Beweise abzusehen und seiner Entscheidung ein Zeugnis des betreffen- den Richters zu Grunde zu legen. Für einzelne volksgerichtliche Akte, die zu einer Verhandlung im Königsgerichte Anlass gaben, war die Art und Weise, wie sie daselbst beglaubigt werden sollten, durch besondere Bestimmungen geregelt. So normiert z. B. schon das Edikt Chilperichs für den Fall, dass gegen die gräfliche Auspfändung Wider- spruch erhoben wurde, den von den Rachineburgen über die Recht- mässigksit der Pfändung im Königsgerichte zu erbringenden Zeugen- beweis.
Ein Vorrecht des Königsgerichtes war endlich die Aufnahme eines Inquisitionsbeweises, eine Anwendung des Frageverfahrens in Civil- sachen. Der Inquisitionsbeweis war ein ex regia auctoritate erhobener Beweis. Im Gegensatze zu den formalen volksrechtlichen Beweismitteln stellt er sich als Ergebnis einer amtlichen Beweisaufnahme dar. Gegen- ständlich war seine Anwendbarkeit eine ziemlich beschränkte. Man verwertete ihn fast nur in Streitigkeiten um Grundstücke, um Gefälle und nutzbare Rechte dauernden Inhalts, um Eigenleute und in Status- prozessen6.
Den Inquisitionsbeweis lieferte die Aussage, die eine Anzahl von Umsassen und Gemeindegenossen über das Beweisthema abgab. Die Zahl schwankte in den einzelnen Anwendungsfällen. Regelmässig waren es mehr als sechs, nicht selten mehr als zwölf. Die In- quisitionszeugen wurden nicht wie die Zeugen des volksrechtlichen Zeugenverfahrens von der Partei produciert, sondern vom Richter aus den glaubwürdigsten und angesehensten Personen ausgewählt, bei welchen die Kenntnis der streitigen Thatsache vorausgesetzt werden durfte. Nachdem sie der Richter und zwar bei Königsbann vorge- laden hatte, verpflichtete er sie, die Wahrheit auszusagen, indem er ihnen ein Wahrheitsversprechen abnahm, das sie entweder durch einen promissorischen Eid oder auf ihren Unterthaneneid hin leisteten. Dann legte ihnen der Richter die Beweisfrage vor mit der Aufforderung zu sagen, was ihnen darüber bekannt sei. Die Antwort der Geschworenen erfolgte entweder als ein Spruch, den sie auf Grund vorausgehender Beratung gemeinschaftlich -- mit gesamtem Munde -- abgaben, oder so, dass jeder einzelne für sich aussagte, was er wusste, eine Methode, die namentlich in Italien und im südlichen Gallien heimisch war. Die Aussage pflegte die vorgelegte Beweisfrage direkt zu erledigen, ohne auf die verschiedenen Wahrnehmungen zurückzugreifen, die dem Verdikt
6 Im Rügeverfahren und in Verwaltungsangelegenheiten hatte die Inquisitio nicht die Bedeutung eines prozessualischen Beweismittels.
§ 121. Das königsgerichtliche Verfahren.
Beweise abzusehen und seiner Entscheidung ein Zeugnis des betreffen- den Richters zu Grunde zu legen. Für einzelne volksgerichtliche Akte, die zu einer Verhandlung im Königsgerichte Anlaſs gaben, war die Art und Weise, wie sie daselbst beglaubigt werden sollten, durch besondere Bestimmungen geregelt. So normiert z. B. schon das Edikt Chilperichs für den Fall, daſs gegen die gräfliche Auspfändung Wider- spruch erhoben wurde, den von den Rachineburgen über die Recht- mäſsigksit der Pfändung im Königsgerichte zu erbringenden Zeugen- beweis.
Ein Vorrecht des Königsgerichtes war endlich die Aufnahme eines Inquisitionsbeweises, eine Anwendung des Frageverfahrens in Civil- sachen. Der Inquisitionsbeweis war ein ex regia auctoritate erhobener Beweis. Im Gegensatze zu den formalen volksrechtlichen Beweismitteln stellt er sich als Ergebnis einer amtlichen Beweisaufnahme dar. Gegen- ständlich war seine Anwendbarkeit eine ziemlich beschränkte. Man verwertete ihn fast nur in Streitigkeiten um Grundstücke, um Gefälle und nutzbare Rechte dauernden Inhalts, um Eigenleute und in Status- prozessen6.
