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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 118. Spurfolge und Anefang.
gabe der Sache befreit den Besitzer endgiltig von dem Diebstahlsver-
dachte 67 und setzt den Vormann in die Lage, prozessualisch für die
Sache einzustehen. Jener scheidet formell aus dem Rechtsstreite aus,
und zwar, da ein Klagvorwurf gegen seine Person nicht erhoben
worden war, in der Weise, dass ein freisprechendes Urteil nicht zu
ergehen braucht 68. Beklagter ist nur noch der Gewährsmann, als
solcher führt er im Verhältnis zum Kläger den Rechtsstreit im eigenen
Namen durch. Andererseits hat aber die Retradition der Sache in
die Hand des Gewähren nicht etwa die Bedeutung, das zwischen ihm
und seinem Nachmann abgeschlossene Geschäft aufzulösen 69. Der Ge-
währe hat vielmehr im Verhältnis zu demjenigen, dem er Gewährschaft
leistet, während des Rechtsstreites nur die Stellung eines Treuhänders,
eines Salmanns 70. Obsiegt er gegen den Kläger, so muss er die im
Rechtsstreite behauptete Sache an den früheren Besitzer herausgeben.

Die Rückgabe der Sache ist unerlässlich für die prozessualische
Durchführung des Gewährszuges. Falls ein Tier nach dem Anefang
verendet, muss dem Vormanne wenigstens die Haut des Tieres über-

67 Vgl. Bracton fol. 151: si autem warrantizaverit, tunc statim, cum tradita
res fuerit warranto, liberabitur ille, qui warrantum vocavit.
68 Die Berufung auf den Gewähren ist nicht Antwort in technischem Sinne,
sondern eine die Antwort weigernde Einrede.
69 Gegen die Ansicht, dass die Ausführung des Schubs, der Eintritt in die
Gewährschaft die Auflösung des Veräusserungsgeschäftes zur Folge hatte, wie sie u. a.
Siegel S. 254 f. vertritt, siehe Hermann S. 64 f. Die Rescission des Geschäftes
würde den Begriff der Gewährschaft vollständig auf heben. Diese ist aber Pflicht
des Veräusserers; er muss dem Käufer die Sache 'schirmen', garantir la chose; er
hat ihm, wie die schwedischen Quellen sagen, hemuld zu halten, ihm die Ware
heimisch, eigentümlich zu machen.
70 Vereinzelte jüngere Rechte lassen allerdings den Gewähren, der die Sache
empfängt, zur Sicherstellung den Kaufpreis sofort zurückerstatten in Konsequenz
des formalen Gesichtspunktes, dass es der Auctor ist, der die Sache contravindiciert.
So die Formeln des Liber Papiensis zu Roth. 232 und zu Otto I, c. 7, wobei die
Auffassung der langobardischen Juristen mitspielt, dass der Gabe (hier der Rück-
gabe der Sache) eine Gegenleistung (hier die Erstattung des Kaufpreises) entsprechen
müsse. Damit entsteht allerdings der Schein einer Rescission des Geschäftes, aber
auch nur der Schein. Denn, wenn der Auctor siegte, hatte die Erstattung des
Kaufpreises nur formelle Bedeutung. Aus Roth. 231: auctor si vindicare non potu-
erit .. reddat praetium, lässt sich ersehen, dass eine endgiltige Rückzahlung nur
bei Bruch der Gewährschaft verlangt wurde. Auf dem Standpunkte der Papienser
Juristen stehen die Etablissements de S. Louis I c. 95 (Viollet II 157, vgl. III 53),
nach welchen der Käufer sein Geld erhält, weil die Sache, wenn der Kläger unter-
liegt, zunächst in die Hand des Gewährsmannes gelangt (car tout gaagnast il --
der Käufer -- la chose, cil qui demande la paieroit a celui qui est garantissieres).
Anderer Ansicht Jobbe-Duval S. 156 Anm. 5.

