Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite
§ 64. Der Königsbann.

Die Banngewalt des Königs war in ihrer Anwendung an bestimmte
Schranken gebunden, und es stand nicht in der Willkür des Königs,
jeden beliebigen Inhalt in seinen Befehl aufzunehmen. Die Lex
Ribuaria macht die Verwirkung der Bannbusse davon abhängig, dass
der Übertreter des königlichen Befehles vom König rechtmässig "legibus"
und zum Nutzen des Gemeinwesens gebannt worden sei. Die Grenzen
der Banngewalt wurden also bestimmt durch das Herkommen und
durch die allgemeine Rechtsanschauung, die in Bezug auf die Bedürf-
nisse des Gemeinwesens, wie sie der König zu bestimmen hatte, ob-
waltete. Allerdings sind diese Grenzen dehnbar; allein das ist bei
Handhabung obrigkeitlicher Gewalt allenthalben und zu allen Zeiten
nicht anders gewesen.

Die in ihrer Mannigfaltigkeit fast unerschöpflichen Bannfälle lassen
sich in drei Hauptgruppen bringen, nämlich in die des Friedensbannes,
des Verwaltungsbannes und des Verordnungsbannes.

Der Friedensbann dient dazu, um Personen oder Sachen einen
höheren Frieden zu wirken. Er stellt wohl die älteste Anwendung
des Bannes dar; denn auf ihm beruht der Dingfriede. Auf den
höheren Frieden, den der König einzelnen Personen oder ganzen
Klassen von Unterthanen bannt, geht der besondere Königsschutz des
fränkischen Rechtes zurück. Schon Chlodovech hat während des west-
gotischen Krieges die katholischen Kirchen, den Klerus und ihre
Angehörigen durch Friedensbann in seinen Schutz (pax) aufgenommen 20.
Der Friedensbann scheint auch der älteste nachweisbare Ausgangspunkt
der Sechzigschillingbusse zu sein 21. In karolingischer Zeit stehen

20 Das Schreiben Chlodovechs an die Bischöfe in Cap. I 1 f. unterscheidet
Personen, die in pace nostra, und solche, die extra pace gefangen genommen wur-
den. In pace sind die zu Eingang des Briefes aufgezählten Personen. Ist eine
dieser befriedeten Personen während des westgotischen Krieges in Gefangenschaft
geraten, so soll sie auf königlichen Befehl freigegeben werden. Doch muss durch
Brief des Bischofs konstatiert werden, dass der Gefangene zu den befriedeten
Personen gehöre. Wurde eine Person gefangen, die extra pace stand, so steht es
dem Bischof frei, durch Empfehlungsbrief (per apostolia) für ihn zu intervenieren,
ohne dass aber der König hinsichtlich des Erfolges sich im voraus bindet. Dass
in dem Satze: Nam de his, qui in pace nostra tam clerici quam laici subrepti fuis-
sent, si veraciter agnoscitis, vestras epitolas (vestrae epistolae) . . ad nos dirigantur,
hinter agnoscitis zu interpungieren sei, verdanke ich einer freundlichen Bemerkung
Zeumers.
21 Die Lex Salica schützt die im Sonderfrieden des Königs (furban, siehe
oben I 147, Anm. 22) befindliche Frau gegen Frauenraub durch die Brüche von
621/2 Solidi. In Lex Ribuaria 35, 3 ist dieser Betrag auf 60 Schillinge abge-
rundet. Auf den königlichen Friedensbann führt es auch zurück, wenn auf Ver-
letzung des durch einen Königsbrief übertragenen Grundbesitzes in Lex Rib. 60, 3
§ 64. Der Königsbann.

Die Banngewalt des Königs war in ihrer Anwendung an bestimmte
Schranken gebunden, und es stand nicht in der Willkür des Königs,
jeden beliebigen Inhalt in seinen Befehl aufzunehmen. Die Lex
Ribuaria macht die Verwirkung der Bannbuſse davon abhängig, daſs
der Übertreter des königlichen Befehles vom König rechtmäſsig „legibus“
und zum Nutzen des Gemeinwesens gebannt worden sei. Die Grenzen
der Banngewalt wurden also bestimmt durch das Herkommen und
durch die allgemeine Rechtsanschauung, die in Bezug auf die Bedürf-
nisse des Gemeinwesens, wie sie der König zu bestimmen hatte, ob-
waltete. Allerdings sind diese Grenzen dehnbar; allein das ist bei
Handhabung obrigkeitlicher Gewalt allenthalben und zu allen Zeiten
nicht anders gewesen.

Die in ihrer Mannigfaltigkeit fast unerschöpflichen Bannfälle lassen
sich in drei Hauptgruppen bringen, nämlich in die des Friedensbannes,
des Verwaltungsbannes und des Verordnungsbannes.

