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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 121. Das königsgerichtliche Verfahren.
zu Grunde lagen. Doch findet sich gelegentlich auch, dass das Zeug-
nis kein fertiges Beweisergebnis liefert, sondern sich auf die einzelnen
von den Geschworenen unmittelbar wahrgenommenen Thatsachen be-
schränkt, die für die Entscheidung der Beweisfrage massgebend sein
konnten.

Der Inquisitionsbeweis war ein zweiseitiges Beweismittel. Der
Spruch der Geschworenen konnte ebensogut zu Gunsten des Klägers
als des Beklagten lauten. Keine der beiden Parteien war berechtigt,
ihn anzufechten, etwa wie im volksrechtlichen Zeugenverfahren auf
Zweikampf zu provocieren. Doch konnten die Geschworenen, wenn
der Verdacht einer wahrheitswidrigen Aussage vorlag, von Amtswegen
angehalten werden, sich durch ein Gottesurteil zu reinigen. Lieferte
das Frageverfahren kein Beweisergebnis, so durfte es mit anderen
Umsassen ein zweites Mal vorgenommen werden. Blieb es auch dann
erfolglos, so trat volksrechtliches Beweisverfahren ein.

Einen Inquisitionsbeweis anzuordnen, war nur der König befugt
oder derjenige, dem er hiezu Vollmacht oder Auftrag erteilt hatte.
Allgemeine Vollmacht hatte der Pfalzgraf in seiner Eigenschaft als
Richter und hatten die ordentlichen Missi des Königs, welchen ins-
besondere empfohlen war, in Sachen von Witwen, Waisen und
homines minus potentes davon Gebrauch zu machen. Im übrigen be-
durfte die Anwendung des Inquisitionsbeweises -- sofern nicht eine
Prozesspartei ein besonderes Privilegium besass -- eines königlichen
Mandats, welches in schriftlicher Form durch einen sogenannten in-
diculus (breve) inquisitionis erteilt zu werden pflegte. Das Mandat
ging entweder dahin, die Inquisitio vorzunehmen und über ihr Er-
gebnis an den König zu berichten (mandatum ad referendum), oder
auf Grund der Inquisitio die streitige Rechtssache zur gerichtlichen
Entscheidung zu bringen (mandatum ad definiendum).

Gewisse Prozessparteien hatten das 'ius inquisitionis', d. h. die
Befugnis, in ihren Rechtssachen von jedem Richter, vor dem diese zur
Verhandlung gelangten, die Anwendung der Inquisitio zu begehren,
so dass sie nicht vom Ermessen des Richters abhing und ein könig-
liches Mandat nicht erforderlich war. Privilegiert war in dieser Weise
der königliche Fiskus, vermutlich in Anschluss an Rechtsgrundsätze,
die schon in römischer Zeit für Fiskalprozesse gegolten hatten7. Das
fiskalische Inquisitionsrecht erstreckte sich auf sämtliche Krongüter

7 Siehe die Belege in meiner Entstehung der Schwurgerichte S. 87. Dazu
das Edictum Claudii de civitate Anaunorum v. J. 46 bei Bruns, Fontes iuris romani
antiqui 4. A. S. 191 f.

§ 121. Das königsgerichtliche Verfahren.
zu Grunde lagen. Doch findet sich gelegentlich auch, daſs das Zeug-
nis kein fertiges Beweisergebnis liefert, sondern sich auf die einzelnen
von den Geschworenen unmittelbar wahrgenommenen Thatsachen be-
schränkt, die für die Entscheidung der Beweisfrage maſsgebend sein
konnten.

Der Inquisitionsbeweis war ein zweiseitiges Beweismittel. Der
Spruch der Geschworenen konnte ebensogut zu Gunsten des Klägers
als des Beklagten lauten. Keine der beiden Parteien war berechtigt,
ihn anzufechten, etwa wie im volksrechtlichen Zeugenverfahren auf
Zweikampf zu provocieren. Doch konnten die Geschworenen, wenn
der Verdacht einer wahrheitswidrigen Aussage vorlag, von Amtswegen
angehalten werden, sich durch ein Gottesurteil zu reinigen. Lieferte
das Frageverfahren kein Beweisergebnis, so durfte es mit anderen
Umsassen ein zweites Mal vorgenommen werden. Blieb es auch dann
erfolglos, so trat volksrechtliches Beweisverfahren ein.