§ 118. Spurfolge und Anefang.
gabe der Sache befreit den Besitzer endgiltig von dem Diebstahlsver-
dachte 67 und setzt den Vormann in die Lage, prozessualisch für die
Sache einzustehen. Jener scheidet formell aus dem Rechtsstreite aus,
und zwar, da ein Klagvorwurf gegen seine Person nicht erhoben
worden war, in der Weise, daſs ein freisprechendes Urteil nicht zu
ergehen braucht 68. Beklagter ist nur noch der Gewährsmann, als
solcher führt er im Verhältnis zum Kläger den Rechtsstreit im eigenen
Namen durch. Andererseits hat aber die Retradition der Sache in
die Hand des Gewähren nicht etwa die Bedeutung, das zwischen ihm
und seinem Nachmann abgeschlossene Geschäft aufzulösen 69. Der Ge-
währe hat vielmehr im Verhältnis zu demjenigen, dem er Gewährschaft
leistet, während des Rechtsstreites nur die Stellung eines Treuhänders,
eines Salmanns 70. Obsiegt er gegen den Kläger, so muſs er die im
Rechtsstreite behauptete Sache an den früheren Besitzer herausgeben.

Die Rückgabe der Sache ist unerläſslich für die prozessualische
Durchführung des Gewährszuges. Falls ein Tier nach dem Anefang
verendet, muſs dem Vormanne wenigstens die Haut des Tieres über-

