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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 63. Der unmündige König.
der Herrschaft, den Speer, tradierte 1. Ebenso ergiebt ein Diplom
Sigiberts II., welches mit Bezug auf das Erfordernis der legitima aetas
nur die seit dem vierzehnten Regierungsjahre vollzogenen Veräusse-
rungen von Fiskalgut für rechtsbeständig gelten lässt, dass er erst
nach Vollendung des fünfzehnten Lebensjahres zur Mündigkeit und zur
Selbstregierung gelangte 2. Bei der Bedeutung, welche gerade die
Heergewalt für das Königtum hatte, kann es nicht Wunder nehmen,
dass die staatsrechtliche Mündigkeit nicht schlechtweg mit der privat-
rechtlichen zusammenfiel. Freilich war die Wehrhaftmachung nicht
an die Vollendung des fünfzehnten Lebensjahres gebunden. Allein
für die Wahl dieses Termins musste es ins Gewicht fallen, dass so-
wohl nach ribuarischem als nach burgundischem Rechte die privat-
rechtliche Mündigkeit mit dem vollendeten fünfzehnten Jahre eintrat 3.
Die Wehrhaftmachung war mit einer Thronbesteigung, als dem feier-
lichen Antritt der Selbstregierung, verbunden 4.


1 Siehe oben S. 16. Vgl. Waitz, VG II 1, S. 173.
2 Pertz, Dipl. M. 23. König Sigibert gewährt dem Kloster Stablo Zoll- und
Hafengerechtsame. Si ante superiores annos, quando adhuc sub tenera videbamur
aetate consistere, aliquis ex hoc cessionem instrumenti accepit, nullus mancipetur
effectus, sed vacua et inanis permaneat, dum et aliter cum pluribus fidelibus nostris
noscitur esse conventum, ut dummodo auxiliante Domino in regni solium ad legiti-
mam
provenimus aetatem, cessiones illius, quae de originario fisco aliquid sere-
nitas nostra concesserit, deinceps inantea, hoc est de anno quarto decimo regni
nostri, debeant in Dei nomine esse stabiles. Nach Fredegar IV c. 59 nahm Dago-
bert I. im achten Jahre seiner Regierung eine Beischläferin an, de qua eo anno
habuit filium nomen Sigybertum. Laut Fredegar IV c. 75 wurde Sigibert im elften
Regierungsjahre Dagoberts König von Austrasien. Er wird also zu Beginn seines
vierzehnten Regierungsjahres in seinem sechzehnten Lebensjahre gestanden haben,
nachdem er es wahrscheinlich kurz vorher erreicht hatte. Dass man als Anfangs-
termin den Beginn des vierzehnten Regierungsjahres und nicht den sechzehnten
Geburtstag oder den Tag der Wehrhaftmachung wählte, erklärt sich daraus, dass
die Vergabungsurkunden, deren Rechtsbeständigkeit in Frage stand, nach Regierungs-
jahren, nicht nach Geburtsjahren datiert waren. In das dreizehnte Regierungsjahr
fiel jedenfalls noch eine Zeit der Unmündigkeit des Königs. Die Vergabungen aus
dem vierzehnten Regierungsjahre werden für gültig erklärt. Damit ist noch nicht
gesagt, dass etwa diejenigen ungültig seien, die etwa im dreizehnten Regierungs-
jahr, aber nach erreichter Mündigkeit, erfolgt waren. Die positive Fassung ist mit
Absicht gewählt. Die Rechtsbeständigkeit der Vergabungen wird deutlich genug
durch die legitima aetas begründet. W. Sickels Skepsis a. O. S. 969 ist
überflüssig. Über die Unveräusserlichkeit von Erbgütern des Mündels siehe Cap.
legi Sal. add. c. 5, I 293; Cap. Worm. pro lege ten. c. 4, II 19.
3 Lex Rib. 81. Lex Burg. 87.
4 Dipl. M. 23: in regni solium ad legitimam provenimus aetatem. Dipl. M. 57:
dum et nobis divina pietas ad legitema aetate fecit pervenire et in solium rigni
parentum nostrorum succidire.