Einen Inquisitionsbeweis anzuordnen, war nur der König befugt
oder derjenige, dem er hiezu Vollmacht oder Auftrag erteilt hatte.
Allgemeine Vollmacht hatte der Pfalzgraf in seiner Eigenschaft als
Richter und hatten die ordentlichen Missi des Königs, welchen ins-
besondere empfohlen war, in Sachen von Witwen, Waisen und
homines minus potentes davon Gebrauch zu machen. Im übrigen be-
durfte die Anwendung des Inquisitionsbeweises — sofern nicht eine
Prozeſspartei ein besonderes Privilegium besaſs — eines königlichen
Mandats, welches in schriftlicher Form durch einen sogenannten in-
diculus (breve) inquisitionis erteilt zu werden pflegte. Das Mandat
ging entweder dahin, die Inquisitio vorzunehmen und über ihr Er-
gebnis an den König zu berichten (mandatum ad referendum), oder
auf Grund der Inquisitio die streitige Rechtssache zur gerichtlichen
Entscheidung zu bringen (mandatum ad definiendum).

Gewisse Prozeſsparteien hatten das ‘ius inquisitionis’, d. h. die
Befugnis, in ihren Rechtssachen von jedem Richter, vor dem diese zur
Verhandlung gelangten, die Anwendung der Inquisitio zu begehren,
so daſs sie nicht vom Ermessen des Richters abhing und ein könig-
liches Mandat nicht erforderlich war. Privilegiert war in dieser Weise
der königliche Fiskus, vermutlich in Anschluſs an Rechtsgrundsätze,
die schon in römischer Zeit für Fiskalprozesse gegolten hatten7. Das
fiskalische Inquisitionsrecht erstreckte sich auf sämtliche Krongüter

7 Siehe die Belege in meiner Entstehung der Schwurgerichte S. 87. Dazu
das Edictum Claudii de civitate Anaunorum v. J. 46 bei Bruns, Fontes iuris romani
antiqui 4. A. S. 191 f.
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[525/0543] § 121. Das königsgerichtliche Verfahren. zu Grunde lagen. Doch findet sich gelegentlich auch, daſs das Zeug- nis kein fertiges Beweisergebnis liefert, sondern sich auf die einzelnen von den Geschworenen unmittelbar wahrgenommenen Thatsachen be- schränkt, die für die Entscheidung der Beweisfrage maſsgebend sein konnten. Der Inquisitionsbeweis war ein zweiseitiges Beweismittel. Der Spruch der Geschworenen konnte ebensogut zu Gunsten des Klägers als des Beklagten lauten. Keine der beiden Parteien war berechtigt, ihn anzufechten, etwa wie im volksrechtlichen Zeugenverfahren auf Zweikampf zu provocieren. Doch konnten die Geschworenen, wenn der Verdacht einer wahrheitswidrigen Aussage vorlag, von Amtswegen angehalten werden, sich durch ein Gottesurteil zu reinigen. Lieferte das Frageverfahren kein Beweisergebnis, so durfte es mit anderen Umsassen ein zweites Mal vorgenommen werden. Blieb es auch dann erfolglos, so trat volksrechtliches Beweisverfahren ein. Einen Inquisitionsbeweis anzuordnen, war nur der König befugt oder derjenige, dem er hiezu Vollmacht oder Auftrag erteilt hatte. Allgemeine Vollmacht hatte der Pfalzgraf in seiner Eigenschaft als Richter und hatten die ordentlichen Missi des Königs, welchen ins- besondere empfohlen war, in Sachen von Witwen, Waisen und homines minus potentes davon Gebrauch zu machen. Im übrigen be- durfte die Anwendung des Inquisitionsbeweises — sofern nicht eine Prozeſspartei ein besonderes Privilegium besaſs — eines königlichen Mandats, welches in schriftlicher Form durch einen sogenannten in- diculus (breve) inquisitionis erteilt zu werden pflegte. Das Mandat ging entweder dahin, die Inquisitio vorzunehmen und über ihr Er- gebnis an den König zu berichten (mandatum ad referendum), oder auf Grund der Inquisitio die streitige Rechtssache zur gerichtlichen Entscheidung zu bringen (mandatum ad definiendum). Gewisse Prozeſsparteien hatten das ‘ius inquisitionis’, d. h. die Befugnis, in ihren Rechtssachen von jedem Richter, vor dem diese zur Verhandlung gelangten, die Anwendung der Inquisitio zu begehren, so daſs sie nicht vom Ermessen des Richters abhing und ein könig- liches Mandat nicht erforderlich war. Privilegiert war in dieser Weise der königliche Fiskus, vermutlich in Anschluſs an Rechtsgrundsätze, die schon in römischer Zeit für Fiskalprozesse gegolten hatten 7. Das fiskalische Inquisitionsrecht erstreckte sich auf sämtliche Krongüter 7 Siehe die Belege in meiner Entstehung der Schwurgerichte S. 87. Dazu das Edictum Claudii de civitate Anaunorum v. J. 46 bei Bruns, Fontes iuris romani antiqui 4. A. S. 191 f.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 525. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/543>, abgerufen am 01.06.2024.