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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 67. Königstreue und Huldigung.
Treupflicht mit den Strafen zu belegen, welche das Volksrecht auf
Infidelität setzte, war in Theorie und Praxis unmöglich. Ungehorsam
gegen den Bann des Königs wurde nach wie vor zunächst mit der
Bannbusse bestraft. Und nur wenn sich in fortgesetztem und hart-
näckigem Widerstreben gegen den Willen des Königs eine feindselige
Absicht äusserte, mochte der Gesichtspunkt der Infidelität in Frage
kommen 38. Soweit der Treubruch als solcher fassbar war -- wobei
natürlich von den religiösen und sittlichen Pflichten abzusehen ist --, be-
gründete er eine arbiträre Strafgewalt des Königs, deren äusserste Grenze
durch die Friedlosigkeit gegeben war. Die vollen Konsequenzen der
Friedlosigkeit, nämlich Tötung und Einziehung des ganzen Vermögens,
kamen nur in den schwereren Fällen der Infidelität zur Anwendung 39,
falls nicht der König die Verwirkung des Lebens in eine verstüm-
melnde Leibesstrafe, etwa in Blendung, verwandelte 40. In minder
schweren Fällen begnügte sich der König, Verbannung und Fronung
des Vermögens oder nur jene zu verhängen 41. Noch häufiger greift
nur die Fronung Platz, sodass es scheint, alles habe sich in dieser
Beziehung eine feste Praxis gebildet 42. Die leichtesten Fälle wurden
wohl mit einer den Umständen angepassten Geldbusse geahndet.

Aus einzelnen Anlässen hat das fränkische Königtum ausdrücklich
seine Befugnis betont, wegen Infidelität secundum suam voluntatem
et potestatem zu strafen. So wird in einem Kapitular von 818/9 der
Eingriff in das Königsgut als Infidelität mit arbiträrer Strafe bedroht 43.

38 So heisst es in dem bei Waitz, VG III 308, Anm. 2 citierten Erlass Lo-
thars an die Beamten Istriens: Et si .. inter vos rixas et contentiones aut oppres-
siones pauperorum feceritis et mandatum nostrum transgressi fueritis aut fidelitatem
nobis repromissam .. non conservaveritis, sciatis pro certo vestram esse culpam;
et si non emendaveritis, legalem et capitalem super vos manere sententiam.
Trotz allen Bemühungen ist es mir bisher nicht gelungen, jenen Erlass in den
Papieren der Monumenta Germaniae historica aufzufinden, auf die Waitz verweist.
39 Vgl. Waitz, VG IV 506.
40 So Ludwig I. bei Bernhard, Mühlbacher S. 209.
41 Form. imper. 8, Zeumer S. 293, von Anhängern Bernhards: nonnulli in
exilium missi et res eorum, quibus secundum legum sanctionem privati fuerant,
fisco nostro sociatae sunt. Einhard, Vita Karoli c. 20, von Anhängern der Ver-
schwörung Hardrads: cuius auctores partim luminibus orbati, partim membris in-
columes, omnes tamen exilio deportati sunt. Die Annal. Nazar. bemerken noch
(z. J. 786): possessiones vero vel agros eorum omnes infiscati esse noscuntur.
Pactum Tusiacense c. 4, Pertz, LL I 501: ut nullus infidelium nostrorum, qui liberi
homines sunt, in nostro regno immorari vel proprietatem habere permittatur.
42 Siehe die Beispiele bei Waitz, VG III 307, Anm. 3.
43 Cap. legg. add. 818/9, c. 20, I 285: et quicumque illud (proprium nostrum)
scienter per malum ingenium adquirere temptaverit, pro infidele teneatur, quia sacra-

§ 67. Königstreue und Huldigung.
Treupflicht mit den Strafen zu belegen, welche das Volksrecht auf
Infidelität setzte, war in Theorie und Praxis unmöglich. Ungehorsam
gegen den Bann des Königs wurde nach wie vor zunächst mit der
Bannbuſse bestraft. Und nur wenn sich in fortgesetztem und hart-
näckigem Widerstreben gegen den Willen des Königs eine feindselige
Absicht äuſserte, mochte der Gesichtspunkt der Infidelität in Frage
kommen 38. Soweit der Treubruch als solcher faſsbar war — wobei
natürlich von den religiösen und sittlichen Pflichten abzusehen ist —, be-
gründete er eine arbiträre Strafgewalt des Königs, deren äuſserste Grenze
durch die Friedlosigkeit gegeben war. Die vollen Konsequenzen der
Friedlosigkeit, nämlich Tötung und Einziehung des ganzen Vermögens,
kamen nur in den schwereren Fällen der Infidelität zur Anwendung 39,
falls nicht der König die Verwirkung des Lebens in eine verstüm-
melnde Leibesstrafe, etwa in Blendung, verwandelte 40. In minder
schweren Fällen begnügte sich der König, Verbannung und Fronung
des Vermögens oder nur jene zu verhängen 41. Noch häufiger greift
nur die Fronung Platz, sodaſs es scheint, alles habe sich in dieser
Beziehung eine feste Praxis gebildet 42. Die leichtesten Fälle wurden
wohl mit einer den Umständen angepaſsten Geldbuſse geahndet.

Aus einzelnen Anlässen hat das fränkische Königtum ausdrücklich
seine Befugnis betont, wegen Infidelität secundum suam voluntatem
et potestatem zu strafen. So wird in einem Kapitular von 818/9 der
Eingriff in das Königsgut als Infidelität mit arbiträrer Strafe bedroht 43.

