inimicus annotetur. Vgl. damit Edmund II 1, § 3; III 2: sit
inimicus regis et omnium amicorum eius.
48 Karoli II Cap. Pap. v. J. 876, c. 15, II 102: ut nemo fidelium nostrorum
quodammodo aliquem celet, quem nostrum scierit infidelem esse, neque ei sustenta-
tionem quamcumque praestare pertentet.
Binding, Handbuch. II. 1. II: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. II. 5
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[65/0083] § 67. Königstreue und Huldigung. So sagt Karl der Kahle in einem Privileg für S. Vedast von 876, wer es verletze, solle wegen Infidelität nach dem Ermessen des Königs bestraft werden. Denn zu seinem Seelenheile habe Karl die Kirche begnadet. Es könne aber keine gröſsere Untreue geben, als wenn je- mand, indem er jener Verfügung zuwiderhandele, das gegenwärtige und das zukünftige Heil des Königs beeinträchtige 44. Auf den Ge- sichtspunkt der Infidelität geht es wohl auch zurück, wenn in ein- zelnen Fällen von Ungehorsam gegen einen königlichen Befehl die feste Bannbuſse durch eine arbiträre Strafe ersetzt wird. So, wenn Ludwig I. die Miſsachtung des Königsbriefs nach seinem Belieben zu ahnden droht 45 und wegen Verweigerung der anbefohlenen Gastung eine Einquartierung verhängen will, die solange dauern soll, bis der Verächter des königlichen Befehls animo nostro satisfactum habeat 46. Da die Friedlosigkeit begrifflich Feindschaft des Königs und allen Volkes war und der König sich als Vertreter des Volkes betrachtete, lag es nahe, daſs einzelne Fälle der alten Friedlosigkeit, Friedens- brüche, die an sich nichts mit der Königstreue zu thun hatten, unter den Rahmen der Infidelität gespannt wurden. Der Verbrecher war Feind des Königs und darum infidelis. So nannte schon Karl der Groſse den Dieb infidelis noster et Francorum. Feind des Königs und in- fidelis war aber auch, wer den Verbrecher beherbergte oder begünstigte 47. Das Verbot, den Friedlosen zu hausen und zu hofen, kleidete sich daher in das Verbot, einem infidelis Obdach und Unterstützung zu ge- währen 48. So sehen wir im fränkischen Reiche die Anfänge einer Entwicklung ähnlich derjenigen, die nachmals in England den Begriff 43 44 Bouquet VIII 652: quia infidelis esse cognoscitur (neque enim infidelior quisquam nobis potest esse quam ille, qui nostrae saluti et praesenti et futurae contrarius extiterit), secundum voluntatem et potestatem nostram diiudicetur. 45 Cap. legg. add. 818/9, c. 16, I 284: iussu nostro ad palatium veniat et iuxta voluntatem nostram congruam stulticiae suae castigationem accipiet. 46 Cap. citat. c. 16, I 284. 47 Wenn jemand wissentlich einen latro beherbergt, soll er nach Cap. per missos cognita facienda 803—813, c. 2, I 156 quasi latro et infidelis verurteilt werden, quia qui latro est, infidelis est noster et Francorum et qui illum suscipit, similis est illi. Infidelis hat hier dieselbe Tragweite, wie inimicus in Cap. I 217, c. 7, wo es heiſst, daſs, wer wegen Tötung eines Friedlosen Fehde erhebt, nobis et populo nostro inimicus annotetur. Vgl. damit Edmund II 1, § 3; III 2: sit inimicus regis et omnium amicorum eius. 48 Karoli II Cap. Pap. v. J. 876, c. 15, II 102: ut nemo fidelium nostrorum quodammodo aliquem celet, quem nostrum scierit infidelem esse, neque ei sustenta- tionem quamcumque praestare pertentet. 43 mentum fidelitatis, quod nobis promisit, irritum fecit. Et ideo secundum nostram voluntatem et potestatem diiudicandus est. Binding, Handbuch. II. 1. II: Brunner, Deutsche Rechtsgesch. II. 5

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/83>, abgerufen am 28.04.2024.