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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 114. Acht- und Strafvollzug.
das freie Weib töten, das sich mit einem Knechte verbunden hat 16.
So ist es der Ehemann oder sind es die Magen, die den Ehebruch an
der Ehebrecherin ahnden.

Nicht selten liegt in Fällen, bei denen die Quellen von einer
Todesstrafe zu sprechen scheinen, nur ein Akt erlaubter Rache vor,
welche die beleidigte Sippe in der Form einer Privathinrichtung an
dem Missethäter nimmt, nachdem er als friedloser Mann ihrer Will-
kür ausgeliefert oder von ihr ergriffen worden war 17. Diesen Cha-
rakter hat die in der Lex Salica erwähnte Tötung des Wergeld-
schuldners, der die Schuld nicht zahlen kann und vergeblich zur Aus-
lösung aufgeboten worden war 18, und hat wohl auch nicht selten das
Verbrennen wegen Giftmordes oder Zauberei 19. Die Tötung des Ver-
brechers stellt sich diesfalls nicht als Vollzug einer öffentlichen Strafe,
sondern als Rache an einem Friedlosen dar, auf deren Ausübung der
Verletzte verzichten 20 kann, wobei denn freilich in Betracht kommt,
dass nach den die Christianisierung überdauernden Vorstellungen des
Heidentums die Verschonung des Todschlägers religiöse Bedenken er-
regte. Nicht Pflicht, sondern nur Recht des Verletzten war ursprüng-
lich auch die Bestrafung des schuldigen Knechtes, den sein Herr aus-
geliefert hatte 21.

Noch in fränkischer Zeit muss das Recht des Verletzten wenig-
stens in gewissen Fällen zur Pflicht gesteigert worden sein, so dass die

gezwungen wurde, sich selbst aufzuhängen. Bei den Dietmarschen pflegten die
Verwandten die Todesstrafe an der Entehrten zu vollziehen. Grimm, RA
S. 694. Dreyer, Nebenstunden S. 177.
16 In Lex Burg. 35, 2 sagt der Gesetzgeber: iubemus occidi. Aus 35, 3 er-
giebt sich, dass das occidere den Verwandten überlassen ist. Lex Sal. 70 giebt
die Freie als aspellis der Tötung durch die Sippe preis. Nach Roth. 221 haben
die parentes die Wahl zwischen Tötung und Verkauf ausser Landes.
17 Damit hängt jene Art der Acht zusammen, die den Leib des Missethäters
nur dem Verletzten erteilt. Siehe oben I 173 f. v. Amira, Recht S. 176.
18 Lex Sal. 58, 6. Vgl. Ed. Chilp. c. 8.
19 Lex Sal. 19, 1, Cod. 2: si quis alteri maleficiis fecerit aut dederit bibere,
ut moriatur .., sol. 200 culp. iud. aut certe ignem tradatur. Der Feuertod wird
nur eventuell angedroht, nämlich bei Insolvenz, also in dem Falle, in welchem der
Schuldige nach salischem Rechte dem Verletzten übergeben wird. Auch das Ver-
bot, Hexen zu verbrennen, welches Karl der Grosse in Cap. de partibus Sax. c. 6,
I 68 einschärft, ist nicht oder doch nicht ausschliesslich auf amtliche Vollstreckung
des Feuertodes zu beziehen. Roth. 376 unterscheidet den Fall, dass der iudex an-
gebliche Hexen verbrennt, und den, dass es andere thun.
20 Da jeder Dritte den zahlungsunfähigen Verbrecher um Geld auslösen durfte,
so kann von einer Strafpflicht nicht die Rede sein.
21 Die Lex Salica setzt voraus, dass der Verletzte den fremden Knecht
ausstäupt.

§ 114. Acht- und Strafvollzug.
das freie Weib töten, das sich mit einem Knechte verbunden hat 16.
So ist es der Ehemann oder sind es die Magen, die den Ehebruch an
der Ehebrecherin ahnden.

Nicht selten liegt in Fällen, bei denen die Quellen von einer
Todesstrafe zu sprechen scheinen, nur ein Akt erlaubter Rache vor,
welche die beleidigte Sippe in der Form einer Privathinrichtung an
dem Missethäter nimmt, nachdem er als friedloser Mann ihrer Will-
kür ausgeliefert oder von ihr ergriffen worden war 17. Diesen Cha-
rakter hat die in der Lex Salica erwähnte Tötung des Wergeld-
schuldners, der die Schuld nicht zahlen kann und vergeblich zur Aus-
lösung aufgeboten worden war 18, und hat wohl auch nicht selten das
Verbrennen wegen Giftmordes oder Zauberei 19. Die Tötung des Ver-
brechers stellt sich diesfalls nicht als Vollzug einer öffentlichen Strafe,
sondern als Rache an einem Friedlosen dar, auf deren Ausübung der
Verletzte verzichten 20 kann, wobei denn freilich in Betracht kommt,
daſs nach den die Christianisierung überdauernden Vorstellungen des
Heidentums die Verschonung des Todschlägers religiöse Bedenken er-
regte. Nicht Pflicht, sondern nur Recht des Verletzten war ursprüng-
lich auch die Bestrafung des schuldigen Knechtes, den sein Herr aus-
geliefert hatte 21.