38 So heiſst es in dem bei Waitz, VG III 308, Anm. 2 citierten Erlaſs Lo-
thars an die Beamten Istriens: Et si .. inter vos rixas et contentiones aut oppres-
siones pauperorum feceritis et mandatum nostrum transgressi fueritis aut fidelitatem
nobis repromissam .. non conservaveritis, sciatis pro certo vestram esse culpam;
et si non emendaveritis, legalem et capitalem super vos manere sententiam.
Trotz allen Bemühungen ist es mir bisher nicht gelungen, jenen Erlaſs in den
Papieren der Monumenta Germaniae historica aufzufinden, auf die Waitz verweist.
39 Vgl. Waitz, VG IV 506.
40 So Ludwig I. bei Bernhard, Mühlbacher S. 209.
41 Form. imper. 8, Zeumer S. 293, von Anhängern Bernhards: nonnulli in
exilium missi et res eorum, quibus secundum legum sanctionem privati fuerant,
fisco nostro sociatae sunt. Einhard, Vita Karoli c. 20, von Anhängern der Ver-
schwörung Hardrads: cuius auctores partim luminibus orbati, partim membris in-
columes, omnes tamen exilio deportati sunt. Die Annal. Nazar. bemerken noch
(z. J. 786): possessiones vero vel agros eorum omnes infiscati esse noscuntur.
Pactum Tusiacense c. 4, Pertz, LL I 501: ut nullus infidelium nostrorum, qui liberi
homines sunt, in nostro regno immorari vel proprietatem habere permittatur.
42 Siehe die Beispiele bei Waitz, VG III 307, Anm. 3.
43 Cap. legg. add. 818/9, c. 20, I 285: et quicumque illud (proprium nostrum)
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[64/0082] § 67. Königstreue und Huldigung. Treupflicht mit den Strafen zu belegen, welche das Volksrecht auf Infidelität setzte, war in Theorie und Praxis unmöglich. Ungehorsam gegen den Bann des Königs wurde nach wie vor zunächst mit der Bannbuſse bestraft. Und nur wenn sich in fortgesetztem und hart- näckigem Widerstreben gegen den Willen des Königs eine feindselige Absicht äuſserte, mochte der Gesichtspunkt der Infidelität in Frage kommen 38. Soweit der Treubruch als solcher faſsbar war — wobei natürlich von den religiösen und sittlichen Pflichten abzusehen ist —, be- gründete er eine arbiträre Strafgewalt des Königs, deren äuſserste Grenze durch die Friedlosigkeit gegeben war. Die vollen Konsequenzen der Friedlosigkeit, nämlich Tötung und Einziehung des ganzen Vermögens, kamen nur in den schwereren Fällen der Infidelität zur Anwendung 39, falls nicht der König die Verwirkung des Lebens in eine verstüm- melnde Leibesstrafe, etwa in Blendung, verwandelte 40. In minder schweren Fällen begnügte sich der König, Verbannung und Fronung des Vermögens oder nur jene zu verhängen 41. Noch häufiger greift nur die Fronung Platz, sodaſs es scheint, alles habe sich in dieser Beziehung eine feste Praxis gebildet 42. Die leichtesten Fälle wurden wohl mit einer den Umständen angepaſsten Geldbuſse geahndet. Aus einzelnen Anlässen hat das fränkische Königtum ausdrücklich seine Befugnis betont, wegen Infidelität secundum suam voluntatem et potestatem zu strafen. So wird in einem Kapitular von 818/9 der Eingriff in das Königsgut als Infidelität mit arbiträrer Strafe bedroht 43. 38 So heiſst es in dem bei Waitz, VG III 308, Anm. 2 citierten Erlaſs Lo- thars an die Beamten Istriens: Et si .. inter vos rixas et contentiones aut oppres- siones pauperorum feceritis et mandatum nostrum transgressi fueritis aut fidelitatem nobis repromissam .. non conservaveritis, sciatis pro certo vestram esse culpam; et si non emendaveritis, legalem et capitalem super vos manere sententiam. Trotz allen Bemühungen ist es mir bisher nicht gelungen, jenen Erlaſs in den Papieren der Monumenta Germaniae historica aufzufinden, auf die Waitz verweist. 39 Vgl. Waitz, VG IV 506. 40 So Ludwig I. bei Bernhard, Mühlbacher S. 209. 41 Form. imper. 8, Zeumer S. 293, von Anhängern Bernhards: nonnulli in exilium missi et res eorum, quibus secundum legum sanctionem privati fuerant, fisco nostro sociatae sunt. Einhard, Vita Karoli c. 20, von Anhängern der Ver- schwörung Hardrads: cuius auctores partim luminibus orbati, partim membris in- columes, omnes tamen exilio deportati sunt. Die Annal. Nazar. bemerken noch (z. J. 786): possessiones vero vel agros eorum omnes infiscati esse noscuntur. Pactum Tusiacense c. 4, Pertz, LL I 501: ut nullus infidelium nostrorum, qui liberi homines sunt, in nostro regno immorari vel proprietatem habere permittatur. 42 Siehe die Beispiele bei Waitz, VG III 307, Anm. 3. 43 Cap. legg. add. 818/9, c. 20, I 285: et quicumque illud (proprium nostrum) scienter per malum ingenium adquirere temptaverit, pro infidele teneatur, quia sacra-

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/82>, abgerufen am 28.04.2024.