67 Vgl. Bracton fol. 151: si autem warrantizaverit, tunc statim, cum tradita
res fuerit warranto, liberabitur ille, qui warrantum vocavit.
68 Die Berufung auf den Gewähren ist nicht Antwort in technischem Sinne,
sondern eine die Antwort weigernde Einrede.
69 Gegen die Ansicht, daſs die Ausführung des Schubs, der Eintritt in die
Gewährschaft die Auflösung des Veräuſserungsgeschäftes zur Folge hatte, wie sie u. a.
Siegel S. 254 f. vertritt, siehe Hermann S. 64 f. Die Rescission des Geschäftes
würde den Begriff der Gewährschaft vollständig auf heben. Diese ist aber Pflicht
des Veräuſserers; er muſs dem Käufer die Sache ‘schirmen’, garantir la chose; er
hat ihm, wie die schwedischen Quellen sagen, hemuld zu halten, ihm die Ware
heimisch, eigentümlich zu machen.
70 Vereinzelte jüngere Rechte lassen allerdings den Gewähren, der die Sache
empfängt, zur Sicherstellung den Kaufpreis sofort zurückerstatten in Konsequenz
des formalen Gesichtspunktes, daſs es der Auctor ist, der die Sache contravindiciert.
So die Formeln des Liber Papiensis zu Roth. 232 und zu Otto I, c. 7, wobei die
Auffassung der langobardischen Juristen mitspielt, daſs der Gabe (hier der Rück-
gabe der Sache) eine Gegenleistung (hier die Erstattung des Kaufpreises) entsprechen
müsse. Damit entsteht allerdings der Schein einer Rescission des Geschäftes, aber
auch nur der Schein. Denn, wenn der Auctor siegte, hatte die Erstattung des
Kaufpreises nur formelle Bedeutung. Aus Roth. 231: auctor si vindicare non potu-
erit .. reddat praetium, läſst sich ersehen, daſs eine endgiltige Rückzahlung nur
bei Bruch der Gewährschaft verlangt wurde. Auf dem Standpunkte der Papienser
Juristen stehen die Etablissements de S. Louis I c. 95 (Viollet II 157, vgl. III 53),
nach welchen der Käufer sein Geld erhält, weil die Sache, wenn der Kläger unter-
liegt, zunächst in die Hand des Gewährsmannes gelangt (car tout gaagnast il —
der Käufer — la chose, cil qui demande la paieroit à celui qui est garantissieres).
Anderer Ansicht Jobbé-Duval S. 156 Anm. 5.
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[505/0523] § 118. Spurfolge und Anefang. gabe der Sache befreit den Besitzer endgiltig von dem Diebstahlsver- dachte 67 und setzt den Vormann in die Lage, prozessualisch für die Sache einzustehen. Jener scheidet formell aus dem Rechtsstreite aus, und zwar, da ein Klagvorwurf gegen seine Person nicht erhoben worden war, in der Weise, daſs ein freisprechendes Urteil nicht zu ergehen braucht 68. Beklagter ist nur noch der Gewährsmann, als solcher führt er im Verhältnis zum Kläger den Rechtsstreit im eigenen Namen durch. Andererseits hat aber die Retradition der Sache in die Hand des Gewähren nicht etwa die Bedeutung, das zwischen ihm und seinem Nachmann abgeschlossene Geschäft aufzulösen 69. Der Ge- währe hat vielmehr im Verhältnis zu demjenigen, dem er Gewährschaft leistet, während des Rechtsstreites nur die Stellung eines Treuhänders, eines Salmanns 70. Obsiegt er gegen den Kläger, so muſs er die im Rechtsstreite behauptete Sache an den früheren Besitzer herausgeben. Die Rückgabe der Sache ist unerläſslich für die prozessualische Durchführung des Gewährszuges. Falls ein Tier nach dem Anefang verendet, muſs dem Vormanne wenigstens die Haut des Tieres über- 67 Vgl. Bracton fol. 151: si autem warrantizaverit, tunc statim, cum tradita res fuerit warranto, liberabitur ille, qui warrantum vocavit. 68 Die Berufung auf den Gewähren ist nicht Antwort in technischem Sinne, sondern eine die Antwort weigernde Einrede. 69 Gegen die Ansicht, daſs die Ausführung des Schubs, der Eintritt in die Gewährschaft die Auflösung des Veräuſserungsgeschäftes zur Folge hatte, wie sie u. a. Siegel S. 254 f. vertritt, siehe Hermann S. 64 f. Die Rescission des Geschäftes würde den Begriff der Gewährschaft vollständig auf heben. Diese ist aber Pflicht des Veräuſserers; er muſs dem Käufer die Sache ‘schirmen’, garantir la chose; er hat ihm, wie die schwedischen Quellen sagen, hemuld zu halten, ihm die Ware heimisch, eigentümlich zu machen. 70 Vereinzelte jüngere Rechte lassen allerdings den Gewähren, der die Sache empfängt, zur Sicherstellung den Kaufpreis sofort zurückerstatten in Konsequenz des formalen Gesichtspunktes, daſs es der Auctor ist, der die Sache contravindiciert. So die Formeln des Liber Papiensis zu Roth. 232 und zu Otto I, c. 7, wobei die Auffassung der langobardischen Juristen mitspielt, daſs der Gabe (hier der Rück- gabe der Sache) eine Gegenleistung (hier die Erstattung des Kaufpreises) entsprechen müsse. Damit entsteht allerdings der Schein einer Rescission des Geschäftes, aber auch nur der Schein. Denn, wenn der Auctor siegte, hatte die Erstattung des Kaufpreises nur formelle Bedeutung. Aus Roth. 231: auctor si vindicare non potu- erit .. reddat praetium, läſst sich ersehen, daſs eine endgiltige Rückzahlung nur bei Bruch der Gewährschaft verlangt wurde. Auf dem Standpunkte der Papienser Juristen stehen die Etablissements de S. Louis I c. 95 (Viollet II 157, vgl. III 53), nach welchen der Käufer sein Geld erhält, weil die Sache, wenn der Kläger unter- liegt, zunächst in die Hand des Gewährsmannes gelangt (car tout gaagnast il — der Käufer — la chose, cil qui demande la paieroit à celui qui est garantissieres). Anderer Ansicht Jobbé-Duval S. 156 Anm. 5.

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 505. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/523>, abgerufen am 22.11.2024.