Noch in fränkischer Zeit muſs das Recht des Verletzten wenig-
stens in gewissen Fällen zur Pflicht gesteigert worden sein, so daſs die

gezwungen wurde, sich selbst aufzuhängen. Bei den Dietmarschen pflegten die
Verwandten die Todesstrafe an der Entehrten zu vollziehen. Grimm, RA
S. 694. Dreyer, Nebenstunden S. 177.
16 In Lex Burg. 35, 2 sagt der Gesetzgeber: iubemus occidi. Aus 35, 3 er-
giebt sich, daſs das occidere den Verwandten überlassen ist. Lex Sal. 70 giebt
die Freie als aspellis der Tötung durch die Sippe preis. Nach Roth. 221 haben
die parentes die Wahl zwischen Tötung und Verkauf auſser Landes.
17 Damit hängt jene Art der Acht zusammen, die den Leib des Missethäters
nur dem Verletzten erteilt. Siehe oben I 173 f. v. Amira, Recht S. 176.
18 Lex Sal. 58, 6. Vgl. Ed. Chilp. c. 8.
19 Lex Sal. 19, 1, Cod. 2: si quis alteri maleficiis fecerit aut dederit bibere,
ut moriatur .., sol. 200 culp. iud. aut certe ignem tradatur. Der Feuertod wird
nur eventuell angedroht, nämlich bei Insolvenz, also in dem Falle, in welchem der
Schuldige nach salischem Rechte dem Verletzten übergeben wird. Auch das Ver-
bot, Hexen zu verbrennen, welches Karl der Groſse in Cap. de partibus Sax. c. 6,
I 68 einschärft, ist nicht oder doch nicht ausschlieſslich auf amtliche Vollstreckung
des Feuertodes zu beziehen. Roth. 376 unterscheidet den Fall, daſs der iudex an-
gebliche Hexen verbrennt, und den, daſs es andere thun.
20 Da jeder Dritte den zahlungsunfähigen Verbrecher um Geld auslösen durfte,
so kann von einer Strafpflicht nicht die Rede sein.
21 Die Lex Salica setzt voraus, daſs der Verletzte den fremden Knecht
ausstäupt.
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[471/0489] § 114. Acht- und Strafvollzug. das freie Weib töten, das sich mit einem Knechte verbunden hat 16. So ist es der Ehemann oder sind es die Magen, die den Ehebruch an der Ehebrecherin ahnden. Nicht selten liegt in Fällen, bei denen die Quellen von einer Todesstrafe zu sprechen scheinen, nur ein Akt erlaubter Rache vor, welche die beleidigte Sippe in der Form einer Privathinrichtung an dem Missethäter nimmt, nachdem er als friedloser Mann ihrer Will- kür ausgeliefert oder von ihr ergriffen worden war 17. Diesen Cha- rakter hat die in der Lex Salica erwähnte Tötung des Wergeld- schuldners, der die Schuld nicht zahlen kann und vergeblich zur Aus- lösung aufgeboten worden war 18, und hat wohl auch nicht selten das Verbrennen wegen Giftmordes oder Zauberei 19. Die Tötung des Ver- brechers stellt sich diesfalls nicht als Vollzug einer öffentlichen Strafe, sondern als Rache an einem Friedlosen dar, auf deren Ausübung der Verletzte verzichten 20 kann, wobei denn freilich in Betracht kommt, daſs nach den die Christianisierung überdauernden Vorstellungen des Heidentums die Verschonung des Todschlägers religiöse Bedenken er- regte. Nicht Pflicht, sondern nur Recht des Verletzten war ursprüng- lich auch die Bestrafung des schuldigen Knechtes, den sein Herr aus- geliefert hatte 21. Noch in fränkischer Zeit muſs das Recht des Verletzten wenig- stens in gewissen Fällen zur Pflicht gesteigert worden sein, so daſs die 15 16 In Lex Burg. 35, 2 sagt der Gesetzgeber: iubemus occidi. Aus 35, 3 er- giebt sich, daſs das occidere den Verwandten überlassen ist. Lex Sal. 70 giebt die Freie als aspellis der Tötung durch die Sippe preis. Nach Roth. 221 haben die parentes die Wahl zwischen Tötung und Verkauf auſser Landes. 17 Damit hängt jene Art der Acht zusammen, die den Leib des Missethäters nur dem Verletzten erteilt. Siehe oben I 173 f. v. Amira, Recht S. 176. 18 Lex Sal. 58, 6. Vgl. Ed. Chilp. c. 8. 19 Lex Sal. 19, 1, Cod. 2: si quis alteri maleficiis fecerit aut dederit bibere, ut moriatur .., sol. 200 culp. iud. aut certe ignem tradatur. Der Feuertod wird nur eventuell angedroht, nämlich bei Insolvenz, also in dem Falle, in welchem der Schuldige nach salischem Rechte dem Verletzten übergeben wird. Auch das Ver- bot, Hexen zu verbrennen, welches Karl der Groſse in Cap. de partibus Sax. c. 6, I 68 einschärft, ist nicht oder doch nicht ausschlieſslich auf amtliche Vollstreckung des Feuertodes zu beziehen. Roth. 376 unterscheidet den Fall, daſs der iudex an- gebliche Hexen verbrennt, und den, daſs es andere thun. 20 Da jeder Dritte den zahlungsunfähigen Verbrecher um Geld auslösen durfte, so kann von einer Strafpflicht nicht die Rede sein. 21 Die Lex Salica setzt voraus, daſs der Verletzte den fremden Knecht ausstäupt. 15 gezwungen wurde, sich selbst aufzuhängen. Bei den Dietmarschen pflegten die Verwandten die Todesstrafe an der Entehrten zu vollziehen. Grimm, RA S. 694. Dreyer, Nebenstunden S. 177.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 471. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/489>, abgerufen am 22.11.2024.