Den Inquisitionsbeweis lieferte die Aussage, die eine Anzahl von Umsassen und Gemeindegenossen über das Beweisthema abgab. Die Zahl schwankte in den einzelnen Anwendungsfällen. Regelmäſsig waren es mehr als sechs, nicht selten mehr als zwölf. Die In- quisitionszeugen wurden nicht wie die Zeugen des volksrechtlichen Zeugenverfahrens von der Partei produciert, sondern vom Richter aus den glaubwürdigsten und angesehensten Personen ausgewählt, bei welchen die Kenntnis der streitigen Thatsache vorausgesetzt werden durfte. Nachdem sie der Richter und zwar bei Königsbann vorge- laden hatte, verpflichtete er sie, die Wahrheit auszusagen, indem er ihnen ein Wahrheitsversprechen abnahm, das sie entweder durch einen promissorischen Eid oder auf ihren Unterthaneneid hin leisteten. Dann legte ihnen der Richter die Beweisfrage vor mit der Aufforderung zu sagen, was ihnen darüber bekannt sei. Die Antwort der Geschworenen erfolgte entweder als ein Spruch, den sie auf Grund vorausgehender Beratung gemeinschaftlich — mit gesamtem Munde — abgaben, oder so, daſs jeder einzelne für sich aussagte, was er wuſste, eine Methode, die namentlich in Italien und im südlichen Gallien heimisch war. Die Aussage pflegte die vorgelegte Beweisfrage direkt zu erledigen, ohne auf die verschiedenen Wahrnehmungen zurückzugreifen, die dem Verdikt
6 Im Rügeverfahren und in Verwaltungsangelegenheiten hatte die Inquisitio nicht die Bedeutung eines prozessualischen Beweismittels.
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§ 121. Das königsgerichtliche Verfahren.
Beweise abzusehen und seiner Entscheidung ein Zeugnis des betreffen-
den Richters zu Grunde zu legen. Für einzelne volksgerichtliche
Akte, die zu einer Verhandlung im Königsgerichte Anlaſs gaben, war
die Art und Weise, wie sie daselbst beglaubigt werden sollten, durch
besondere Bestimmungen geregelt. So normiert z. B. schon das Edikt
Chilperichs für den Fall, daſs gegen die gräfliche Auspfändung Wider-
spruch erhoben wurde, den von den Rachineburgen über die Recht-
mäſsigksit der Pfändung im Königsgerichte zu erbringenden Zeugen-
beweis.
Ein Vorrecht des Königsgerichtes war endlich die Aufnahme eines
Inquisitionsbeweises, eine Anwendung des Frageverfahrens in Civil-
sachen. Der Inquisitionsbeweis war ein ex regia auctoritate erhobener
Beweis. Im Gegensatze zu den formalen volksrechtlichen Beweismitteln
stellt er sich als Ergebnis einer amtlichen Beweisaufnahme dar. Gegen-
ständlich war seine Anwendbarkeit eine ziemlich beschränkte. Man
verwertete ihn fast nur in Streitigkeiten um Grundstücke, um Gefälle
und nutzbare Rechte dauernden Inhalts, um Eigenleute und in Status-
prozessen 6.
Den Inquisitionsbeweis lieferte die Aussage, die eine Anzahl von
Umsassen und Gemeindegenossen über das Beweisthema abgab. Die
Zahl schwankte in den einzelnen Anwendungsfällen. Regelmäſsig
waren es mehr als sechs, nicht selten mehr als zwölf. Die In-
quisitionszeugen wurden nicht wie die Zeugen des volksrechtlichen
Zeugenverfahrens von der Partei produciert, sondern vom Richter aus
den glaubwürdigsten und angesehensten Personen ausgewählt, bei
welchen die Kenntnis der streitigen Thatsache vorausgesetzt werden
durfte. Nachdem sie der Richter und zwar bei Königsbann vorge-
laden hatte, verpflichtete er sie, die Wahrheit auszusagen, indem er
ihnen ein Wahrheitsversprechen abnahm, das sie entweder durch einen
promissorischen Eid oder auf ihren Unterthaneneid hin leisteten. Dann
legte ihnen der Richter die Beweisfrage vor mit der Aufforderung zu
sagen, was ihnen darüber bekannt sei. Die Antwort der Geschworenen
erfolgte entweder als ein Spruch, den sie auf Grund vorausgehender
Beratung gemeinschaftlich — mit gesamtem Munde — abgaben, oder
so, daſs jeder einzelne für sich aussagte, was er wuſste, eine Methode,
die namentlich in Italien und im südlichen Gallien heimisch war.
Die Aussage pflegte die vorgelegte Beweisfrage direkt zu erledigen, ohne
auf die verschiedenen Wahrnehmungen zurückzugreifen, die dem Verdikt
6 Im Rügeverfahren und in Verwaltungsangelegenheiten hatte die Inquisitio
nicht die Bedeutung eines prozessualischen Beweismittels.
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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 524. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/542>, abgerufen am 22.11.2024.
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