§ 63. Der unmündige König.
der Herrschaft, den Speer, tradierte 1. Ebenso ergiebt ein Diplom
Sigiberts II., welches mit Bezug auf das Erfordernis der legitima aetas
nur die seit dem vierzehnten Regierungsjahre vollzogenen Veräuſse-
rungen von Fiskalgut für rechtsbeständig gelten läſst, daſs er erst
nach Vollendung des fünfzehnten Lebensjahres zur Mündigkeit und zur
Selbstregierung gelangte 2. Bei der Bedeutung, welche gerade die
Heergewalt für das Königtum hatte, kann es nicht Wunder nehmen,
daſs die staatsrechtliche Mündigkeit nicht schlechtweg mit der privat-
rechtlichen zusammenfiel. Freilich war die Wehrhaftmachung nicht
an die Vollendung des fünfzehnten Lebensjahres gebunden. Allein
für die Wahl dieses Termins muſste es ins Gewicht fallen, daſs so-
wohl nach ribuarischem als nach burgundischem Rechte die privat-
rechtliche Mündigkeit mit dem vollendeten fünfzehnten Jahre eintrat 3.
Die Wehrhaftmachung war mit einer Thronbesteigung, als dem feier-
lichen Antritt der Selbstregierung, verbunden 4.


1 Siehe oben S. 16. Vgl. Waitz, VG II 1, S. 173.
2 Pertz, Dipl. M. 23. König Sigibert gewährt dem Kloster Stablo Zoll- und
Hafengerechtsame. Si ante superiores annos, quando adhuc sub tenera videbamur
aetate consistere, aliquis ex hoc cessionem instrumenti accepit, nullus mancipetur
effectus, sed vacua et inanis permaneat, dum et aliter cum pluribus fidelibus nostris
noscitur esse conventum, ut dummodo auxiliante Domino in regni solium ad legiti-
mam
provenimus aetatem, cessiones illius, quae de originario fisco aliquid sere-
nitas nostra concesserit, deinceps inantea, hoc est de anno quarto decimo regni
nostri, debeant in Dei nomine esse stabiles. Nach Fredegar IV c. 59 nahm Dago-
bert I. im achten Jahre seiner Regierung eine Beischläferin an, de qua eo anno
habuit filium nomen Sigybertum. Laut Fredegar IV c. 75 wurde Sigibert im elften
Regierungsjahre Dagoberts König von Austrasien. Er wird also zu Beginn seines
vierzehnten Regierungsjahres in seinem sechzehnten Lebensjahre gestanden haben,
nachdem er es wahrscheinlich kurz vorher erreicht hatte. Daſs man als Anfangs-
termin den Beginn des vierzehnten Regierungsjahres und nicht den sechzehnten
Geburtstag oder den Tag der Wehrhaftmachung wählte, erklärt sich daraus, daſs
die Vergabungsurkunden, deren Rechtsbeständigkeit in Frage stand, nach Regierungs-
jahren, nicht nach Geburtsjahren datiert waren. In das dreizehnte Regierungsjahr
fiel jedenfalls noch eine Zeit der Unmündigkeit des Königs. Die Vergabungen aus
dem vierzehnten Regierungsjahre werden für gültig erklärt. Damit ist noch nicht
gesagt, daſs etwa diejenigen ungültig seien, die etwa im dreizehnten Regierungs-
jahr, aber nach erreichter Mündigkeit, erfolgt waren. Die positive Fassung ist mit
Absicht gewählt. Die Rechtsbeständigkeit der Vergabungen wird deutlich genug
durch die legitima aetas begründet. W. Sickels Skepsis a. O. S. 969 ist
überflüssig. Über die Unveräuſserlichkeit von Erbgütern des Mündels siehe Cap.
legi Sal. add. c. 5, I 293; Cap. Worm. pro lege ten. c. 4, II 19.
3 Lex Rib. 81. Lex Burg. 87.
4 Dipl. M. 23: in regni solium ad legitimam provenimus aetatem. Dipl. M. 57:
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parentum nostrorum succidire.