Der Friedensbann dient dazu, um Personen oder Sachen einen
höheren Frieden zu wirken. Er stellt wohl die älteste Anwendung
des Bannes dar; denn auf ihm beruht der Dingfriede. Auf den
höheren Frieden, den der König einzelnen Personen oder ganzen
Klassen von Unterthanen bannt, geht der besondere Königsschutz des
fränkischen Rechtes zurück. Schon Chlodovech hat während des west-
gotischen Krieges die katholischen Kirchen, den Klerus und ihre
Angehörigen durch Friedensbann in seinen Schutz (pax) aufgenommen 20.
Der Friedensbann scheint auch der älteste nachweisbare Ausgangspunkt
der Sechzigschillingbuſse zu sein 21. In karolingischer Zeit stehen

20 Das Schreiben Chlodovechs an die Bischöfe in Cap. I 1 f. unterscheidet
Personen, die in pace nostra, und solche, die extra pace gefangen genommen wur-
den. In pace sind die zu Eingang des Briefes aufgezählten Personen. Ist eine
dieser befriedeten Personen während des westgotischen Krieges in Gefangenschaft
geraten, so soll sie auf königlichen Befehl freigegeben werden. Doch muſs durch
Brief des Bischofs konstatiert werden, daſs der Gefangene zu den befriedeten
Personen gehöre. Wurde eine Person gefangen, die extra pace stand, so steht es
dem Bischof frei, durch Empfehlungsbrief (per apostolia) für ihn zu intervenieren,
ohne daſs aber der König hinsichtlich des Erfolges sich im voraus bindet. Daſs
in dem Satze: Nam de his, qui in pace nostra tam clerici quam laici subrepti fuis-
sent, si veraciter agnoscitis, vestras epitolas (vestrae epistolae) . . ad nos dirigantur,
hinter agnoscitis zu interpungieren sei, verdanke ich einer freundlichen Bemerkung
Zeumers.
21 Die Lex Salica schützt die im Sonderfrieden des Königs (furban, siehe
oben I 147, Anm. 22) befindliche Frau gegen Frauenraub durch die Brüche von
62½ Solidi. In Lex Ribuaria 35, 3 ist dieser Betrag auf 60 Schillinge abge-
rundet. Auf den königlichen Friedensbann führt es auch zurück, wenn auf Ver-
letzung des durch einen Königsbrief übertragenen Grundbesitzes in Lex Rib. 60, 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0055" n="37"/>
            <fw place="top" type="header">§ 64. Der Königsbann.</fw><lb/>
            <p>Die Banngewalt des Königs war in ihrer Anwendung an bestimmte<lb/>
Schranken gebunden, und es stand nicht in der Willkür des Königs,<lb/>
jeden beliebigen Inhalt in seinen Befehl aufzunehmen. Die Lex<lb/>
Ribuaria macht die Verwirkung der Bannbu&#x017F;se davon abhängig, da&#x017F;s<lb/>
der Übertreter des königlichen Befehles vom König rechtmä&#x017F;sig &#x201E;legibus&#x201C;<lb/>
und zum Nutzen des Gemeinwesens gebannt worden sei. Die Grenzen<lb/>
der Banngewalt wurden also bestimmt durch das Herkommen und<lb/>
durch die allgemeine Rechtsanschauung, die in Bezug auf die Bedürf-<lb/>
nisse des Gemeinwesens, wie sie der König zu bestimmen hatte, ob-<lb/>
waltete. Allerdings sind diese Grenzen dehnbar; allein das ist bei<lb/>
Handhabung obrigkeitlicher Gewalt allenthalben und zu allen Zeiten<lb/>
nicht anders gewesen.</p><lb/>
            <p>Die in ihrer Mannigfaltigkeit fast unerschöpflichen Bannfälle lassen<lb/>
sich in drei Hauptgruppen bringen, nämlich in die des Friedensbannes,<lb/>
des Verwaltungsbannes und des Verordnungsbannes.</p><lb/>
            <p>Der <hi rendition="#g">Friedensbann</hi> dient dazu, um Personen oder Sachen einen<lb/>
höheren Frieden zu wirken. Er stellt wohl die älteste Anwendung<lb/>
des Bannes dar; denn auf ihm beruht der Dingfriede. Auf den<lb/>
höheren Frieden, den der König einzelnen Personen oder ganzen<lb/>
Klassen von Unterthanen bannt, geht der besondere Königsschutz des<lb/>
fränkischen Rechtes zurück. Schon Chlodovech hat während des west-<lb/>
gotischen Krieges die katholischen Kirchen, den Klerus und ihre<lb/>
Angehörigen durch Friedensbann in seinen Schutz (pax) aufgenommen <note place="foot" n="20">Das Schreiben Chlodovechs an die Bischöfe in Cap. I 1 f. unterscheidet<lb/>
Personen, die in pace nostra, und solche, die extra pace gefangen genommen wur-<lb/>
den. In pace sind die zu Eingang des Briefes aufgezählten Personen. Ist eine<lb/>
dieser befriedeten Personen während des westgotischen Krieges in Gefangenschaft<lb/>
geraten, so soll sie auf königlichen Befehl freigegeben werden. Doch mu&#x017F;s durch<lb/>
Brief des Bischofs konstatiert werden, da&#x017F;s der Gefangene zu den befriedeten<lb/>
Personen gehöre. Wurde eine Person gefangen, die extra pace stand, so steht es<lb/>
dem Bischof frei, durch Empfehlungsbrief (per apostolia) für ihn zu intervenieren,<lb/>
ohne da&#x017F;s aber der König hinsichtlich des Erfolges sich im voraus bindet. Da&#x017F;s<lb/>
in dem Satze: Nam de his, qui in pace nostra tam clerici quam laici subrepti fuis-<lb/>
sent, si veraciter agnoscitis, vestras epitolas (vestrae epistolae) . . ad nos dirigantur,<lb/>
hinter agnoscitis zu interpungieren sei, verdanke ich einer freundlichen Bemerkung<lb/><hi rendition="#g">Zeumers</hi>.</note>.<lb/>
Der Friedensbann scheint auch der älteste nachweisbare Ausgangspunkt<lb/>
der Sechzigschillingbu&#x017F;se zu sein <note xml:id="seg2pn_9_1" next="#seg2pn_9_2" place="foot" n="21">Die Lex Salica schützt die im Sonderfrieden des Königs (furban, siehe<lb/>
oben I 147, Anm. 22) befindliche Frau gegen Frauenraub durch die Brüche von<lb/>
62½ Solidi. In Lex Ribuaria 35, 3 ist dieser Betrag auf 60 Schillinge abge-<lb/>
rundet. Auf den königlichen Friedensbann führt es auch zurück, wenn auf Ver-<lb/>
letzung des durch einen Königsbrief übertragenen Grundbesitzes in Lex Rib. 60, 3</note>. In karolingischer Zeit stehen<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[37/0055] § 64. Der Königsbann. Die Banngewalt des Königs war in ihrer Anwendung an bestimmte Schranken gebunden, und es stand nicht in der Willkür des Königs, jeden beliebigen Inhalt in seinen Befehl aufzunehmen. Die Lex Ribuaria macht die Verwirkung der Bannbuſse davon abhängig, daſs der Übertreter des königlichen Befehles vom König rechtmäſsig „legibus“ und zum Nutzen des Gemeinwesens gebannt worden sei. Die Grenzen der Banngewalt wurden also bestimmt durch das Herkommen und durch die allgemeine Rechtsanschauung, die in Bezug auf die Bedürf- nisse des Gemeinwesens, wie sie der König zu bestimmen hatte, ob- waltete. Allerdings sind diese Grenzen dehnbar; allein das ist bei Handhabung obrigkeitlicher Gewalt allenthalben und zu allen Zeiten nicht anders gewesen. Die in ihrer Mannigfaltigkeit fast unerschöpflichen Bannfälle lassen sich in drei Hauptgruppen bringen, nämlich in die des Friedensbannes, des Verwaltungsbannes und des Verordnungsbannes. Der Friedensbann dient dazu, um Personen oder Sachen einen höheren Frieden zu wirken. Er stellt wohl die älteste Anwendung des Bannes dar; denn auf ihm beruht der Dingfriede. Auf den höheren Frieden, den der König einzelnen Personen oder ganzen Klassen von Unterthanen bannt, geht der besondere Königsschutz des fränkischen Rechtes zurück. Schon Chlodovech hat während des west- gotischen Krieges die katholischen Kirchen, den Klerus und ihre Angehörigen durch Friedensbann in seinen Schutz (pax) aufgenommen 20. Der Friedensbann scheint auch der älteste nachweisbare Ausgangspunkt der Sechzigschillingbuſse zu sein 21. In karolingischer Zeit stehen 20 Das Schreiben Chlodovechs an die Bischöfe in Cap. I 1 f. unterscheidet Personen, die in pace nostra, und solche, die extra pace gefangen genommen wur- den. In pace sind die zu Eingang des Briefes aufgezählten Personen. Ist eine dieser befriedeten Personen während des westgotischen Krieges in Gefangenschaft geraten, so soll sie auf königlichen Befehl freigegeben werden. Doch muſs durch Brief des Bischofs konstatiert werden, daſs der Gefangene zu den befriedeten Personen gehöre. Wurde eine Person gefangen, die extra pace stand, so steht es dem Bischof frei, durch Empfehlungsbrief (per apostolia) für ihn zu intervenieren, ohne daſs aber der König hinsichtlich des Erfolges sich im voraus bindet. Daſs in dem Satze: Nam de his, qui in pace nostra tam clerici quam laici subrepti fuis- sent, si veraciter agnoscitis, vestras epitolas (vestrae epistolae) . . ad nos dirigantur, hinter agnoscitis zu interpungieren sei, verdanke ich einer freundlichen Bemerkung Zeumers. 21 Die Lex Salica schützt die im Sonderfrieden des Königs (furban, siehe oben I 147, Anm. 22) befindliche Frau gegen Frauenraub durch die Brüche von 62½ Solidi. In Lex Ribuaria 35, 3 ist dieser Betrag auf 60 Schillinge abge- rundet. Auf den königlichen Friedensbann führt es auch zurück, wenn auf Ver- letzung des durch einen Königsbrief übertragenen Grundbesitzes in Lex Rib. 60, 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/55
Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/55>, abgerufen am 28.04.2024.