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[32/0050] § 63. Der unmündige König. der Herrschaft, den Speer, tradierte 1. Ebenso ergiebt ein Diplom Sigiberts II., welches mit Bezug auf das Erfordernis der legitima aetas nur die seit dem vierzehnten Regierungsjahre vollzogenen Veräuſse- rungen von Fiskalgut für rechtsbeständig gelten läſst, daſs er erst nach Vollendung des fünfzehnten Lebensjahres zur Mündigkeit und zur Selbstregierung gelangte 2. Bei der Bedeutung, welche gerade die Heergewalt für das Königtum hatte, kann es nicht Wunder nehmen, daſs die staatsrechtliche Mündigkeit nicht schlechtweg mit der privat- rechtlichen zusammenfiel. Freilich war die Wehrhaftmachung nicht an die Vollendung des fünfzehnten Lebensjahres gebunden. Allein für die Wahl dieses Termins muſste es ins Gewicht fallen, daſs so- wohl nach ribuarischem als nach burgundischem Rechte die privat- rechtliche Mündigkeit mit dem vollendeten fünfzehnten Jahre eintrat 3. Die Wehrhaftmachung war mit einer Thronbesteigung, als dem feier- lichen Antritt der Selbstregierung, verbunden 4. 1 Siehe oben S. 16. Vgl. Waitz, VG II 1, S. 173. 2 Pertz, Dipl. M. 23. König Sigibert gewährt dem Kloster Stablo Zoll- und Hafengerechtsame. Si ante superiores annos, quando adhuc sub tenera videbamur aetate consistere, aliquis ex hoc cessionem instrumenti accepit, nullus mancipetur effectus, sed vacua et inanis permaneat, dum et aliter cum pluribus fidelibus nostris noscitur esse conventum, ut dummodo auxiliante Domino in regni solium ad legiti- mam provenimus aetatem, cessiones illius, quae de originario fisco aliquid sere- nitas nostra concesserit, deinceps inantea, hoc est de anno quarto decimo regni nostri, debeant in Dei nomine esse stabiles. Nach Fredegar IV c. 59 nahm Dago- bert I. im achten Jahre seiner Regierung eine Beischläferin an, de qua eo anno habuit filium nomen Sigybertum. Laut Fredegar IV c. 75 wurde Sigibert im elften Regierungsjahre Dagoberts König von Austrasien. Er wird also zu Beginn seines vierzehnten Regierungsjahres in seinem sechzehnten Lebensjahre gestanden haben, nachdem er es wahrscheinlich kurz vorher erreicht hatte. Daſs man als Anfangs- termin den Beginn des vierzehnten Regierungsjahres und nicht den sechzehnten Geburtstag oder den Tag der Wehrhaftmachung wählte, erklärt sich daraus, daſs die Vergabungsurkunden, deren Rechtsbeständigkeit in Frage stand, nach Regierungs- jahren, nicht nach Geburtsjahren datiert waren. In das dreizehnte Regierungsjahr fiel jedenfalls noch eine Zeit der Unmündigkeit des Königs. Die Vergabungen aus dem vierzehnten Regierungsjahre werden für gültig erklärt. Damit ist noch nicht gesagt, daſs etwa diejenigen ungültig seien, die etwa im dreizehnten Regierungs- jahr, aber nach erreichter Mündigkeit, erfolgt waren. Die positive Fassung ist mit Absicht gewählt. Die Rechtsbeständigkeit der Vergabungen wird deutlich genug durch die legitima aetas begründet. W. Sickels Skepsis a. O. S. 969 ist überflüssig. Über die Unveräuſserlichkeit von Erbgütern des Mündels siehe Cap. legi Sal. add. c. 5, I 293; Cap. Worm. pro lege ten. c. 4, II 19. 3 Lex Rib. 81. Lex Burg. 87. 4 Dipl. M. 23: in regni solium ad legitimam provenimus aetatem. Dipl. M. 57: dum et nobis divina pietas ad legitema aetate fecit pervenire et in solium rigni parentum nostrorum succidire.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/50>, abgerufen am 28.03.2024.